ANNA BOLENA

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Wiener Staatsoper
25. Oktober 2013


Dirigent: Evelino Pidò

Enrico VIII - Luca Pisaroni
Anna Bolena - Krassimira Stoyanova
Lord Riccardo Percy - Stephen Costello
Giovanna Seymour - Sonia Ganassi
Lord Rochefort - Dan Paul Dumitrescu
Smeton - Juliette Mars
Sir Hervey - Carlos Osuna


„Anna Bolena, Wiederaufnahme“

(Dominik Troger)

Gaetano Donizettis „Anna Bolena“ ist schon mehr eine Oper für Liebhaber, aber dass bereits die 7. Aufführung an der Staatsoper als Wiederaufnahme gegeben wurde, scheint rekordverdächtig.

Allerdings stand seit der Premierenserie vom Frühjahr 2011 das Werk nicht mehr auf dem Staatsopernspielplan – Aufführungen in Tokio im Rahmen eines Japangastspiels mit Edita Gruberova ausgenommen. Bei den ersten sechs Vorstellungen haben Anna Netrebko in der Titelrolle und Elina Garanca als ihre Rivalin um den englischen Thron zugkräftig das Interesse an Donizettis Königinnendrama gepusht. Die Wiederaufnahme, die ganz ohne den „Hype“ um diese beiden auch medial stark präsenten Sängerinnen auskommen musste, wurde sogar im Abonnement geben (was für den Realitätssinn der Staatsoperndirektion spricht).

Als Anna Bolena wurde diesmal Krassimira Stoyanova aufgeboten – eine Sängerin, die man nicht unbedingt mit Donizetti in Verbindung bringt, obwohl sie diese Partie schon viele Jahre im Repertoire hat. Sie hat in Wien zuletzt etwa als Ariadne, Elisabetta, Desdemona begeistert. Es ist ihre Stärke, leidenden Frauengestalten eine human-unprätentiöse Stimme zu verleihen, selbstbewusst bis zur Selbstaufgabe, ihnen eine schutzbedürftigen Seele schenkend, die sich in den äußeren Ansprüchen ihres klaren Soprans oft stark zurücknimmt. Als „Anna Bolena“ kam dieses Merkmal beispielsweise in der finalen Szene ab ihrem „fragenden“ Auftritt mit „Piangete voi?“ zum Tragen, in der Stoyanova Annas Emotionen mit zart koloriertem Mitgefühl zum Ausdruck brachte. Stoyanova gestaltete Annas Leiden vor dem Hofstaat zu einer intimen, von feinsinnigem Wahnsinn umsponnenen Szene – aber die repräsentative Seite der Königin blieb dabei wie ausgeblendet.

Was in dieser einen Szene durchaus Sinn macht, zeigte sich über den ganzen Abend betrachtet eher als Nachteil. Stoyanovas künstlerischer Standpunkt und der Charakter ihres Soprans wirkten etwas zu „ehrlich“, um Donizetti auch dorthin zu folgen, wo sich sängerische Selbstdarstellung und Bühnenfigur überdecken. Besonders deutlich wurde das beim werkbeschließenden „Coppia iniqua“ das nicht zur selbstbewussten Demonstration von Annas königlichem wahnsinn- und verzweiflungsgebeuteltem Vergebungswillen geriet, sondern fast ein wenig energiearm dem Abend das operntheatralische Gustostückerl abspenstig machte.

Dabei hatte Stoyanova in technischer Hinsicht die Partie besser im Griff als die Premierenbesetzung (auch wenn sie manch möglichen hohen Ton nicht sang). Doch ihre gute Tiefe und ihr sicheres Koloraturenwerk kamen für meinen Geschmack trotzdem nicht so bühnenwirksam zur Geltung. Weil Stoyanova längst bei Verdi, Puccini, in der französischen Oper und neuerdings auch bei Richard Strauss ihr sängerisches Glück gemacht hat, erscheint diese Wiener „Anna Bolena“ im Vergleich mehr als reizvolle Zugabe.

Ihr böser Gemahl wurde von Luca Pisaroni gesungen. Elegant in der Erscheinung, die Stimme angenehm timbriert, vielleicht zu wenig kantig und „schwarz“ in Ausdruck und Klang? Müssten dieser Bühnencharakter nicht mehr an Stoff für gestalterische Nuancen abgeben? Pisaroni hat aber einen nachhaltigeren Eindruck hinterlassen, als der in der Premiereserie nicht ganz fit angetretene Ildebrando D`Arcangelo. So richtig in den Belcanto-Gefühlsrausch schien nach meiner Einschätzung nur Sonia Ganassi als Giovanna Seymour einzutauchen, manchmal schon etwas Vibratoreich, aber energetisch im Erleben und Darstellen der Rolle. Elina Garanca, um auch hier einen Vergleich zu bemühen, hinterließ bei mir einen emotional kühleren Eindruck, machtpolitisch korrumpierter, von der Stimme luxuriöser – wenn auch etwas heller timbriert.

Stephen Costello präsentierte einen gut tragenden, elastischen lyrischen Tenor leicht nasal gefärbt – vom Timbre eine Mischung aus dem jungen Joseph Calleja mit „Schellackhauch“ und von Juan-Diego Florez, was für Donizetti eine Mischung mit viel Potenzial ergibt wie an diesem Abend zu hören war. Allerdings verlieh diese Mischung seiner Stimme eine individuelle Note, die möglicherweise schon stark Geschmackssach ist. Costello hat den Percy schon an der New Yorker Met gesungen. Er zeigte sich höhensicher, wenn auch mit unterschiedlicher Prachtentfaltung bei den Spitzentönen (ein paar „hohe Cs“ hält die Partie für mutige Sänger schon bereit). Woran es noch zu mangeln scheint, ist die Ausgewogenheit im Vortrag (vor allem seine Mittellage kommt schön und locker, nach oben wird die Stimme enger und klingt dann und wann etwas gepresst) – und zuviel Statik im Spiel. Insgesamt war es eine vielversprechende Begegnung in einer schwierigen Partie.

Juliette Mars sang einen soliden Smeton – und bis auf den als Rochefort bewährten Dan Paul Dumitrescu hatten alle Mitwirkenden Rollendebüt am Haus (ohne Einbeziehung des schon erwähnten Japan-Gastspiels). Evelino Pidò sorgte für eine manchmal etwas dahinplätschernde, in Summe aber sängergerechte Begleitung aus dem Orchestergraben. Die Inszenierung ist in diesen zwei Jahren nicht einprägsamer geworden, lebt von einigen schönen Kostümen, für den Rest müssen die Sänger selbst sorgen. Die fast behelfsmäßig anmutende Chorführung verblüfft jedes Mal aufs Neue. Der Schlussapplaus war stark aber nicht überschäumend und dauerte rund neun Minuten lang.

Fazit: Es wird schwer sein, „Anna Bolena“ einen Stammplatz im Staatsopern-Repertoire zu verschaffen. Aber wenn es stimmt, dann gibt es die nächsten Aufführungen spätestens in zwei Jahren – und zwar mit Edita Gruberova als englischer Königin.