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Wiener Staatsoper
17.2.2003

Premiere


Dirigent: Fabio Luisi
Inszenierung: John Dew
Bühnenbild: Thomas Gruber
Kostüme: Jose-Manuel Vazquez
Choreinstudierung: Marco Ozbic

Léonor - Violeta Urmana
Fernand - Giuseppe Sabbatini
Alphonse, König von Kastilien - Carlos Alvarez
Balthazar - Giacomo Prestia
Don Gaspar - John Dickie
Inès - Genia Kühmeier

Rekonvaleszenz
(Dominik Troger)

Den spannendsten Augenblick gab es gleich zu Beginn: Staatsoperndirektor Holender trat vor den Vorhang und bat im Namen von Violeta Urmana um Nachsicht, da sie eine Luftröhrenentzündung plage. Und überhaupt sei die ganze Probenzeit von der „Grippe“ beeinträchtigt gewesen. Nun, da ahnte man schon ein wenig von dem, was auf einen zukommen könnte...

Das Werk, mehr als hundert Jahre an der Hof- bzw. Staatsoper nicht mehr gespielt, und jetzt in der französischen Originalfassung wiedererstanden, ist natürlich nicht unbedingt ein Reißer. Es gefällt sich in einer gewissen romantisierenden Larmoyanz. Da geht es um Liebe, priesterliche Keuschheit, Ehrgefühl und nochmals und zum hundertsten Mal um die einzige, die wahre Liebe – und diese emotionalen Selbstergießungen der Hauptpersonen wirken oberflächlich betrachtet ziemlich monoton, auch wenn Donizetti sie hin und wieder mit plötzlichen, jung-verdischen Attacken aufbricht oder mal einen hübschen, schwungvollen Chor dazwischen streut.

Doch wer hat heute noch ein Ohr für diese breite Skala emotionaler Zwischentöne, die wie Farbschattierungen über diesem Werk liegen, wie eine gefühlsbetonte Aquarellmalerei – und welche SängerInnen können diesen Skalen noch stilsicher folgen? Welcher Regisseur versteht es, sie zu neuem Leben zu erwecken? Welcher Dirigent zaubert daraus jenen Gefühlsteppich, über den sich dieses Herzblut bald 200 Jahre alter Leidenschaften ausgießen darf?

Zwar bemühte sich zumindest Guiseppe Sabbatini um diese Nuancierungsfähigkeit, aber er wirkte mit seinem Versuch, einen „authentischen Stil“ zu kreieren, zu wenig mitreißend, museal, und schlichtweg angestrengt. Violeta Urmana kam schon aus gesundheitlichen Gründen nicht recht „ins Spiel“, obwohl sie sich stimmlich passabel aus der Affaire zog und im Schlussbild dann doch noch einen herzrührenden Operntod starb. Aber ihre Rolle ist das nicht. Carlos Alvarez war zwar gesanglich am präsentesten, blieb jedoch in der Rollengestaltung – immerhin hatte er den König von Kastilien vorzustellen – außerordentlich blass. Auch Giacomo Prestia (Abt Balthazar) vermochte nicht besonders zu glänzen. Da avancierte das gelungene Staatsopern-Debut von Genia Kühmeier als Ines fast zum interessantesten Aspekt des Abends. Letztlich durfte sich das Ensemble aber durchwegs an viel Applaus und geworfenen Blumensträußen erfreuen.

Fabio Luisi nutzte jede der raren von Donizetti gebotenen Möglichkeiten, um viel Schwung zu erzeugen, wusste aber ansonsten mit dem Ganzen wenig anzufangen. Sicher spielte dabei die Rücksichtnahme auf die SängerInnen eine gewisse Rolle, aber insgesamt wirkte das Dirigat ziemlich langatmig – wie so ziemlich alles, was da geboten wurde. Außerdem hätte man sich für eine Premiere ein „blankpolierteres“ Orchester erwarten dürfen.

Die Arbeit der Inszenierungsteams schlug sich vor allem in ein paar nichtssagenden Bühnenbildern nieder, weit davon entfernt, die Zuschauer auch nur ansatzweise emotional anzusprechen. Die gestürzte Riesenkrone des dritten Aktes, die im zweiten Akt noch einen mit Kreuzen gezierten Mauerwall vorgestellt hatte, golden und mächtig, erregte immerhin einiges an Heiterkeit. Das war aber wirklich der „sublimste“ Einfall der ganzen Produktion. Die stilistische Zeitlosigkeit, die sich auch in den Kostümen äußerte, erzeugte eine interpretatorische Beliebigkeit, die man nur mehr kopfschüttelnd zu Kenntnis nehmen konnte – und ein paar stereotype, Personenregie vortäuschende Gesten mischten sich auch noch darunter. Seltsam, welch fulminanter Leerlauf hier gelang. Die reichlichen Missfallenskundgebungen des Publikums für das Regieteam nach Ende der Aufführung, die so gut wie keine positive Gegenreaktion provozierten, beschreiben die allgemeine Ratlosigkeit angesichts dieser szenischen „Nicht-Umsetzung“.

Fazit: Eine ganz fatale Vergrippung!

Die Reaktionen auf die „Favoritin“ waren zwiespältig, das Regieteam betreffend durchwegs sehr negativ.

„Statik in einem Wald von Kreuzen“ fasst H.G.Pribil in der Wiener Zeitung (19.2.) seine Eindrücke zusammen. Er lobt Fabio Luisi und hat bei den „hervorragend disponierten und souverän aufspielenden Wiener Philharmonkern“ einen „dunklen Goldklang“ vernommen. Luisis Dirigat ist für ihn „im besten Sinn des Wortes seriös“. Hingegen „spürt man so gut wie nichts“ von Regie bzw. Personenführung. Lob für Violeta Urmana und Carlos Alvarez, die Leistung von Guiseppe Sabbatini fand er erst im vierten Akt „echt berührend“.

Für Wilhelm Sinkovicz in der Presse (19.2.) war die Aufführung „fad“. Er anerkennt Sabbatinis Bemühungen um einen stilechten Vortrag, ist aber mit der Umsetzung nicht zufrieden: „... und [er] tut das, was man in der Ära der frisch drauflos singenden postveristischen Ausdruckssänger mit dem unfeinen, aber doch irgendwie passenden Wörtlein 'Säuseln‘ bezeichnet hätte.“ Luisi bucht er auf der Haben-Seite, das Regieteam bekommt ein sehr deutliches Minus. In Summe kommt er zur Auffassung, dass sich solche Belcanto-Werke heutzutage gar nicht mehr besetzen lassen.

Ljubisa Tosic ortet im Standard (19.2) betreffend dieser Neuinszenierung ein „Ideenvakuum“, ein „solides kostümiertes Konzert mit guter philharmonischer Orchesterarbeit.“ Leider konnten auch die Sänger die „trostlosen Operroutine“, die die Regiearbeit John Dews verbreitet, nicht wirklich aufwiegen: „... in Summe zu wenig, um einen besonderen vokalen Abend mit kompensatorischer Kraft zu ergeben.“

Gert Korentschnig (Kurier 19.2.) sind zur Handlung der Favoritin die „Dornenvögel“ eingefallen, die er aber spannender findet: „[La Favorite] könnte heute als 'Dornenvögel, Teil 100‘ durchgehen.“ Die Inszenierung ist für ihn das eigentliche Problem des Abends. Fabio Luisi ist für ihn „wenigstens bemüht“, Urmana war „ausgezeichnet“, „stimmlich fabelhaft“ auch Alvarez, aus dem Tenor wurde er „an diesem Abend nicht schlau“.

In der Züricher Zeitung (19.2.) findet Derek Weber, dass Fabio Luisi ein „nicht übermässig motiviertes Orchester“ geleitet habe, „das im Durchschnitt trocken und bisweilen recht laut spielt“. Das Schlussbild kommt bei ihm von der gesanglichen Seite am besten weg. Die Inszenierung ist „einfallslos“.

Laszlo Molnar hat in den Salzburger Nachrichten (19.2.) an der Regiearbeit von John Dew viel auszusetzen. „Dew traute sich so gut wie gar nichts.“ Das Orchester habe „keine Offenbarungen“ geboten. Violeta Urmana sei eine „ausdrucksstarke und an Facetten reiche Leistung“ gelungen.