THE LIGHTHOUSE

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Kammeroper
28. Oktober 2021
Premiere

Musikalische Leitung: Michael Zlabinger
Inszenierung: Georg Zlabinger
Ausstattung: Martin Zlabinger
Lichtdesign: Franz Tscheck

Wiener KammerOrchester

Sandy, 1. Offizier - Andrew Morstein
Blazes, 2. Offizier - Timothy Connor
Arthur, 3. Offizier & Voice of the Cards - Johannes Schwendinger


Halloween in der Kammeroper

(Dominik Troger)

Das apokalyptische Biest wurde kurz vor Halloween in der Kammeroper gesichtet. „The Lighthouse“ von Peter Maxwell Davies hat dem Publikum „heimgeleuchtet“ und es am psychotischen Horrortrip von drei Leuchturmwächtern teilhaben lassen. Ob man „erleuchtet“ von dannen gezogen ist, bleibt offen, spannend war es auf jeden Fall.

Der 1980 in Edinburgh uraufgeführte Einakter hat sich im zeitgenössischen Repertoire längst einen Fixplatz erobert. Die historisch belegte Geschichte von drei verschwundenen Leuchtturmwächtern hat der Komponist zu einem Vexierspiel umgeformt, das menschliche Abgründe offenlegt und zugleich aktuelle Zeitströmungen aufs Korn nimmt. Die Oper beginnt mit einem Prolog, im dem der seltsame Vorfall gerichtlich untersucht wird. Das Versorgungsschiff hat den Leuchtturm leer vorgefunden, die Besatzung ist verschwunden. Die drei Offiziere des Versorgungsbootes werden befragt und geben ihre widersprüchlichen Eindrücke zu Protokoll.

Im Hauptteil („The Cry of the Beast“ übertitelt) schildert Davies die Vorkommnisse im Leuchtturm selbst, bevor das Versorgungsschiff ihn erreicht hat. Die Drei-Mann-Besatzung geht sich auf die Nerven und entwickelt schwerste psychotische Zustände. Wurden Sandy, Blazes und Arthur aus Notwehr von der Besatzung des Versorgungschiffes getötet? Sind sie im Sturm umgekommen? Haben sie in ihrem Wahn Selbstmord begangen? Oder hat sie gar der Teufel geholt? Davies vermeidet eindeutige Antworten.

Die Inszenierung in der Kammeroper legt nahe, dass die drei Officer des Prologs an der Sache nicht ganz unbeteiligt sind. Sie stecken in Gefängniskleidung, wenn der Vorhang aufgeht. Regisseur Georg Zlabinger spricht in einem Interview im Programmheft davon, dass die Inszenierung „von einer Gewissensreise und von Schuldbewältigung“ handle. Demgemäß würde sie aus dem Blickwinkel der Offiziere erzählt. Ob die drei Offiziere identisch mit der Leuchtturmbesatzung sind? Die Inszenierung scheint davon auszugehen.

Davies hat in die Handlung esoterische und apokalyptische Anspielungen verwoben. Während Sandy und Blazes eine Partie Karten spielen, meldet sich Arthur als „The Voice of the Cards“ mit eindeutigen Tarot-Hinweisen. Arthur singt außerdem eine biblische Hymne über das „Goldene Kalb“ und das abtrünnige Volk Israel. Dergleichen an Legenden verdichtet sich in den Männern, die seit Wochen ohne Kontakt zur Außenwelt auf der sturmumtosten Insel hocken, zu tödlichen Wahnvorstellungen.

Aber wie bringt man einen Leuchtturm in die kleine Kammeroper? Vor zwanzig Jahren bei einer Produktion der Neuen Oper Wien im Semperdepot konnte man die mehrstöckige, nach oben offene Halle nützen. In der Kammeroper hat Ausstatter Martin Zlabinger die Bühne in der Breite zweigeteilt: Im vorderen Bereich befindet sich das Gefängnis, in einem kleineren bullaugenartigen Ausschnitt dahinter spielt die Handlung im Leuchtturm. Man sieht die spartanische Ausstattung eines Aufenthaltsraums, an der Rückwand einen länglich gestreckte Projektionsfläche, die ein Fenster mit Blick über sturmgebeuteltes Meer vortäuscht. Wenn das „Beast“ vor der Tür steht, färbt sich dieses „Bullauge“ rot, die drei Männer haben sich in Seile verstrickt und befinden sich „face to face with Antichrist“. Im Finale wird das Publikum von der Bühne voll mit dem Licht des Leuchtturms attackiert, das ergibt, zusammen mit der Musik, die mit ihren Wiederholungen einen Sog wirbelnder Turbulenzen erzeugt, einen einprägsamer Effekt (den Davies auch in seinen Regieanweisungen nahelegt).

Michael Zlabinger stand am Dirigentenpult des Wiener KammerOrchesters. Er brachte die etwas spröde Komposition zu klarer, nüchtern-schillernder Wirkung. Die „folksongartigen“ Lieder mit zum Teil brutalem Inhalt, die sich die Besatzung in ihrer Langeweile vorsingt, wurden mit provokant-parodistischer Laune unterlegt. Erbarmungslos wurde das Finale exekutiert. Schließlich braucht eine Ghoststory einen griffigen Schluss.

Andrew Morstein (Sandy) wurde am Beginn vom Intendanten Roland Geyer persönlich wegen eines grippalen Infekts angesagt, wobei dieser gleich beruhigte, dass es kein Corona sei. Morstein begann sehr vorsichtig, wurde dann aber von der Vorstellung mitgerissen und brachte seine Partie zum Glück ohne Unfall über die Runden (die gesanglich nicht unheikle, schwärmerische Liebesballade inbegriffen). Ihm zur Seite standen Timothy Connor als muskulöser Blazes, und Johannes Schwendinger, der dem Arthur mit schlanken Bass die verstörende Heilsarmee-Aura eines bigotten Weltuntergangspredigers verlieh. Davies mutet den Stimmen einiges zu, die Damen des Jungen Ensembles im Theater an der Wien hatten Anfang Oktober mit dem Gluck’schen „Orfeo“ die gesanglich schmeichelhafteren Aufgaben zu lösen.

Das Publikum im nahezu gefüllten Saal wurde vom Bühnengeschehen in Bann gezogen und spendete nach rund achtzig pausenlosen Minuten starken Schlussapplaus. Von der Produktion sind nur zwei Aufführungen angesetzt – und das ist schade.