PELLEAS ET MELISANDE
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Theater a.d. Wien
27.5.2004
Gastspiel der Staatsoper Hannover

Musikalische Leitung: Shao-Chia Lü

Inszenierung: Jossi Wieler & Sergio Morabito
Ausstattung: Kazuko Watanabe

Orchester: Staatsorchester Hannover

Arkel - Xiaoliang Li
Geneviève - Danielle Grima

Golaud - Oliver Zwarg
Pelléas
- Peter Bording
Yniold - Sunhae Im
Mélisande - Alla Kravchuk
Ein Arzt - Daniel Henriks
Eine Bettlerin - Jutta Schröder


„Wie geht’s Euch?“
„Wir halten durch!“

(Pausengespräch im Foyer während „Pelléas und Mélisande“)

"Dehydrierter Debussy"
(Dominik Troger)

Das Musiktheaterprogramm der heurigen Wiener Festwochen ist – dieses Resümee erlaube ich mir mal – das glanzloseste seit vielen Jahren. Das Gastspiel der Staatsoper Hannover mit „Pelléas und Mélisande“ passte ausgezeichnet in diesen Rahmen: auf der Bühne lauter neurotisierte Typen, aus dem Orchestergraben ein ausgedörrter Sound, der vorgibt, von Debussy komponiert worden zu sein.

Der Gesamteindruck der Aufführung lässt sich am besten mit dem Begriff der „Dehydration“ umschreiben: alles Sinnliche, Farbenfrohe, Naturhafte, Symbolische wurde bei dieser Produktion aus Musik und Szene herausgezogen. Zurück blieb ein Granulat, bei dem einem nach drei Stunden die Zunge am Gaumen klebt. Glücklich die vielen, die schon zur Pause das Theater an der Wien verlassen hatten, um sich in einem der umliegenden Lokale zu laben. Denn man muss sich eine solche selbstquälerische Reduktion von Debussys klangfarbenreicher Partitur ebenso wenig antun, wie die Alltags-Befindlichkeiten der als Mélisande, Golaud, Pelléas etc. im Stile dutzendwariger „aus dem Leben gegriffener" TV-Serien über die Bühne stapfender Protagonisten.

Natürlich gibt es hier weder Wald noch Brunnen noch Meer, sondern einen modern-kühlen, weißwandigen Spitals(?)korridor mit jeweils rechts und links anschließendem Zimmer. Das Einheitsbühnenbild bewahrt sich durch die übergroßen Türen und die Tiefenperspektive (ein sich in den Hintergrund verjüngender Gang) eine gewisse Abstraktion – ansonsten ist ein ausgeprägter Realismus angesagt, der sich in seinem Geschichtenerzählen an den Qualitätsansprüchen des Fernseh-Hauptabendprogramms orientiert. (Inklusive angedeutetem „Product Placement“ für Mineralwasser, an dem dauernd genippt wird.) Mélisande ist eine Asylantin, Bettlerin, Putzfrau oder ähnliches, Golaud gabelt sie auf und heiratet sie. Mélisande wird in eine durchaus situierte Familie aufgenommen, deren hyperaktives Kind, Yniold, mit Wutausbrüchen sein existentielles Unbehangen kund tut. Da passt es natürlich, wenn man auf etwaigen Kindesmissbrauch verweist (4. Szene, 3. Aufzug: wenn Golaud – laut Libretto – das Kind hebt, um es aus dem Fenster nach Pelléas und Mélisande Ausschau halten zu lassen). An Yniold wird auch diese plakative Psychologisierung gut greifbar, die in den Frage-Antwort-Spielchen einschlägiger TV-Magazine ihre Entsprechung hat – und zu der wohl auch Golauds aufdringliches Kniezittern passt. Konsequenterweise erschießt Golaud Pelléas. Banal auch der Schluss, der Brutkasten mit dem blinkenden grünen Licht, das mütterlichen Instinkten folgende Handkrabbeln von Geneviève am Kastenglas, der lächerliche Weinausbruch von Golaud. Als besonderen Gag „beglückt“ Mélisande im Liebesduett des vierten Aufzugs Pelléas mit einer Ohrfeige etc. Die fernsehgemäße, triviale Überzeichnung dieser Inszenierung, die in der raffinierten Musik Debussys einfach keine Entsprechung hat, entlarvte sich an diesen Stellen gleichsam von selbst.

Als Zuschauer verfolgte man das Geschehen mit zunehmender Langeweile: Musik und Szene liefen aus obgenannten Gründen nebeneinander her, sie hatten sich absolut nichts zu sagen. Und in den wenigen dramatischen Momenten heizte das Orchester auf, mit grellen, spröden Klängen. Die musikalische Umsetzung erweckte überhaupt den Eindruck einer schalen, schwarz-weiß gemalten Kulisse, statt in Form eines musikalischen Regenbogens dreidimensional in den Himmel zu wachsen. Von Debussys vielschichtigen Klangfarben war da nichts zu vernehmen. Aber auch die einzelnen Instrumentengruppen waren viel zu wenig von einander abgesetzt, die Bläser viel zu wenig herausmodelliert, von einer emotionalen Gespanntheit war schon überhaupt nichts zu spüren. Dürftig und flach im Ausdruck, oftmals zu grell und knöchern, folgte die musikalische Umsetzung dem Geschehen.

Die SängerInnen agierten als geschlossenes Team, ohne individuelle Besonderheiten: ein Kollektiv bei der Arbeit, gemäß der Inszenierung. Alle Partien waren mit eher nüchternen, achtbaren Stimmen besetzt, man sang geradlinig, schnörkellos, sachlich. Mehr war wohl auch nicht gefragt.

Die Zuschauerreaktionen waren zurückhaltend und kurz. Es gab keine Buhs nachher, einiges an Bravorufen für die ausführenden SängerInnen und Dirigent. Gemessen an den üblicherweise erreichten Applausstärken und -längen kann man für Wiener Verhältnisse von einer geradezu kühlen Aufnahme sprechen.