DIE FREMDE

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Museumsquartier Halle G
9.9.2001

Welturaufführung

Libretto: Johanna Doderer nach Euripides in der Übersetzung von J.J.C.Donner

Musikalische Leitung: Huw Rhys James
Regie, Bühne, Licht: John Lloyd Davies
Kostüme: Barbara Hölbling
Bewegung und Körperarbeit: Johanna Kienzl

Ensemble Musikwerkstatt Wien

Eine Produktion der Musikwerkstatt Wien

Medea - Eva Steinsky
Jason - Mark Beudert
Amme - Gabriele Uher
Hofmeister - Steven Gallop
Kreon - Konrad Huber
Kind - Vinzent Leitgeb



Und ewig lockt der Mythos...
(Dominik Troger)

(1) Eine Welturaufführung. Ein kleiner, fast vollgefüllter Saal mit schätzomatisch 300 Zuschauern, vielleicht ein, zwei Dutzend mehr. Die Garderobezettel wurden mit der Hand geschrieben, das war rührend. Aber dieser Hinweis auf eine gewisse Un-Professionalität des Welturaufführungsambietes zielt ins Leere. Denn bis auf die immer noch unmögliche Form der Programmhefte (schmal und auf A4 Überformat hochgezogen und unarchivierbar) hat die Musikwerkstatt Wien wieder eine sehr solide Aufführung auf die Beine gestellt. (Großer Dank auch gleich vorweg für das Libretto als Zugabe.) Der Haken an der Sache, ja es gibt doch einen, hat sich woanders eingedreht. Und er hatte wohl auch gröbere Ursache daran, dass der Applaus nachher den Rahmen einer freundlichen Beifallsbekundung nicht verließ, durchbrochen von ein paar pflichtbewussten Bravo-Rufern.

(2) Ich kann mir das wirklich ausmalen, wie einen das Thema gefangen nimmt. Ein antiker Mythos. Medea. Eine Frau. Ein Stoff an dem das Blut von Jahrtausenden klebt, eingraviert in die morphologischen Felder abendländischen Denkens. Wer käme davon los? Der neue Titel "Die Fremde" verschärft den Isolationsanspruch des "Medea" genannten Individuums. Aber der Name Medea ist zu stark, als dass man sich diesen Titel darüber merken könnte. Der Text kommt von Euripides, die altertümliche Sprache des Übersetzers hat die Komponistin beibehalten, sie ist der eine Anknüpfungspunkt für die mythische Gegenwart Medeas. Der andere ist die Musik. Ist sie es?

(3) "Ich empfinde mich vor allem als eine Komponistin der Übergänge," wird Johanna Doderer in einem Werbefolder zitiert, der einige Wochen vor der Aufführung verschickt wurde. "Übergänge, welche in dynamischen Prozessen sich überlappen, verdrängen, Platz schaffen für neue Übergänge." Nachdem eine Art von Meeresrauschen den Abend eingleitet und dreimal wiederholtes Sirenengeheul eines akustisch vorüberbrausenden Einsatzfahrzeuges die versammelte Besucherschar wachgerüttelt hat - ein Klangrealismus der unikat bleiben sollte - beginnt das Orchester mit einer halbmelodischen Attitüde in jene rhythmische Strukturierung überzuleiten, die die Hintergrundstrahlung dieser Partitur bildet. Minimalistische Konzepte erzeugen üblicherweise eine stringente Dynamik, die sich beim Zuhörer in Fußwippen oder "Zeigefinger-auf-Oberschenkel-Pochen" auslebt - und das war in der Tat ein sehr stark vorhandenes Merkmal. Allerdings hat Doderer - und das sollte der Begriff der Hintergrundstrahlung verdeutlichen - meist vermieden, diese rhythmische Redundanz zu sehr in der Vordergrund zu spielen. Dort, wo das passiert - und da ist es wirklich frappant (war es zu Begin der fünften Szene?) - meinte man, Philip Glass schaue kurz in den Saal herein.

(4) Was aber noch mehr frappiert ist die Führung der Singstimmen, die sich um diesen Minimalismus nicht bekümmern, und wie fremdartige Gewächse aus dem 20. Jahrhundert wirken. Das scheint ziemlich risikolos gesetzt, beginnend bei der Strauss'schen "Elektra" und verliert sich irgendwo im weiten Raum eines konventionellen "Nachkriegsmodernismus", der zum nervösen Minimalismus des Orchesters in unaufgelöster Diskrepanz steht. Während also die Sänger "singen" - und sie können das auch wirklich "singen" (insoferne darf man dieses Attribut der "Konventionalität" verstehen) - arbeitet die Orchesterbegleitung beständig dagegen, wie ein sich immer vorwärtsdrehender Mahlstrom, ein rhythmisierendes schwarzes Loch, und saugt das alles gleich wieder auf. Was daraus resultiert ist keine Spannung für den Zuhörer, sondern eine sich stets gleichbleibende Vernichtung des dramatischen Impulses durch eine Art von oszillierendem Gravitationsfeld, das die Wahrnehmung all dieser psychologisch-mythischen Nuancen, die ja im Text angelegt sind, die auch der darstellerische Aspekt der SängerInnen ausdrückt, neutralisiert. Ist das so gewollt?

(5) Es wird dem dramatischen Impetus von Seiten der Singstimmen viel zu wenig Raum gegeben. "Warum, ihr Kinder, warum blickt ihr mich so an?" Wie schnell wird das von Medea hingesungen, verschluckt von der vorwärtsstrebenden Partitur, die anscheinend von einem "Übergang" zum nächsten hechelt. Die ganze Auseinandersetzung mit Jason (in der Medea auch Koffer schmeißen darf, aber das gehört schon zu den szenischen Anmerkungen) ist eine einzige "Verschlingung", die keinen Platz für eine psychologische Entwicklung und Feinzeichnung lässt. Ein Satz wie "Warum, ihr Kinder, warum blick ihr mich so an?" der duldet keine Übergänge neben sich. Welch packendes, ahnungsvolles Fragen steckt in diesem Satz, welche mythische Geschehensvorgewissheit spricht aus diesem zu uns. Aber wie wegkaschiert huscht er über die Rampe der Halle G im neuen Museumsquartier und verpufft im Zeigefingerklopfen der Orchesterbegleitung. Dort, wo alles zum Übergang wird, kann es keine Entwicklung mehr geben. Das Resultat ist eine Art von Versteinerung, Medea, von Anfang an in ihr Schicksal eingemauert, einzementiert, jeglicher Nuancierungsmöglichkeit beraubt, singt ihren Part, ohne dass ihr ein Gestaltungsraum gelassen würde, ohne dass sie in jenem zitierten Satz kurz innehalten dürfte "ihr Kinder...!?" Wenn bei all diesem dramatischen Impakt, zu dem eine Bearbeitung des Medea-Mythos fähig wäre, letztlich nur der Widerspruch eines "statischen Übergangs" zurückbleibt, dann ist das Ergebnis ein wenig ernüchternd. Vielleicht sollte Doderer wirklich mehr solche Atempausen einbauen, wie nach dem heftigen Wortgefecht mit Jason, als Medea zu Boden sinkt, und das Orchester sich endlich einmal ausruht und in schwebender Klangfläche verharrt - ehe es, sich selbst verheizend, weiterspielt. Die Oper könnte dann statt 70 Minuten vielleicht 90 dauern, aber sie hätte dadurch eine Chance, sich auch dramatisch zu entfalten und nicht nur, wie eine ständig unter Spannung stehende Glühbirne, einförmig vor sich hinzuleuchten.

(6) In Summe bleibt einem dieses rhythmisch-orchestrale Flattern im Ohr, das da und dort von motivischen Klangornamenten durchbrochen wird, die sich aber alle nicht wirklich auswachsen dürfen, sondern mehr fragend, machmal auch redundant, durch den Raum geistern. Oft hat man das Gefühl, die Geschichte der Moderne, wie verworfene Gesteinsschichten zu durchbohren - und in Summe macht das einen zeitgenössischen Eklektizismus, der nicht ohne Reize ist, aber in diesem Falle vor allem nach einer bühnendramatischen Orientierung verlangte. Leider ging das von Doderer ebenfalls im Programmheft angesprochene Konzept der dynamischen Feinzeichnung als "formbildendem Element" bei der Umsetzung irgendwo in der mageren Akustik des Raumes verloren, und wenn man auch dem Ensemble der Musikwerkstatt Wien alle Hochachtung aussprechen muss, so gibt es für zeitgenössische Musik gerade auch in Wien profiliertere Orchester.

(7) Das dunkel gehaltene Bühnebild wurde durch helle, eckige, mit griechischen Schriftzeichen bedeckte Säulenstümpfe gegliedert, kleine vorne, hinten höhere. Im Vordergrund markierte ein großer Kreis mit einem abstrakten Ornament, griechischer Keramik nachempfunden, Medeas "Kampfplatz." Die Männer haben alle braune Hosen an, so in diesem diskriminierenden Braun der dreißiger Jahre. Der Chor, fünf-stimmig, wird nur von Frauen gesungen, schwarze Kleider und Stiefel. Die Konzeption, ihn auch als eine Art gespaltene Persönlichkeit von Medea aufzufassen sowie als Frauen von Korinth (wie es das Programmheft weiß), war nicht wirklich eingängig. Nicht zu vergessen das langgezogene rote Dreieck, dass über der Bühne angebracht, wie eine Feuerzunge, wie eine sexuelle Assoziation, wie gestockter Blutfluss, auf die Hauptdarstellerin herabwies. Beeindruckend war die Lichtregie, die als zusätzlich belebender Faktor, die teilweise seichte Regiearbeit (Medea wirft neben den Koffern auch noch einen weißen Sessel etc.) sehr ansprechend ausgeleuchtet hat. Eva Steinsky, im wesentlichen auf den Kreis festgebannt, hat sich mit aller Kraft auch den wenigen dramatisch forcierten Höhen angenommen (die eben diese "Elektra"-Assoziationen in mir wachriefen). In dem kleinen Saal kam die Besetzung durchwegs sehr gut an, nur die eine oder andere Chorstimme zeigte schon in diesen beschränkten Räumlichkeiten einen gefährlichen Hang zur "Ausdünnung".

(8) Aber wie hat die Komponistin nicht selbst gesagt: "Das ist jetzt ein Anfang, wie es weitergeht, wird man sehen."