ANNA BOLENA |
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Wiener Staatsoper
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Enrico VIII - Luca
Pisaroni |
Anna Netrebko ist als Anna Bolena an die Wiener Staatsoper zurückgekehrt. Das Publikum war begeistert, der Schlussapplaus blieb knapp unter einer Viertelstunde. Wo Anna Netrebko drauf steht, ist auch Anna Netrebko drin: saftig-erotisches Bühnencharisma und betörende Soprantöne, noch gereifter als bei der Premiere dieser Produktion im Jahr 2011. Netrebko verströmte damit eine lebensnahe Innigkeit und Kampfesbereitschaft, aber nicht unbedingt die verzierungssüchtige Sensibilität einer wahnsinnsgefährdeten Donizetti-Primadonna. Diese Anna geht erhobenen Hauptes in den Tod, und was sie so an Wahnsinn anfliegen mag, das ist vielleicht eine melancholische Regung angesichts des Schafotts, dem diese königliche Anna vor allem mit einem ehrenvollen, emanzipierten Stolz begegnet. Anna Bolena made by Anna Netrebko erinnert inzwischen stark an eine Verdi-Heroine – und Netrebkos „vollmundiger“ Sopran glättete die nuancierte Textur von Donizettis musikalischem Frauenroman mit „Samt“ aus und gab die biedermeierliche „Tragedia lirica“ schon ein wenig Sinne einer Shakespear‘schen Tragödie. Aber das ist kein Einwand, sondern nur eine Feststellung. Denn schon bei der Premierenserie 2011 konnte man sich davon überzeugen, dass Netrebko es verstanden hat, sich diese Rolle ein einem Sinne anzueignen, der überzeugt. Und jetzt, vier Jahre später, stellte das eifrig in die Aufführung gepilgerte Stammpublikum überrascht fest: Dieser Sopran hat an Klangfarbe sogar noch zugelegt, und ist nach wie vor kompakt, ohne störendes Vibrato oder jener Höhenschärfe, die sich Sopranstimmen im Laufe der Karriere so oft „einfangen“. Netrebko erwies sich an diesem Abend als „Allrounderin“ im besten Sinne – am überzeugendsten in der Mittellage, etwas weniger nachdrücklich in der Tiefe, ein bisschen „schwergängiger“ bei den Spitzentönen und dem ausformulierten Verzierungswerk. Luca Pisaroni sang wie schon vorige Saison den Enrico VIII – lieh ihm Nachdruck und Präsenz, auch wenn mir die Stimme an diesem Abend etwas rauer vorkam und weniger geschmeidig-klangvoll als schon von ihm gehört. Anna Bolenas Gegenspielerin Giovanna Seymour wurde von Ekaterina Semenchuk verkörpert. Die Sängerin gab an diesem Abend ihr Hausdebüt. Semenchuks Mezzo ist eine Stimme mit „Power“, aber Donizetti wohl schon entwachsen, weil zu „markant“, vor allem in der Höhe. Celso Albelo – Rollendebüt am Haus – ist einer jener raren Tenöre, die auch mal ein „hohes D“ einlegen können und über eine gutes Legato verfügen – insofern also eine ideale Besetzung. Allerdings neigte er aus meiner Sicht dazu, die Höhen zu stemmen, was dem Gesamteindruck nicht so förderlich war, und zweitens ließ sein Tenor ein helles, leicht nasal gefärbtes Timbre hören, das die obere Mittellage und das Piano sehr trocken anfärbt (und erst dann wieder mit mehr Resonanz schwingt, wenn der Sänger kraftvolle Acuti setzt). Diese Eigenschaften hoben sich vom Wohlklang einer Anna Netrebko zu deutlich ab und brachten Albelo, der im Spiel etwas zurückhaltend wirkte, auch um viel Effekt – zum Beispiel beim „Vivi tu, te ne scongiuro“, obwohl er sich den Herausforderungen, die diese Arie stellt, gewachsen zeigte. Margarita Gritskova (ebenfalls Rollendebüt am Haus) sang den unglücklichen Smeton mit schönem, und in der Höhe leicht gestresst klingendem Mezzo, Carlos Osuna war als Sir Hervey nicht unbedingt die perfekte Abrundung im Umfeld einer stimmlich so kulinarisch aufsingenden englischen Königin. Dan Paul Dumitrescu sang einen schönstimmigen Rochefort. Andriy Yurkevych holte aus dem Orchester einiges an Klangfarben und differenziertem Spiel, wobei die instrumentalen Passagen insgesamt mehr überzeugten, als die oft in zu trägen Gewässern kreuzende Sängerbegleitung. Die
in den Kostümen historisierende und an Kulissen nur mit dem Notwendigsten
versehene Inszenierung bietet vor allem Rampentheater und rückt Anna
Bolena alias Anna Netrebko in den Mittelpunkt – aber wer könnte
in diesem Fall etwas dagegen haben? |