LUCIA DI LAMMERMOOR

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Wiener Staatsoper
12. Februar 2019



Dirigent: Evelino Pidò

Enrico - George Petean
Lucia - Olga Peretyatko
Edgardo - Juan Diego Flórez
Arturo - Lukhanyo Moyake
Raimondo - Jongmin Park
Alisa - Virgile Verrez
Normanno - Leonardo Navarro


Frühjahrsdepression an der Staatsoper

(Dominik Troger)

Die zweite Vorstellung der neuen Staatsopern-„Lucia“ hinterließ einen günstigeren Eindruck als die Premiere. Trotzdem ist diese Neuproduktion „gewöhnungsbedürftig“. Wer noch die alte Staatsopern-„Lucia“ positiv im Ohr und vor den Augen hat, vermeide tunlichts allzukritische Vergleiche.

Die Premieren-Anspannung ist abgeklungen, meine Vorbehalte gegenüber dieser Neuproduktion bleiben aber auch nach der zweiten Aufführung aufrecht. Immerhin wirkte an diesem Abend das Dirigat animierter, was der Vorstellung insgesamt sehr gut tat. Manch schönes instrumentelle Detail, über das man in der Premiere aus Ärger über die Inszenierung vielleicht hinweggehört hat, drängte sich jetzt stärker ins Bewusstsein. Evelyno Pidò hat sich schließlich schon in der Vergangenheit als guter Sachwalter des romantischen italienischen Repertoires erwiesen, hier besteht also Hoffnung für die weiteren Aufführungen im Rahmen der Premierenserie.

Aber ob die Glasharmonika (der Bauform nach eine Glasharfe, wie sie schon bei Anna Netrebkos Staatsopern-Lucia vor zehn Jahren zum Einsatz gekommen ist) in der Staatsoper wirklich jene „romantische“ Wirkung entfaltet, die man ihr nachsagt? Ihr Klang gab der Wahnsinnsszene wenig Kontur. Die Kadenz wird in dieser Produktion zudem ohne Begleitinstrument gesungen und endet ohne hohen Schlusston. Das mindert den virtuosen Effekt und erfordert eine schauspielerisch und sängerisch sehr intensive Darbietung. Die Wahnsinnsszene wird dadurch aber nicht von Applaus unterbrochen.

Olga Peretyatkos Lucia überzeugte mich auch an diesem Abend nur bedingt. Ihre Rollenzeichnung blieb gesanglich fragil, mädchenhaft, die Anstrengung war unverkennbar und entzauberte die schwerelose Virtuosität, mit der sich Lucias Wahnsinn in Töne gießen könnte. Im Gegensatz zur Premiere entschied sie sich am Schluss der Wahnsinnsszene für den eigentlich erwarteten Spitzenton: Er fiel kurz und dünn aus, das Risiko, das die Sängerin hier eingegangen ist, war ihm anzuhören. Peretyatkos schwerfällige Triller sind mir zudem schon vor einigen Jahren bei ihrer Staatsopern-Gilda aufgefallen. Zu ihrer Elvira notierte ich im Jahr 2015: „Bei all ihrer mit Liebreiz romantisch ausgespielten Mädchenhaftigkeit klang ihr Sopran teilweise etwas angespannt, und die Spitzentöne kamen etwas dünn, vor allem in den Ensembles.“ Jetzt, vier Jahre später, hat sich dieser Eindruck nicht gerade verbessert.

Darstellerisch hat mich Peretyatko mehr überzeugt als gesanglich. Die Regie scheint sich überhaupt vor allem mit Lucia beschäftigt zu haben, die ihre Seelenzustände gestisch ausreichend zur Schau stellt, dabei aber teilweise schon „outriert“ (etwa im dritten Bild, wenn sie Enrico die Stirn bieten möchte). Unübersehbar war die „Sexualisierung“ der Wahnsinnsszene (Hinlegen, Bein zeigen, das aufreizende Dekolleté etc.) – ein typischer „zeitgeistiger“ Trend. Lucia wird aber – das habe ich in der Premiere falsch interpretiert – von den Choristen in der Schlussphase der Wahnsinnsszene nicht bedrängt, sondern selbige passen auf, dass sie nicht von den Sesseln fällt, über die sie singend schreitet.

Juan Diego Flórez hat in Interviews durchblicken lassen, dass ihm durchaus bewusst ist, welche Herausforderung der Edgardo für seinen Stimmcharakter darstellt. In der Publikumszeitschrift „Prolog“ der Wiener Staatsoper (Nr. 226 / Februar 2019) hat er es angesprochen: „Das Komische ist natürlich etwas leichter, heller. Das Tragische erfordert die dunkleren Farben. Wobei man beachten muss, dass es um Farben, um Ausdruck geht und nicht um Kraft oder Lautstarke.“ Ganz ohne Kraft ging es dann aber doch nicht, und sein Bestreben, die Stimme „dunkler“ zu machen und ihr ein tragisches „Spinto-Pathos“ abzuringen, nagte für meinen Geschmack zu stark am „authentischen“ Charakter der Bühnenfigur. Dem steht natürlich gegenüber, dass Flórez allein durch seine stimmliche Noblesse und Höhensicherheit eine Aufführung tragen kann.

George Petean ist in meiner Premierenbesprechung zu kurz abgehandelt worden: Sein höhensicherer Bariton hat keine Probleme mit der Partie, aber durch die Inszenierung kommt er wenig zur Wirkung. Petean ist zudem nicht unbedingt der „Bühnenbösewicht vom Dienst“, seine Stimme hat einen etwas weichen Kern, ist vielleicht eine Spur zu hell. Der Sänger hat die Partie bereits vor zehn Jahren im Haus am Ring gesungen, und es spricht für ihn, dass er seine gesanglich integere Leistung von damals wiederholen konnte.

Sind noch ein paar weitere kritische Anmerkungen zur Inszenierung erlaubt? Etwa die Chorführung: Regisseur Laurent Pelly hat für das Hochzeitsbild die Bühne künstlich in der Tiefe verkleinert. Der Chor marschiert im „bürgerlichen Kostüm“ von der Seite auf wie zu einem Begräbnis, später wird er die Hochzeitsfeierlichkeiten mit einem lächerlichen Tänzchen einleiten. Im Finale kommt er wieder von der Seite, steht dann wie bei einem Oratorium auf der Bühne herum.

Oder der schwarze Bühnenvorhang, der im Finale des Turmbildes plötzlich herabgelassen wird – wahrscheinlich um den Kulissenumbau zu verbergen. Überhaupt besäße dieses Turmbild genug Sprengkraft für eine dramatische Bühnenaktion, stehen sich doch die beiden Widersacher Auge in Auge gegenüber. Aber Pelly machte nichts daraus. Nur als „Gag“ kann man den Auftritt Lucias in der Wahnsinnsarie empfinden: Sie schleicht links von der Seite auf die Bühne, während der Chor und Raimondo ihren Auftritt von rechts hinten erwarten, um ihr dann (sozusagen mit einem „Aha, da ist sie!“) überrascht zu lauschen.

Nach der „Wahnsinnsbild“ gab es dem Anlass entsprechend keinen enthusiastischen Beifall, der Schlussapplaus fiel recht üppig aus (blieb aber unter zehn Minuten), dem Tenor wurde ein Blumenstrauß geworfen.