PELLEAS ET MELISANDE
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Wiener
Staatsoper Musikalische Leitung: Alain Altinoglu Regie, Bühne
und Licht: Marco Arturo Marelli Kostüme: Dagmar
Niefind |
Arkel - Franz-Josef
Selig
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„Nicht
Fisch, nicht Fleisch“ Kurz
vor Saisonschluss hat die Wiener Staatsoper noch eine Premiere angesetzt:
Claude Debussys „Pelléas et Mélisande“ kehrte
nach rund einem Vierteljahrhundert Abwesenheit ins Haus am Ring zurück.
Und Simon Keenlyside, als Golaud stimmlich bestens in Schuss, ist auch nicht gerade ein „Märchenerzähler“, sondern inzwischen gewissermaßen der Bühnenneurotiker vom Dienst. Wenn er sich im Finale bloßfüßig und völlig gebrochen der sterbenden Mélisande nähert, sind sein Macbeth oder sein Rigoletto nicht mehr sehr weit entfernt. Zu guter Letzt erfolgt mit besagter Flinte noch ein angedeuteter Selbstmordversuch, aber Ynold hindert ihn daran. Dieser Ynold ist vor allem ein hyperaktives Kind, das verhaltensauffällig durch die starre Betonlandschaft wirbelt. Dem psychisch angeschlagenen Golaud steht eine eher blass gezeichnete Mélisande gegenüber, die kaum jene Aura entwickelt, die man dieser nixenhaften Frau mit ihrer wunderbaren Haarpracht gerne zuschreiben möchte. Auch hat Olga Bezsmertna als Mélisande in ihren schönen Gesang kaum ein ausdrucksmäßig gestaltetes Geheimnis eingeschlossen. Die Todesszene, wenn Dienerinnen bedeutungsvoll herbei kommen und Mélisande in diesem weißen Ruderboot über den Teich in eine Morgen- oder Abendrot verhangene Ferne entführen, bringt eine kitschig anmutende Traumwelt in die Inszenierung ein. Die optische Diskrepanz zum Flachmannträger ließ sich dann nur mehr schwer überbrücken – war Melisánde vielleicht eine Botin aus einer besseren Welt, eine Art von Lohengrin, der auf Erden nichts vermochte? Pelléas steht dazwischen, sehnt sich nach der Traumwelt von Mélisande als Fluchtpunkt. Adrian Eröds Bariton zeigte sich wasserfest und höhensicher, und der Sänger konnte sich als naiv-leichtfüßiger Gegenspieler zu Golaud sehr gut in Szene setzen. Das Traumland hat er freilich auch nur gestreift, von Mélisande nicht wirklich herausgefordert. (Dass die Regie die erotisch-nächtliche Haarszene zu einer leicht läppische wirkenden Pantomime auf dem Kiel des am Strand geparkten und umgestürzten Ruderbootes umfunktioniert hat, ist ohnehin ein schwer verzeihlicher Fauxpas.) Das Orchester unter Alain Altinoglu erreichte nicht die schillernde Farbskala symbolistischer Träume, klang fast ein wenig nüchtern, manchmal ein bisschen „wagnerisch“ aufwallend. Neben längeren, wenig animierenden Phasen, gab auch einige starke Szenen – wie jene zwischen Golaud und Ynold, als dieser den Knaben dazu nötigt, Mélisande ins Schlafzimmerfenster zu schauen. Dort wo die Oper ganz offensichtlich „bühnendramatisch“ wird, war Spannung vorhanden. Aber es gelang zu wenig deutlich, die Seelenzustände der Figuren aus der Musik gleichsam mit dem Spürsinn für subkutane Erdbeben zu modellieren. Bernarda Fink gab als unauffällige Geneviève ihr spätes Hausdebüt im Haus am Ring. Franz-Josef Selig steuerte ebenfalls eine versierte Stimme bei, Maria Nazarova gab einen springvergnügten, stimmsicheren Ynold. Der Arzt, Markus Pelz, befleißigt sich übrigens moderner Heilkünste, hat dem im Rollstuhl sitzenden Arkel im zweiten Bild immerhin eine Infusion verordnet. Aber trotz durchwegs guter bis sehr guter Gesangesleistungen vermochte mich der Abend wenig zu fesseln. Der Schlussapplaus dauerte rund 11 Minuten lang. PS:
Der blendenartig ineinander verschachtelte, aus mehreren Teilen bestehende
Bühnenvorhang verhedderte sich beim Öffnen im dritten Akt nach
der Szene in den unterirdischen Gewölben und öffnete sich nur
zum Teil. Pelléas sang sein „Ah! Je respiere enfin!“–
und dann wurde die Aufführung für einige Minuten unterbrochen,
um die Kalamität zu beseitigen. Das Publikum wartete die Unterbrechung
ruhig ab. |