LA FILLE DU RÈGIMENT

Aktuelle Spielpläne
Forum
Opernführer
Chronik
Home
Donizetti-Portal

Wiener Staatsoper
30. September 2020

Dirigent: Evelino Pidó

Marie - Jane Archibald
Tonio - Javier Camarena
Marquise de Berkenfield - Donna Ellen
Sulpice - Carlos Álvarez
Hortensius - Marcus Pelz
Korporal -Konrad Huber
Duchesse de Crakentorp - Maria Happel
Bauer - Wolfram Igor Derntl
Notar - Francois Roesti


„Tenorales Feuerwerk“

(Dominik Troger)

Die aktuelle Staatsoperninszenierung von „La fille du régiment“ ist ein gutes Beispiel für eine erfolgreiche Kooperation: Die Koproduktion zwischen dem Haus am Ring, dem ROH London und der New Yorker Metropolitan Opera hat es an den genannten Häusern inzwischen zu mehreren Aufführungsserien gebracht – allein in Wien waren es bis dato 31 Vorstellungen.

Die Produktion wurde aber nicht nur an den drei genannten Häusern gezeigt, sie reiste zum Beispiel auch nach Barcelona und nach San Francisco. Offenbar ist es dem Regisseur Laurent Pelly gelungen, Donizettis 180 Jahre alte Opéra-comique dem heutigen Publikum „schmackhaft“ zu machen. Dabei hat sich Pellys Inszenierung nicht nur Freunde erworben. Er hat die Handlung Richtung erster Weltkrieg „verschoben“ und das mit manchmal schon recht bissigem Humor. Schließlich fährt Tonio im Finale sogar mit einem Panzer auf, um seine Liebste zu „erobern“. Die Figuren bleiben aber trotz manch „ironisierender“ Anwandlung liebenswert und werden szenisch nicht um ihre ehrlichen Gefühle betrogen – und für einen großen Teil des Publikums scheint die Mischung aus (manchmal boshaftem) Lachen und Liebesschmerz zu stimmen.

Koproduktionen sind zudem eine gute Gelegenheit, um Raritäten an mehrere Häuser zu bringen: Der Wiener Staatsoper haben sie 2007 die Erstaufführung von Donizettis Oper in französischer Sprache ermöglicht. Das Werk war fast hundert Jahre lang nicht im Haus am Ring erklungen. Die Erstaufführung (in deutscher Sprache) ist daselbst im Jahre 1878 über die Bühne gegangen. Sie diente vor allem als Vehikel für die Koloratursopranistin Bianca Bianchi. DIE PRESSE (31. Dezember 1878) notierte zwei Tage nach der Premiere: „So sehr wir auch dem Style einer Oper wie die „Regimentstochter“ und ähnlicher Werke entwachsen sind, so hören wir sie doch mit großem Behagen, wenn sie uns in so bestrickender Weise interpretiert werden.“

Kaum zu glauben, aber der Sprung aus dem Jahr 1878 in das Jahr 2020 fällt gar nicht schwer: In diesem Sinne „bestrickend“ war an diesem Abend der Tenor. Javier Camarena eilte schon der Ruf eines vorzüglichen Tonio nach Wien voraus – und er hat an diesem Abend alle Erwartungen erfüllt: Die hohen C’s flogen nur so ins Auditorium, von einem Squillo getragen, dass einen vibrieren ließ. Er wiederholte das „Pour mon ame“ wie schon weiland Juan Diego Floréz. Camarena hatte aber nicht nur bombensichere Spitzentöne zu bieten (der Sänger verfügt sogar über ein kräftiges hohes D, das er auch mal gerne einlegt), er verwöhnte das Ohr ausdrucksstark mit dynamischen Schattierungen, was etwa auch Tonios Arie im zweiten Teil nach der Pause subtile, gefühlvolle Nuancen abgewann. Dabei wirkte nichts „gekünstelt“ oder forciert, Mittellage und Höhe sprachen problemlos an – und der Sänger verströmte mit langem Atem eine spielerische, lustvolle Selbstgewissheit, die einen als Zuhörer ganz dem Genuss überließ.

Wenn man wirklich einen Vergleich zwischen zwei Ausnahmekünstlern riskieren wollte, dann könnte man sagen, der Tonio von Juan Diego Floréz lag näher bei Rossini, während Camarenas Tonio einen schon an Verdi denken lässt. (Der Sänger hat auf seiner Homepage für März 2021 den Herzog an der Deutschen Oper Berlin angekündigt, aber ob das angesichts der Pandämie noch aktuell ist?) Camarena besitzt die „größere“ Stimme, sein Tenor ist durchschlagskräftiger, etwas heller gefärbt und eine Spur metallischer, was seine Spitzentöne zum „Glühen“ bringt. Im Spiel wirkte diese Tonio aber behäbiger – denn beim Spielwitz punktet Floréz, der Tonio aus lauter Freude beim „Ah! Mes amies“ auch mal schnell ein paar Pirouetten drehen ließ. Der Tenor des Peruaners besitzt außerdem mehr Schmelz, was ihm im Vortrag eine charmante, sich sanft erwärmende Geschmeidigkeit verleiht.

Als Marie feierte mit dieser Aufführungsserie Jane Archibald ihre Rückkehr an die Wiener Staatsoper. Die Sängerin ist u. a. 2009 am Haus als Aminta („Die schweigsame Frau“) für Diana Damrau eingesprungen, und was damals noch ein wenig zart klang, ist inzwischen herangewachsen. Archibalds Marie war – etwa im Gegensatz zur quirligen Natalie Dessay in der Premiere – viel reifer, weiblicher: Man glaubte sofort, dass sie hemdsärmelig zupacken kann, wurde sie doch von einem ganzen Regiment erzogen! Ihr Sopran hatte die geforderten Spitzentöne, die Sängerin erzählte glaubhaft die Geschichte dieser jungen Frau – aber es fehlte ein wenig das Glitzern in den Koloraturen, samt einem koketten jugendlichen Augenaufschlag in der Stimme. Dass ihr Sopran etwas flackrig klingen kann, hat sich schon bei Auftritten im Theater an der Wien in den letzten Jahren gezeigt.

Carlos Álvarez als Suplice ist eine Institution. Er hat diese Rolle inzwischen so „inhaliert“, dass man sich kaum mehr einen anderen Sänger in dieser Partie vorstellen kann. Die liebenswerte Robustheit, mit der er das Kommando führt, unterfüttert mit seinem nach wie vor wohlklingenden Bariton, erfreut jedesmal aufs Neue. Das weitere sängerische Umfeld blieb in humorvollem, vertretbarem Rahmen. Nur den Auftritt von Maria Happel, die als Herzogin von Crakentorp ein berühmtes Chanson („Milord“) zum Besten gab, empfand ich als stilistisch unpassend. Evelino Pidó am Pult sorgte für einen ausreichend schwungvollen Abend. Für alle Beteiligten gab es am Schluss viel Applaus.

PS: Diesmal wieder für einen „Sitzstehplatz“ angestellt, gab es erneut Probleme bei der Kassa: Der Drucker fiel aus. Nach einer guten halben Stunde wurde die Schlange mit – grob geschätzt – an die 100 Personen zu den gegenüberliegenden Bundestheaterkassen umgeleitet. Dort öffnete man dankenswerter Weise zwei Schalter, um die Kartenausgabe zu beschleunigen. Durch die Personalisierung (und wegen der langsamen Drucker) ist für die Kartenausgabe pro Person rund eine Minute zu veranschlagen. Das hört sich wenig an, aber summiert sich rasch.