PELLEAS ET MELISANDE
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Wiener Staatsoper
21. Oktober 2017

Musikalische Leitung: Daniel Harding

Arkel - Peter Rose
Geneviève - Janina Baechle
Pelléas - Bernard Richter
Golaud - Simon Keenlyside
Mélisande - Christiane Karg
Der kleine Yniold - Maria Nazarova
Arzt - Marcus Pelz


Sensibles Beziehungsgeflecht
(Dominik Troger)

Die Wiener Staatsoper hat im Oktober vier Vorstellungen von Claude Debussys „Pelléas et Mélisande“ angesetzt. Anbei einige Eindrücke von der letzten Aufführung dieser Serie – der, so der Programmzettel, neunten in der Neuinszenierung von Marco Arturo Marelli (Premiere Juni 2017).

Dieser „Pelléas“ ist sozusagen noch eine „Novität“, die jetzt im Repertoire dank einer Neubesetzung der beiden Titelpartien und einer Veränderung am Pult ein kräftiges Lebenszeichen von sich gegeben hat. Das konnte nicht einmal ein zum Teil sehr unruhiges Publikum verhindern. Vor allem Bernard Richter als Pelléas, Christiane Karg als Mélisande und Daniel Harding am Pult gaben dem Werk ein viel stimmigeres Flair als die Premierenbesetzung – zumindest nach meinem Eindruck und Geschmack.

Um gleich mit dem Liebespaar zu beginnen: Christiane Karg hat sich in den letzten Jahren zu einer der bedeutendsten lyrischen Sopranistinnen entwickelt. Ihre Stimme ist wie geschaffen für die „Wiener Klassik“, aber auch für das französische Fach. Ihr Sopran schimmert luxuriös wie von feinem Blattgold überzogen, eine edle, Stimme, deren Opernrepertoire von der Sängerin sehr behutsam entwickelt wird. Die Mélisande an einem großen Haus mag schon ein wenig eine Grenze darstellen, aber dank der dynamisch sensiblen Begleitung durch das von Daniel Harding geleitete Orchester konnte Kargs feinfühliges Porträt der Titelfigur seinen vollen Zauber entfalten.

Karg brachte die Verletzlichkeit von Mélisandes Seele auf die Bühne, ihr unmittelbares Reagieren auf die Umwelt, in der sie sich bewegt. Interessant war ihre Deutung des „Ring-Verlierens“, den sie mit Absicht in das Wasser warf (was einige Besucher zu laut hörbarem Gelächter anregte), und nicht „unterbewusst“ absichtsvoll verlor. Die Premieren-Mélisande der Olga Bezsmertna war nach meinem Eindruck schon wegen ihrer – im Vergleich zu Karg – dunkler gefärbten Mittellage im Nachteil, weil die Stimme, dadurch etwas schwerer wiegend, die filigranen Seelenzustände diese Frau mit zuviel „Bodenhaftung“ versah. Auch wirkte Bezsmertna nicht bis in jede Faser hineingezogen in dieses Stück, in diese Musiksprache Debussys. Bei Karg hatte ich das Gefühl, als schwebe die Sängerin selbst ganz in diese Partie hinein, einen eleganten und zugleich schüchternen Eros ausstrahlend und Debussys Tongemälde mit sicherem Instinkt durchstreifend.

Ihr stand mit Bernard Richter ein Pélleas gegenüber, der Mélisande unbekümmert begegnete: ein Mélisandes Seele nährendes Licht in der von ihr beklagten Düsternis des Schlosses. Bernard Richter war wie Christiane Karg dem Wiener Publikum u. a. schon von Aufführungen im Theater an der Wien bekannt. Seine Karriere hat in den letzten zehn Jahren an Dynamik gewonnen, die Stimme ist gereift, seinen hellen, lyrischen Tenor durchströmt jetzt eine sonnige Wärme, die ihm Gewicht gibt und genug Kraft, um mit gesättigtem Wohlklang die Staatsoper zu füllen.

Auch hier ist wieder der Vergleich mit der Premierenbesetzung erhellend: Adrian Eröd hatte den Nachteil, dass er sich stimmlich vom Golaud Simon Keenlysides zu wenig abhob. Beides sind eher schlanke, eher nach der Höhe hin orientierte Baritonstimmen, auch von einem grundsätzlich intellektuellen Rollenverständnis geprägt. An diesem Abend waren die Gegensätze greifbar, Gefühl und Intellekt, Mélisande zum einen hingezogen, vom anderen „okkupiert“, das ließ einen die Psychodynamik eines Ehebruchs erahnen, die symbolistisch verklausuliert eine Familienaufstellung als Märchen beschreibt.

Auch Simon Keenlysides mit exhibitionistischer Emotionalität verkörperter Golaud konnte sich in diesem Besetzungsgefüge meiner Meinung nach besser entfalten, weil seine starke Expressivität auf der Bühne starke Gegenpole benötigt. Dadurch war die Gewichtung der Figurenkonstellation ausgewogen. Rollendebüt am Haus gab in dieser Aufführungsserie Peter Rose, der als Arkel zu gefallen wusste; ebenfalls neu war die Geneviève der Janina Baechle: eine (zu) bodenständig wirkende Adelsfrau. Maria Nazarova sang wieder den Ynold, mit jugendlicher Energie. Die Szene, in der Golaud Ynold dazu bringt, durch das Fenster Pelléas und Mélisande zu beobachten, wurde von beiden Mitwirkenden wieder sehr beklemmend dargestellt.

Daniel Harding hat mit kammermusikalischer Durchhörbarkeit musizieren lassen, sehr strukturiert und konzentriert. Außerdem hielt er die Lautstärke bis auf wenige gebotene Passagen am Zügel. Das Ergebnis war spannend, im Klang ein wenig trocken, Debussy „modern gedacht“ und „klarsichtig“ präsentiert.

Das Bühnenbild mit den grauen Betonmauern und dem großen Teich in der Mitte tötet die Naturstimmung ab, die in der Oper immer wieder zum Ausdruck kommt. Immerhin hat Regisseur Marco Arturo Marelli durch seine Lichtregie ein bisschen einen Ausgleich geschaffen. Weil das Bühnegeschehen wegen der Wasserfläche oft an den linken oder rechten Bühnenrand rückt, ist die Sicht von Seitenplätzen in einigen Szenen besonders schlecht.

Der Schlussapplaus dauerte rund sechs Minuten lang.