LUCIA DI LAMMERMOOR

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Wiener Staatsoper
14.3.2009


Dirigent: Marco Armiliato

Enrico - George Petean
Lucia - Anna Netrebko
Edgardo - Giuseppe Filianoti
Arturo - Marian Talaba
Raimondo - Stefan Kocán
Alisa
- Juliette Mars
Normanno - Peter Jelosits

„Keine Euphorie“
(Dominik Troger)

Anna Netrebko ist nach ihrer Babypause an die Wiener Staatsoper zurückgekehrt – und dort wartete schon „Lucia di Lammermoor“ als Herausforderung. Die Erwartungshaltung des Publikums war groß, wurde aber im Vorfeld durch Medienberichte gedämpft: Kein „hohes Es“ am Schluss der Wahnsinnsarie – ob es darauf ankommt!?

Dabei wurde seitens der Staatsoper die Spannung noch stark angeheizt, weil sich die Türen zum ausverkauften Zuschauerraum erst eine Viertelstunde vor Vorstellungsbeginn öffneten. Glücklich, wer nach dem langen Schlange stehen bei den Garderoben noch dazu kam, sich vor dem heiß erwarteten „Event“ ein wenig zu erfrischen oder unabdingbaren körperlichen Bedürfnissen Abbitte zu leisten.

Viel zu schnell begann dann die Vorstellung mit einem ersten Bild, in dem Normanno (Peter Jelosits) nicht unbedingt zum Matchwinner avancierte, während sich George Petean (Enrico) durchaus positiv bemerkbar machte: Er würde an diesem Abend nicht nur einen schroffen Widerling abgeben, sondern seinem schön gestimmten Bariton auch durchaus weichere Töne entlocken können. Der Raimondo von Stefan Kocán entpuppte sich als Bass mit viel Volumen und zu wenig sonorer Ebenmäßigkeit für den belcantesten Vortrag.

Doch da hatte man längst auf Anna Netrebko gewartet, die im „schottischen Kostüm“ in ihrer Bühnenwirkung doch beeinträchtig schien. Gesanglich setzte ihr die noch ein wenig nachgedunkelte und breiter gewordene Mittellage für das lustvolle Abheben der Koloraturen zu enge Grenzen, das spielerische Verselbständigen eines verzierten Schöngesanges fand nicht statt. Netrebkos „Lucia“ bliebt den ganzen Abend lang „erdenschwer“ – und das schon vorab angekündigte Weglassen des hohen Tons am Schluss der Wahnsinnssarie, war nur das hörbarste Zeichen eines Kompromisses, der eigentlich niemanden glücklich machen kann?!

Auch als Bühnenpersönlichkeit vermochte sie für meinen Geschmack der „Lucia“ weniger abzugewinnen, blieb sie hinter ihrer „Manon“ oder auch der Gounod’schen „Julia“ deutlich zurück. Das Kalkül eines genau zurecht gelegten und maßgenommenen Gesangsparts war zu vorherrschend, ihre Stimme in den Farben zu satt und lebensfrisch. Das Artifizielle ist für sie kein ursächliches Ausdrucksmittel, sondern eine notwendige, „beherrschte“ Übung. Sie kann sich damit schmücken, wenn es wie bei einer „Julia“ „Beiwerk“ ist, gewissermaßen Relikt einer älteren opernhistorischen Epoche. Aber sobald es darum geht, diese Kunstfertigkeit selbst als Mittel zum Zweck ins Feld zu führen und daraus den Charakter zu schmieden, wird deutlich, dass Netrebko als Koloraturvirtuosin im Belcanto-Fach nur „Gast“ ist, wo andere SängerInnen ganz einfach „zu Hause“ sind. Leidenschaft kann dieses Manko nur bis zu einem gewissen Grad ersetzen – und gerade die Lucia lässt hier wenig Spielraum.

Giuseppe Filianoti fand teils Zustimmung, teils wurde schon in der Pause über ihn geklagt. Seine Stimme ist schlank und besitzt zu wenig Fülle, um beispielsweise im Schlussbild wirklich zu reüssieren. Demgemäß wurde hier zuviel auf Druck gesungen, was seinem mehr lyrisch gestimmten Timbre abträglich ist. So entstand bei mir der Eindruck, dass Filianoti mehr von seiner Stimme fordert, als sie eigentlich zu leisten im Stande ist. Mit seiner Jugendlichkeit und seinem beherzten Auftreten machte er aber sehr gute Figur, und er entwickelte viel mitreißende Dynamik.

Die Wahnsinnsszene wurde von einer Glasharmonika begleitet, die dem Instrument nach eigentlich eine Glasharfe war (wobei ich mich an den Fotos in der Wikipedia orientiere, ohne diesbezüglich weitere Nachforschungen angestellt zu haben). Der eigenartig verschwimmende Klang dieses Instrumentes passte gut zu Lucias Wahnsinn, spannend wäre es aber gewesen, Netrebkos Gesang an einer deutlich artikulierenden Flöte zu messen. Gesungen wurde auch das Turmbild (spannend und mit „jung-verdischem“ Impetus gegeben) sowie im dritten Bild die Szene zwischen Lucia und Raimondo, die man sonst in Wien nie zu hören und zu sehen bekommt. Marco Armiliato erfüllte am Pult seine Pflicht. Selbiges darf auch für Marian Talaba als Arturo gelten. Die Harfe zum Beginn des zweiten Bildes klang diesmal ungewohnt hart und ziemlich unromantisch.

Der Beifall nach der Wahnsinnsarie war nur mit wenigen Bravos angereichert. Am Schluss war das Publikum durchaus beifallsfreudig, ohne kollektiver Euphorie.