ANNA BOLENA

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Wiener Staatsoper
8. April 2011


Dirigent: Evelino Pidò

Enrico VIII - Ildebrando D`Arcangelo
Anna Bolena - Anna Netrebko
Lord Riccardo Percy - Francesco Meli
Giovanna Seymour - Elina Garanca
Lord Rochefort - Dan Paul Dumitrescu
Smeton - Elisabeth Kulman
Sir Hervey - Peter Jelosits


„Anna Bolena, 3. Aufführung“

(Dominik Troger)

An der Staatsoper sorgte auch die dritte Aufführung von „Anna Bolena“ für ein volles Haus. Der Abend brachte keine grundlegend neuen Erkenntnisse, trug aber doch dazu bei, die persönliche Sichtweise zu verfeinern.

Ob sich „Anna Bolena“ einen ständigen Platz im Staatsopern-Repertoire erobern kann, darf bezweifelt werden, aber die Aufmerksamkeit, die diese Premiere dank ihrer Besetzung erreicht hat, ist enorm. Nicht nur die Medien, sondern auch die einschlägigen Internetforen befassen sich mit dem Thema. Man kann dort alles Mögliche über die technischen Feinheiten des Belcanto-Gesanges nachlesen, über die Vorzüge und Nachteile der Besetzung, über den angeblichen Geschmack des Publikums und des neuen Operndirektors.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass gegenüber Anna Netrebkos „Belcanto-Qualitäten“ eine gewisse Skepsis vorherrscht (die aber eigentlich nichts Neues ist) – und dass sich ihre Fans gerne vom außergewöhnlichen Timbre ihres Soprans umschmeicheln lassen (und das ist auch nicht neu). Dass die Sängerin die „Anna Bolena“ mit eingebremster Verzierungslust zum Besten gibt und insgesamt in der musikalischen Gestaltung etwas schwerfällig bleibt, ist unüberhörbar. Aber sie stellt ihre betörende Mittellage gleichsam in die Auslage – ein bisschen so wie sich selbst, wenn sie zum Beispiel im Finale an die Rampe marschiert, so als ob sie das Publikum jetzt ganz persönlich mitnehmen möchte bei ihrem Gang aufs Schafott. An diesem Abend setzte sie die Spitzentöne sicherer und risikofreudiger als in der Premiere – und von ihrer Bühnenpräsenz her, diesem kalkulierten Sexappeal aus körperlicher Erscheinung, breiter, kusslippiger Stimme und reizvollem Kostüm – wer möchte ihr da widerstehen?

Dabei vermischt sich meiner Auffassung nach bei ihrer Darstellung der englischen Königin „Anna mit Anna“ doch stärker, als es sein sollte. In manchen Rollen ergeben sich daraus bezwingende Symbiosen – im Belcanto-Fach mit den fragilen, romantisch-leidenden Frauengestalten, die so leicht unter dem Druck der Verhältnisse in Wahnsinn ausbrechen, passt das dann aber nicht mehr ganz zusammen.

In einem Interview mit der BÜHNE 4/11, S34ff, sagte Netrebko über die Schlussszene der Anna Bolena: „Ich möchte nicht, dass das Finale als Wahnsinnsszene ausgelegt wird. Gegen diese eindeutige Festlegung wehre ich mich. Die Stärke dieser Frau soll bis zum Schluss spürbar bleiben.“ Vielleicht kommt man hier diesem Phänomen auf die Spur, das ich oben beschrieben habe. Anna Netrebkos Auftreten, ihre Stimme, ihr Timbre ist voller Selbstbewusstsein. Die weltflüchtende Selbstaufgabe einer Wahnsinnigen im Reich subtiler Klangkaskaden, in ein fast spielerisch zu nennendes Jonglieren mit gesanglich auszudrückenden Bewusstseinszuständen, das scheint nicht ihre Welt zu sein. Als Anna Bolena vermittelt sie vor allem die begehrenswerte Königin, deren Sehnsüchte und Leiden. Sie tut dies sehr lebensnah und im Wesentlichen ohne die subtil gebrochene Realität schönklingenden Ziergesanges. Diese Rollenauffassung muss man nicht teilen, aber sie funktioniert in der angewandten Praxis einer Opernaufführung durchaus auf beeindruckende Weise.

Elina Garanca hat in dieser dritten Vorstellung Annas Rivalin stärkere Konturen und spürbar mehr Intensität verliehen. Interessant, dass sich auch an diesem Abend ihr erster Auftritt in der zweiten Szene des ersten Aktes ein wenig nach „Kaltstart“ anhörte – und dass die Stimme etwas Zeit brauchte, um auf „Betriebstemperatur“ zu kommen. An den Koloraturen konnte man den Unterschied zu Netrebko hören: bei Garanca sind sie viel deutlicher herausgearbeitet. Ihr Mezzo klang mir allerdings schon in der Premiere dramatischer und etwas herber als erinnert, so als habe sich die jugendliche Fülle ihres Timbres ein wenig mit Metall angereichert. Das färbte den Klang ihrer Stimme etwas kühl und unnahbar.

Bei Ildebrando D`Arcangelo zeigte sich ein Aufwärtstrend, die Stimme klang kräftiger und ausgeruhter. Aber diesen Damen stiehlt sein „böser Heinrich“ sicher nicht die Show. Francesco Melis Tenor erschallte kräftig, aber er plagte sich ein wenig durch die Partie. Elisabeth Kulmans Smeton klang an diesem Abend etwas unstet. Dan Paul Dumitrescu zeigte sich wie schon in der Premiere als solider Lord. Evelino Pidò hat Donizettis Partitur schön aufbereitet, richtig spannend wurde es hingegen selten.

Zur Inszenierung muss man nicht mehr viel sagen – Bühnenbild und Kostüme könnten auch für andere Opern verwendet werden (Otello, Don Carlos etc.) Es hat unwidersprochen seinen Charme, wenn wieder einmal echte „Geharnischte“ über die Bühne marschieren, mit Hellebarden oder ähnlichem Kriegsgerät ausgestattet. Leider ist die Chorführung unter jeder Kritik, die Sänger-Stars wissen sich einigermaßen mit Standardgesten zu behelfen. Es gibt sogar einen Luster, der schräg über dem Bett hängt, den habe ich in der Premierenbesprechung unterschlagen. Der Thron ist drehbar! Einmal schleicht sich Giovanna Seymour an den Thron heran, um ihn zu berühren. Vor der Hinrichtung darf sich Anna Bolena von ihrer Tochter verabschieden.

Der starke Schlussapplaus dauerte rund 12 Minuten. Nach dem ersten Ensemble mit Netrebko im ersten Akt gab es einen einzelnen Buhruf auf die offene Bühne. Wem er galt? Man wird es nie erfahren. Im Laufe des weiteren Abends meldete sich dieser verhaltensauffällige Opernbesucher nicht mehr zu „Wort“.