ANNA BOLENA |
Home |
Wiener Staatsoper
|
Enrico VIII - Marco
Vinco |
An vier Abenden war Edita Gruberova an der Wiener Staatsoper in Gaetano Donizettis Königinnendrama „Anna Bolena“.zu erleben. Die Sängerin gab damit ihr spätes Rollendebüt im Haus am Ring, hat die Partie aber zuvor schon konzertant in Wien gesungen. Bereits 1994 gab es eine konzertante Aufführung von „Anna Bolena“ im Konzerthaus mit Edita Gruberova in der Titelpartie, 2013 folgte eine weitere konzertante Aufführung im Musikverein. Die Wiener Staatsoper hat die Oper allerdings erst seit 2011 im Repertoire – und Edita Gruberova hat die Anna Bolena in dieser Produktion bereits bei einem Japan-Gastspiel des Hauses verkörpert. Edita Gruberovas Anna Bolena lebt in Verzierungsfreude und feinen Gefühlsschattierungen, sie forscht nach der sensiblen Psychologie einer liebenden und verletzten Frau. Ihre agile, lyrische Stimme nähert sich mit Belcanto-Raffinesse der Königinnenpsyche an, die sich letztlich in den Wahnsinn flüchtet. Sängerinnen mit einer satter timbrierten Mittellage geben der Partie naturgemäß eine andere, vielleicht leidenschaftlich-kämpferischere Nuance – und beides hat seine künstlerische Berechtigung. Für das Publikum gesellt sich eine Facette hinzu, die – gerade nach solch einem ruhmvollen Sängerinnenleben – vielleicht als „positiv wirkende Erinnerung“ umschrieben werden kann. Diese vermag bis zu einem gewissen Grad die erwartbaren Schwankungen der stimmlichen Form auszugleichen – auch wenn dadurch für die geneigten Zuhörerinnen und Zuhörer jede Aufführungen zu einem emotionalen Trapezakt wird. Der Schreiber dieser Zeilen hat die Aufführungen am 9. Oktober und am 23. Oktober besucht – also die erste und die letzte der Serie. Resümiert man die in diesen beiden Vorstellungen gewonnenen Eindrücke, kann einerseits der Mut der Sängerin zum „kalkulierbaren Risiko“ nur bewundert werden, andererseits ist selbiges die „Würze“, die eine Aufführung zum künstlerischen Ereignis werden lässt – wenn alles gut geht: Nämlich dann, wenn sich doch noch einmal die Magie zeitlos entrückter Gesangeskunst einzustellen vermag. Nach Abenden wie dem am 9. Oktober mit seinen „verrutschten“ Spitzentönen und einer gesanglich insgesamt sehr vorsichtig zu Werke gehenden Primadonna ist freilich nichts einfacher, als Google nach dem Alter der Sängerin zu befragen und dann – angeblich – Bescheid zu wissen. Nach Abenden wie dem 23. Oktober ist nichts einfacher, als das Alter der Sängerin zu ergoogeln – und das dann einfach nicht glauben zu wollen. Edita Gruberova begann am 23. Oktober zwar wieder vorsichtig, lotete ihre stimmlichen Möglichkeiten aus, kam aber bald viel selbstsicherer in Fahrt als in der ersten Vorstellung. Die Sängerin scheint in der Tiefe jetzt behutsamer zu agieren, der Registerbruch wird besser kaschiert. Die Stimme hat im Volumen leicht abgenommen, was am 9. Oktober aber stärker ins Gewicht fiel als am 23. Oktober. Die Klangfarbe ist teilweise schon ausgesprochen metallisch, was vor allem bei Spitzentönen „gewöhnungsbedürftig“ sein kann. In lyrischen Passagen und wenn die Stimme etwas „angewärmt“ ist, stellt sich hingegen die kühle klare Tongebung eines lyrischen Soprans ein, der dann plötzlich seltsam verjüngt klingt, so wie eine akustische Erinnerung an Auftritte vor 35 Jahren. Der Sängerin gelangen an diesem Abend berückende An- und Abschwelltöne und mag ihre Koloratur an ziselierter Exaktheit verloren haben, die fragilen Piani erreichten gerade in vielen Passagen des „Piangete voi“ eine poetische Melancholie, in der Donizettis sensible Frauengestalten sich gleichsam vergegenwärtigten, wie um an vergangene Opernzeiten zu erinnern. Solange sich solche Momente zeitloser Entrückung einstellen, hat Edita Gruberova keinen Grund, die Bühne zu scheuen – und solange sich ein Publikum findet, das bereit ist, auch Abende in Kauf zu nehmen, die es leicht machen, als Erklärung auf die Altersangabe in Google zu verweisen. Für das „Coppia iniquia“, dieser von Donizetti an den Schluss gesetzten königlichen Gefühsaufwallung, fehlte es zu guter Letzt schon etwas an glutvoller Leidenschaft – die ist jüngeren Semestern vorbehalten – aber die Art wie Edita Gruberova die Betroffenheit im Publikum schürte, und wie sie nach wie vor im Stande ist, diese Passagen technisch zu meistern, war nicht weniger spektakulär: Dieses Zögern vor der zweiten Strophe, so als würde Anna kurz vor dem aufblitzenden Grauen des Henkersbeiles taumeln, lotete die Psychologie dieser Szene aus und Gewann aus der kurzen Verzagtheit den Schwung für ein heroisches Abschiednehmen. Bei dieser Gelegenheit sollte einmal angemerkt werden, dass sich die Aufführungen einer Staatsopernserie – die meist vier oder auch nur drei Vorstellungen umfasst – so stark unterscheiden können wie „Tag und Nacht“. Die Aufführung am 9. Oktober beispielsweise war, was das Orchester betrifft, mehr Probe als Aufführung, und der Enrico von Marc Vinco war möglicherweise nicht ganz fit angetreten. Es sei auch angemerkt, dass das Orchester beim Schlussapplaus am 9. Oktober ein paar Missfallensäußerungen entgegennehmen musste – auch der frauenliebende Heinrich wurde von einigen Besuchern diesbezüglich nicht geschont. Der Abend am 23. Oktober hinterließ einen deutlich besseren Gesamteindruck. Das begann schon beim Orchester, dass sich von Evelyn Pidò zu einem angenehm durchhörbaren Donizetti verleiten ließ. Auch die trägen Tempi, mit denen Pidò am 9. Oktober offenbar aus Sorgsamkeit fürs Ganze durch den Abend manövrieren musste, hatten sich verflüssigt. „Anna Bolena“ zählt meiner Einschätzung nach musikalisch zu den interessantesten Werken Donizettis, in dem Anflüge von Rossini und Bellini sich zu einer neuen durchaus zukunftsweisenden Musiksprache verdichten. Rossinis „Mechanik“ und Bellinis „Romantik“ machen einen feinen Schwenk zu einem „psychologischen Realismus“, der den reifen Verdi vorwegnimmt – wobei ich mehr an die Beziehungen von Giovanna zu Enrico und Giovanna zu Anna denke, als an die üblichen Tenor-Sopran-Amouren. Da fällt es doppelt ins Gewicht, dass eigentlich noch keiner der Enricos, die seit der Premiere in dieser Produktion die Staatsopernbühne erklommen haben, rundum überzeugt hat. Marco Vinco hat sich auch in der vierten Vorstellung nicht profiliert. Sein Bass, vom Timbre durchaus mit einer leichten, passend grimmigen Note versehen, klang nicht nur in der Höhe zu flach und wenig raumfüllend. Der Sänger wurde in der zweiten und dritten Aufführung angesagt, war möglicher Weise immer noch nicht fit. Sonia Ganassi weiß, wie sie die Emotionen schürt, und bot am 23. Oktober nach eher mäßigem Beginn eine eindrückliche Leistung – vor allem das Duett Giovannas mit Anna Bolena war aufwühlend und brachte viel Szenenapplaus ein. Dass Ganassis Mezzo auf Grund der langen Karriere nicht mehr so „taufrisch“ erklingt wie jener des Pagen von Margarita Gritskova liegt auf der Hand. Gristkovas Stimme hat sich prächtig entwickelt, ist in der Mittellage voll erotischer Fruchtigkeit, in der Höhe, bis dato noch eine leichte Problemzone, lässt die Fülle des Timbres etwas nach. Celso Albelo erhielt als Percy viel Applaus. Das „Vivi tu te ne scongiuru“ nach der Pause absolvierte er sicher und im zweiten Teil („Nel veder la tua costanza“) verlangt Donizetti nicht nur „hohe Cs“, sondern verlockt ganz wagemutige Sänger in den Schlusstakten sogar zum Einlegen eines „hohen Ds“. Albelo hat sich schon bei seiner ersten Pery-Serie im Frühjahr hier nicht knausrig gezeigt. Sein Gesang ist allerdings sehr stark auf Acuti fixiert, er hat eine Art, diese Töne hinauszuschreien, dass sie jede belcanto-verpflichtete Gesangslinie sprengen. Im Vergleich zu Albelos Herzog fand ich den Percy jedenfalls erfrischender, wenn auch nicht wirklich „stilecht“. Ryan Speedo Green war ein etwas rauhbeiniger Rochefort, in dieser Rolle aber für meinen Geschmack besser aufgehoben als beim Sparafucile. Carlos Osuna durfte als Sir Hervey ein paar Verlautbarungen machen, eine Aufgabe, der er sich in passender Weise entledigt hat. Das gilt auch für den Chor. Der Schlussapplaus währte rund 17 Minuten lang. Edita Gruberova wurden vier oder fünf Sträuße, gebunden aus kleinen Sonnenblumen, geworfen. |