LUCIA DI LAMMERMOOR

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Wiener Staatsoper
2.9.2002


Dirigent: Marcello Viotti

Enrico - Manuel Lanza
Lucia - Edita Gruberova
Edgardo - Keith Ikaia-Purdy
Arturo - Arnold Bezuyen
Raimondo - Dan Paul Dumitrescu
Alisa
- Songmi Yang
Normanno - Cosim Ifrim

Zeitmaschine...
(Dominik Troger)

Neben dem Fixstern von Edita Gruberova regierte bereits in der zweiten Aufführung der neuen Staatsopern-Saison jene Mittelmäßigkeit, die einen altgedienten Opernfreund kaum mehr ins Haus zu locken vermag...

Eine Lucia-Vorstellung mit Edita Gruberova ist wie eine Zeitmaschine, und man schwelgt im Genusse des Dargebotenen wie ehedem vor zwei Jahrzehnten. Und über all dem liegt schon fast eine Art von Geheimnis, dass es ihrer Lucia-Interpretation nämlich wirklich möglich ist, der Zeit zu trotzen, und die Veränderungen, die diese ganz natürlich auf den Menschen und auf eine Stimme ausüben muss, für neue Ausdrucksmöglichkeiten zu gewinnen – ohne dass sie viel von dem preisgeben müsste, was ihre Lucia seit nun mehr bald fünfundzwanzig Jahren ausmacht.

Früher stand sicher oft die Virtuosität allein im Vordergrund, und es bezwangen schon diese mit anscheinend so fulminanter Leichtigkeit gesetzten Koloraturen und Spitzentöne die Zuhörerschaft, verzückten mit den einschmeichelnden Pianophrasen, die einem wie ein Stück edelstes Konfekt auf der Zunge zergingen. Jetzt ist der Charakter noch dazugekommen. Das Zuckerstückchen schlüpft vielleicht nicht mehr ganz so leicht den Gaumen hinunter, aber man denkt trotzdem noch gar keinen Augenblick daran, einst und jetzt in kritische Beziehung setzen. Vielmehr erkennt man, dass die eigentliche Erfüllung dieser Rolle erst jetzt möglich geworden ist, wenn sich zwischen Musikalität und dramatischem Vortrag eine beeindruckende Balance ergibt, die das insgesamt ja ein wenig stupide Donizetti-Arrangement auf das Niveau einer Tragödie erhebt. Die Lucia als Gesamtkunstwerk, wenn man das so ausdrücken möchte, eine selten gemachte Erfahrung in diesem Genre. Edita Gruberova als Lucia, das ist einmal mehr eine Grundkonstante wie das Urmeter oder der Nullmeridian, und war sie es früher vor allem in musikalischer Hinsicht, so ist sie es jetzt auch als Persönlichkeit.

Die übrige Besetzung hatte es da nicht leicht. Keith Ikai-Purdy war eingesprungen. Und man tat sich wie immer schwer mit seinem etwas gepressten, leicht nasal-belegtem Tenor, den noch dazu anfänglich eine unterschwellige Heiserkeit zu schaffen machte. Der Enrico von Manuel Lanza hätte in jeder x-beliebigen Repertoireaufführung soweit und unauffällig seinen Mann gestellt. Dan Paul Dumitresco sang einen Raimondo mit grundsätzlich schönen stimmlichen Anlagen. Der Arturo von Arnold Bezuyen schloss nahtlos an seine Vorgänger in dieser Partie an (und konnte abermals nicht verhindern, dass diese Rolle irgendwie lächerlich wirkt). Aber hat nicht Thomas Moser einstens auch den Arturo gesungen, wenn mich meine Erinnerung nicht trügt? Man kann diese Rolle also durchaus als Sprungbrett nützen.

Marcello Viotti beschränkte sich wirklich auf das Notwendigste. Sonst neige ich ja dazu, die Bezeichnung Kapellmeister eher positiv zu gebrauchen, weil sie für mich eine gekonnte Unaufdringlichkeit signalisiert, die einer Aufführung trotzdem zu schwungvollem Musizieren verhilft. Diesmal wirkte aber gerade dieser Schwung schon sehr „abgespielt“ und uninspiriert in den „Umtata“-Geleisen der Donizetti’schen Opernfabrik gefangen. Das Orchester schien ja fast ausgemergelt, so als müsse es sich jetzt im September in der Wiener Oper von sommerlichen Musikeskapaden erholen. Mal sehen, wie das so weitergeht...

Zur Inszenierung: Die Premiere fand am 23. März 1978 statt, Peter Dvorsky war damals Partner von Edita Gruberova als Edgardo. Die Bühnenbilder von Pantis Dessyllas, die so eine schottische Hochlandstimmung auf die Bühne zaubern, kann man in Zeiten trostloser Einheitsbühnenbilder nur noch umso mehr bewundern. Wer würde es heutzutage auch riskieren, Schauplatz und Zeit der Handlung unangetastet zu lassen. Und wie wohltuend ist es, dass hier die Geschichte im Wesentlichen so erzählt wird, wie sie im Textbuch steht. Das tut nämlich dem Gesamteindruck keinen Abbruch, ganz im Gegenteil.

Die Regie selbst ist natürlich inzwischen ziemlich zerflattert. Da wechseln die Chordamen im 4. Bild viel zu früh und unmotiviert die Bühnenseite – noch bevor Edgardo überhaupt aufgetaucht ist. Ursprünglich war das genau mit dem Auftritt Edgardos abgestimmt: Er lüpft den Degen, und dann kommt Bewegung in die Szene, die Damen laufen vom Gestühle links nach rechts hinten, um sich in Sicherheit zu bringen, und die anwesenden Kavaliere ziehen ebenfalls die Waffen. Das machte ganz guten Effekt und schien aus der Handlung heraus zu passieren – und so wurde mit einem szenischen Spannungsmoment ins berühmte Sextett übergeleitet. (Inszenierung: Boleslaw Barlog).

Immerhin hat man in dieser Aufführung wieder das Turmbild (1.Szene/2.Akt) gegeben, das manchmal jahrelang nicht gespielt wurde...

Fünf Blumensträuße für Edita Gruberova; ein paar Buhs provozierte der Applaus für Ikaia-Purdy dann doch noch; die übrigen wurden freundlich beklatscht.