PELLEAS ET MELISANDE
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Kammeroper
12. Februar 2018

Musikalische Leitung: Thomas Guggeis

Inszenierung: Thomas Jonigk
Ausstattung: Lisa Däßler
Licht: Franz Tscheck

Wiener KammerOrchester

 

Arkel - Florian Köfler
Geneviève - Anna Marshania
Pelléas - Julian Heneao-Gonzalez
Golaud - Matteo Loi
Mélisande - Anna Gillingham

Stumme Rollen:
Yniold / junger Pelléas - Quentin Retzl
Junge Mélisande - Lana Matic


Abgemagerter Debussy
(Dominik Troger)

Das Theater an der Wien hat sich in der Kammeroper an Claude Debussys „Pelléas et Mélisande“ gewagt. Das Werk wurde auf eine Spiellänge von rund zwei Stunden gekürzt. Es gab keine Pause. Der überheizte Saal war eine zusätzliche Herausforderung.

Es ist verständlich, dass die Kammeroper die Proportionen der Oper an ihre Größe und Möglichkeiten hat anpassen müssen. Musikalisch hat man auf eine harmoniumgestützte Bearbeitung für Kammerorchester von Annelies van Parys zurückgegriffen – und ohne große Striche und Vereinfachungen ist es auch nicht abgegangen. Das Produktionsteam hat sich vor allem auf das Beziehungsdreieck Mélisande, Pelléas, Golaud fokussiert. Ein Opfer dieses Konzentrationsprozesses war die Figur des Arztes (ganz gestrichen), es gab Kürzungen bei den Zwischenspielen, und ganz gestrichen wurde z.B. die dritte Szene des zweiten Aktes.

Aber vor allem Yniold hat „abspecken" müssen: Nicht nur, dass ihm die Szene mit dem Ball und den Schafen gestrichen worden ist, man hat ihn gleich zu einer stummen (!) Rolle gemacht. Das überrascht natürlich, weil er doch einiges zu singen hätte. Vor allem seine Szene im dritten Akt, in der er für Golaud Pelléas und Mélisande nachspioniert, ist nicht nur wichtig, sondern (zumindest nach meinem Dafürhalten) eine der packendsten der ganzen Oper. In der Kammeroper ist man auf den „abstrusen“ Gedanken verfallen, in dieser Szene Yniolds Gesangspart an Mélisande (!!!) weiterzureichen. Mélisande befindet sich also während dieser Szene mit Yniold und Golaud auf der Bühne. Sie singt anstelle von Yniold, sie küsst Golaud sogar anstelle von Yniold – während sie gleichzeitig mit Pelléas in ihren Gemächern sitzen sollte, um dort durch ein Fenster von Yniold beobachtet zu werden.

Ob das Programmheft, mit allerhand „erhellenden“ Anmerkungen zur Inszenierung versehen, dieses Rätsel löst? Nicht wirklich. Wobei die dort abgedruckte Inhaltsangabe – wie heutzutage üblich – natürlich nicht den Inhalt der Oper wiedergibt, sondern den des „dramaturgischen Desiderats“. „Mélisande erinnert sich: (...)“ – das ist der Schlüssel zu dieser Inszenierung – und der Beginn dieser Inhaltsangabe. Mélisande ist also nicht gestorben, sie erzählt die Handlung dem Publikum, sie erlebt sie noch einmal, gleichsam als therapeutischen Akt. Sie hat sich dazu entschlossen, ihrem bisherigen Leben an der Seite ihres Mannes Adieu zu sagen und ihre Familie hinter sich zu lassen. (Und vielleicht hat Yniold ihr erzählt, dass Golaud ihn dazu gedrängt hat, durch das Fenster in ihre Kammer zu spechteln?)

Außerdem wurde arg am Charakter Mélisandes herumgebastelt. Dazu hat sich Regisseur Thomas Jonigk im Programmheft geäußert (es war seine erste Operninszenierung): „Für mich ist Mélisande eine aktive (...) Frau von heute. Auf keinen Fall möchte ich Mélisande als ein ätherisches, elfenhaftes Wesen darstellen. Wie so viele weibliche Rollen in der Oper wäre das wieder eine Männerfantasie.“ Wer bisher der Meinung war, dass es sich bei der „originalen“ Mélisande um ein extrem sensibles, womöglich schwer traumatisiertes Geschöpf handelt, wird jedenfalls überrascht sein.

Bereits am Beginn schien vieles nicht zusammenzupassen. Golaud findet auf der Bühne eine kindliche, viel jüngere Mélisande. Die „richtige“ Mélisande steht einige Meter von ihm entfernt. Sie singt, dass man sie nicht berühren soll, während sich Golaud (mit einer Bärenmaske unter dem Arm) überhaupt nicht um sie, sondern um die junge Statistin kümmert. Warum der arme Yniold in weißer Unterwäsche auftreten musste, ich weiß es nicht. Die Szene mit Mélisandes Haar blieb blass, weckte kaum den in ihr verborgenen „erotischen Symbolismus“. In der großen Liebesszene im vierten Akt entkleiden sich Pelléas und Mélisande selbst bis auf die Unterwäsche: Pélleas in weißem Feinripp (wobei ich mich jetzt nicht auf die Art der Maschenware festlegen möchte), Mélisande in dezenten, rosagetönten Dessous. Offensichtlich hat hier Regisseur Thomas Jonigk den größten „Holzhammer“ ausgepackt, den er finden konnte, um das Publikum auf einen möglichen Ehebruch der beiden hinzuweisen.

Einiges geriet außerdem sehr unklar, wenn sich Genevìeve in Mélisande verwandelt und auf einem Tisch stirbt und mit einem weißen Leintuch abgedeckt wird (?) oder wenn Golaud nach seinem Reitunfall wieder mit der Bärenmaske auftritt oder wenn immer wieder dieses Kind Mélisande auftaucht. Es ermüdet inzwischen sehr, die Opernbühnen beständig mit zusätzlichem Personal geflutet zu sehen, überall Doppel- und Dreifach- und Vierfachgänger und -innen, die bedeutungsschwanger dem Geschehen zuschauen, bedeutungsschwer sich darein mischen und die vor allem von der Handlung ablenken.

Gelitten hat der Abend außerdem unter dem unattraktiven Bühnenbild (ein schwarzes Zimmer mit einem Fenster). Die Kargheit dieser „Blackbox“ hat die Personenregie bei weitem nicht ausgefüllt. Immerhin wurde der Orchestergraben mit einer begehbaren Rampe umbaut, um den Mitwirkenden ein paar „Ausweichrouten“ aufzuzeigen. Der Orchestergraben diente außerdem als „Pool“, in dem der goldene Ring verschwand. Auch die Lichtregie hätte viel inspirierter sein können. Man muss doch nur Debussys Musik in Licht und Farben verwandeln!?

Die Fassung für Kammerorchester geht natürlich mit Kompromissen einher und ist prinzipiell kritisch zu hinterfragen. Das impressonistische Schillern der Klangfarben erscheint deutlich reduziert. Zugleich verlagert sich der Schwerpunkt mehr auf die Gesangsstimmen, was auch Vorteile mit sich bringt. Das Wiener KammerOrchester unter Thomas Guggeis hätte in dem kleinen Raum aber etwas leiser und sensibler aufspielen können. Es gelang es nicht, durchgehend die Spannung zu halten (vielleicht dauerte der pausenlose Abend doch um eine entscheidende Viertelstunde zu lange).

Anna Gillingham, in ein einfaches weißes Kleid gehüllt, war auf Grund des Regiekonzepts eine ungewohnt selbstbewusste Mélisande, die mit ihrem festen lyrischen Sopran im Zentrum stand und wesentlichen Anteil daran hatte, dass man dieser „Sparversion" von Debussys Oper noch einige positive Aspekte abringen konnte. Julian Heneao Gonzales lebte sich mit seinem lyrischen Tenor als phasenweise intensiver Pelléas aus. Matteo Loi mit Uniform, manchmal mit einfacher, goldener Scherenschnitt-Krone ausgestattet, gab den eifersüchtigen Golaud mit seinem griffig gereiften und in jugendlich-traurigen Farben gemalten Bariton. Florian Köfler ließ als Arkel wieder seine vielversprechende Bassstimme hören, und Anna Marshania war eine junge, hauptsächlich schauspielerisch zum Einsatz kommende Geneviève. An den Sängerinnen und Sängern lag es nicht, dass Debussys Oper an diesem Premierenabend einen ziemlich abgemagerten Eindruck hinterlassen hat.

Das Publikum dankte mit viel Applaus.