LUCIA DI LAMMERMOOR

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Wiener Staatsoper
9. Februar 2019

Premiere

Dirigent: Evelino Pidò

Regie und Kostüme: Laurent Pelly
Bühne:Chantal Thomas
Licht: Duane Schuler

Koproduktion mit der Opera Philadelphia

Enrico - George Petean
Lucia - Olga Peretyatko
Edgardo - Juan Diego Flórez
Arturo - Lukhanyo Moyake
Raimondo - Jongmin Park
Alisa - Virgile Verrez
Normanno - Leonardo Navarro


Enttäuschender Premierenabend

(Dominik Troger)

Die Wiener Staatsoper hat eine neue „Lucia di Lammermoor“. Der Premierenabend verlief enttäuschend. Donizetti wurde eine Schneelandschaft mit mäanderndem Bächlein verpasst und einige musikalische „Anpassungen“.

Natürlich muss man als Opernfreund glauben, was einem erzählt wird. Wer hat schon die Möglichkeit und das historische Fachwissen, um sich mit Donizettis Originalhandschriften zu beschäftigen, so wie der musikalische Leiter dieser Neuproduktion Evelino Pidò. Aber wer „ad fontes“ ruft, wird sich immer einer gelebten Tradition gegenübersehen, die – noch dazu bei einer „Lucia“ an der Wiener Staatsoper – auch sehr stark von Sängerinnenpersönlichkeiten geprägt ist. Laut der Publikumszeitschrift Prolog der Wiener Staatsoper Nr. 226 vom Februar 2019 hat Pidò hier einen Mittelweg gesucht und gefunden. Aber trotzdem ist es praktisch, wenn eine Neuproduktion auch gleich eine veränderte Fassung (neue Kadenz und „gekappte“ Spitzentöne) der Wahnsinnsarie ins Spiel bringt, denn dadurch entzieht man die Sängerin der Lucia gleich einmal dem Vergleich.

Das kann Absicht sein – oder auch nicht, aber das Resultat dieser Premiere hat ohnehin für sich gesprochen. Aus dem Orchestergraben tröpfelte ein „Belcantorinnsal“ und schnell machte sich Langeweile breit. Evelino Pidò verwaltete „seinen“ Donizetti mit akademisch-uninspirierter Akribie. Die farblich vor allem auf Schwarz-Weiß-Töne abstellende Szene verbreitete visuelle Ödnis, und die Personenregie von Laurent Pelly mit ihrer „Pseudopsychologisierung“ wirkte auf mich mehr hilflos als inspiriert.

Eine Lucia hat es unter solchen Umständen schwer. Aber Olga Peretyatko hat sich auf diese Fassung eingelassen. Der Abend begann für sie nicht so gut. Schon bei der Kavantine im zweiten Bild klang ihr Sopran unstet, es gab leichte Intonationsprobleme und etwas verwaschene Koloraturen. Im Duett mit Edgardo lief es besser – und im Haus kam endlich (wenn auch nur kurz) Stimmung auf. Aber Peretyatkos Sopran klang insgesamt in der Mittellage zu schmal dimensioniert, in der oft etwas schwerfällig angepeilten Höhe zu beengt. Ihr leicht dunkel getöntes, etwas metallisches Timbre hat sich in den letzten Jahren offenbar schon abgeschliffen. Damit fehlte der Stimme aber der Farbenreichtum für ein differenzierteres gesangliches „Gefühlsleben“ – und vor allem fehlte es ihr für diese unspektakuläre Fassung der Wahnsinnsarie an Bühnen- und Stimmpräsenz.

In dieser hat man die Flöte durch den verwaschenen Klang der Glasharmonika ersetzt. Die Verwendung der Glasharmonika war zwar von Donizetti ursprünglich geplant, aber in der Staatsoper entfaltete sich der Reiz ihres Klanges an diesem Abend nur bedingt. Das Dirigat bremste den musikalischen Fluss und den Aufbau emotionaler Spannung. Und Peretyatkos Organ vermochte das Haus nicht so recht auszufüllen. Lucias fragiler Gemütszustand irrlichterte wie verloren und „ausgezehrt“ klingend durch das Auditorium. Sie musste sich zudem regiebedingt hinlegen, auf Sessel steigen und von Choristen bedrängen lassen – alles überflüssige Ablenkungen, die es unmöglich machten, dass sich eine „romantische Symbiose“ zwischen Emotion und Gesang einstellte, die in dieser Szene so wichtig ist.

Ein weiterer „Diskussionspunkt“ an diesem Abend: Juan-Diego Flórez dürfte der Edgardo zu „dramatisch“ sein. Der Sänger postierte sich meist rampennah, „blies“ seine Stimme auf, und hat doch nach wie vor diesen naiven Rossini-Tonfall im Timbre, mit dem er weniger glaubhaft eine so tragische Figur wie den Edgardo realisieren kann. Dabei klang Flórez Organ per se durchaus füllig, aber im Ausdruck zu eindimensional. Der Eindruck würde an einem kleineren Haus wahrscheinlich ein günstigerer sein, aber für die Staatsoper fehlten diesem Edgardo nach meinem Geschmack noch ein paar „Dekagramm“ Volumen und Metall (bezogen auf meinen Standort Galerie Halbmitte). Darstellerisch blieb Flórez so blass wie die Inszenierung.

George Petean ist ein verlässlicher Sänger, auch wenn ich mir für den Enrico einen kernigeren Bariton gewünscht hätte. So lebte denn auch diese Figur ein blässliches Bühnenleben. Jongmin Park bekam als Raimondo viel Applaus: Mit seiner Arie im zweiten Akt stahl er vor der Pause seinen „berühmteren“ Mitstreitern auf der Bühne die „Show“. Der Arturo würde in einem Ranking der undankbarsten Opernrollen weit oben stehen: Lukhanyo Moyake schlug sich achtbar wie auch der schon ein wenig „charakterscharfe“ Normanno des Leonardo Navarro. Virginie Verrez rundete das Bühnengeschehen als Alisa ab.

Weitere Worte über die – möglicherweise von Stummfilmästhethik inspirierte – Inszenierung sind so überflüssig wie der Bühnenschneefall, der das erste Bild und das Finale begleitete. (Beim Abschiedsduett und bei der Wahnsinnsarie gibt es immerhin „bedeutungsvolle“ rote Beleuchtung.) Dass es sich bei der Neuinszenierung um eine Koproduktion mit der Opera Philadelphia gehandelt hat, macht die Sache nicht besser, im Gegenteil. Und die „verstaubte“ Staatsopern-Vorgängeproduktion von Boleslaw Barlog in den Bühnenbildern von Pantelis Dessyllas aus dem Jahr 1978 (Premiere mit Edita Gruberova) kann im Vergleich dazu fast als „Geniestreich“ bezeichnet werden: Immerhin hat sie auf die Musik und auf die Handlung in vielen Details Rücksicht genommen, was man von dieser Neuproduktion nicht behaupten kann.

Der Beifall hielt sich trotz einigen Jubels in Grenzen – obligate Ablehnung gemischt mit höflich plätscherndem Applaus beim Regieteam, eine Handvoll Unzufriedene machten ihr Missfallen auch gegenüber Lucia kund.

Das grimmige Fazit des Premierenabends: langweilig, uninteressant, unterbesetzt.

(Editiert 13.2.19)