TIEFLAND

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Volksoper
13.10.2007
Premiere

Dirigent: Sebastian Weigle

Regie: Anselm Weber
Bühnenbild: Hermann Feuchter
Kostüme: Bettina Walter
Licht: Olaf Winter

Koproduktion mit der Oper Frankfurt

Marta - Heidi Brunner
Pedro - Torsten Kerl
Sebastiano - Wolfgang Koch
Tommaso - Sorin Coliban
Nuri - Andrea Bogner
Moruccio - Mathias Hausmann
Nando - Christian Drescher
Antonia - Regula Rosin
Pepa - Birgid Steinberger
Rosalia - Sulie Girardi


„Das Schaf im Wolfspelz“

(Dominik Troger)

D’Alberts „Tiefland“ zählt zu den Werken, die man für das Repertoire nicht aufgeben möchte, auch wenn sie dann wieder für Jahre vom Spielplan verschwinden. An der Volksoper ist jetzt eine Koproduktion mit der Oper Frankfurt zu sehen. Das Resultat überzeugt in musikalischer Hinsicht, lässt szenisch aber viele Fragen offen.

„Tiefland“ ist eine der wenigen veristischen Opern in deutscher Sprache, die Bühnenprominenz gewonnen haben. Musikalisch aus der Wagnernachfolge entwachsen, gelingt es d’Albert, einen persönlichen Stil zu finden und das reißerische Libretto effektvoll umzusetzen. Zwar wirken viele Ensembleszenen wie „schlechte Operette“, aber die Schlüsselmomente sind wirkungsvoll komponiert, zwei, drei Motive und Anklänge an spanische Folklore eingängig genug, um die Aufmerksamkeit zu fesseln. Und wenn hymnische Ekstase als klare Gebirgsluft wie Ansichtskartenkitsch aus dem Orchestergraben steigt, hat d’Albert noch jedes Mal gewonnen.

Schwieriger ist es, sich mit Libretto und Handlung anzufreunden. Aus heutiger Sicht stößt man rasch auf eine Diskontinuität zwischen dem Naturburschen Pedro, dem „Siegfried“ von der Alm (der auch in der Partitur deutlich an Wagners Bühnendrama gemahnt) und dem psychologisch im Textbuch überraschend detailgetreu herausgearbeiteten Verhältnis zwischen Sebastiano und Marta: eine realitätsnahe Studie über sexuelle Ausbeutung mit schweren selbstwertmindernden, traumatischen Folgen für das Opfer. Eingebunden wird die Geschichte in den soziokulturellen Kontext agrarisch dominierter Grundherrschaft, die dem Tief- und Hochland besitzenden „Herrn“, die Bewohner, Wiesen, Wälder und Viehherden in praktischer Leibeigenschaft überschreibt.

Diesem Gesellschaftssystem, dass zur Zeit der Uraufführung (Erstfassung 1903, die heutzutage gespielte gekürzte zweite Fassung 1905) in den rückständigen, erst langsam in den Fluss der Industrialisierung einbezogenen Randzonen Europas noch als möglich gedacht wurde, lässt sich eine gesellschaftskritische, in der vorliegenden Form aber auch eine stark boulevardmäßige Komponente abgewinnen. Vor allem die von der Handlung angebotene Lösung des Problems, die quasi in maschinenstürmerischer Absicht den Sieg des körperlich und moralisch überlegenen Naturburschen über den verderbten Frühkapitalisten predigt, wirkt heute wenig überzeugend. Die Gleichung: „politische Herrschaftsform x sexuelle Ausbeutung = Erlösung durch die unverdorbene Natur autarker Almwirtschaft“ geht nicht mehr auf. Im Gegenteil: dieses Lösungskonzept desavouiert Marta, deren Opferrolle zu stark als Attribut einer Herrschaftsform funktionalisiert wird, als Mittel zum Zweck. Letztlich geht sogar Pedro von einem männlichen Ehrgefühl aus, das bei der Ehe in eindeutigen Kategorien von Besitzergreifung denkt. Marta wird in ihrer Rolle festgeschrieben, mögen sich für sie auch die realen Lebensumstände in Zukunft etwas besser gestalten.

Im Vorfeld der Aufführung hat Regisseur Anselm Weber explizit auf die schwierige psychische Situation der handelnden Personen hingewiesen („Das sind alles deformierte Psychen“, Wiener Zeitung 11.10.2007) und damit einen möglichen Lösungsweg angedeutet: über die Darstellung der psychischen Prozesse, die beispielsweise das Verhältnis von Sebastiano und Marta beeinflussen, die handelnden Personen von der plakativen Folie abzulösen und als vielschichtige Persönlichkeiten zu installieren. Dadurch gewänne etwa Sebastiano eine psychopathische Struktur, die aufwiegen könnte, was uns heute am Verständnis für solche archaisch grundherrschaftlichen Strukturen fehle. Die oben aufgezeigten Bruchlinien hätte man durch einen neuen Zugang überbrückt.

Nun wird man aus dem ziemlich schematisch angelegten, brutalen Grundherrn nicht so leicht einen Psychopathen machen, vor allem dann nicht, wenn man ihm kein detailliertes Verhaltenskonzept verpasst, das vom gesanglichen Ausdruck bis zur kleinsten Fingerbewegung den zwiespältigen Charakter transformiert. Ebenso wird man Marta schwer aus ihrer vouyeuristisch aufbereiteten Opferrolle herauslösen oder gar Pedro mehr sein lassen können, als – man verzeihe mir – einen gutgläubigen Dorftrottel. Jedenfalls wird es nicht genügen, nur in den Ausbau der Mühle zu investieren, die sich in der Volksoper zu einer modernen Nahrungsmittelfabrik erweitert hat. Kurz gesagt: die Personenregie ließ genau das vermissen, was Weber theoretisch – und wie mir scheint sehr treffend – angedacht hatte.

Modernes Musiktheater hat schon viel Wege gefunden, um psychische Prozesse deutlich zu machen und das verhüllende Zeitkolorit abzutragen. Natürlich verleitet „Tiefland“ als veristisches Werk wenig dazu, mit Symbolik zu arbeiten, desto treffender müsste man bei der Sängerführung ins Detail gehen. Doch die Hauptpersonen mussten sich mit Standardposen behelfen und spielten ihre sängerischen Qualitäten aus, Ensembleszenen, etwa mit den Dorffrauen (hier als weißbemantelte Farbriksangestellte dargestellt) gerieten hingegen peinlich in ihrem neckisch-boshaften Sekretärinnengehabe; beim abschließenden Duell zwischen Pedro und Sebastiano evozierte der Bühnentod des bösen Kapitalisten im Einklang mit den wuchtigen Orchesterschlägen sogar Gelächter im Publikum. Schon die Kostüme waren wenig glücklich gewählt: So riss Marta im Vorspiel als Bergtouristin der 50er- oder 60er-Jahre gekleidet, sofort den engen Kosmos dieser hierarchischen Strukturen auf, ohne dass dafür ein anderer adäquater Sinnzusammenhang gesetzt worden wäre. Marta wirkte auf mich in dieser kurzen Szene wie Sebastianos verhärmte, hysterische Ehefrau.

Zum Glück hielt die musikalische Seite stark dagegen und hievte den Abend auf ein Niveau, das für die Volksoper hoch und den Anforderungen, die das Stück stellt, angemessen war. Hier ist an erster Stelle Sebastian Weigle zu nennen, der die Partitur mit dem Orchester differenziert durchgearbeitet hat. Er wusste Akzente zu setzen, gewann der Musik jenes atmosphärische Leuchten ab, das auf die heile Welt Pedros verweist. Von den Strukturen und musikhistorischen Querbezügen war vieles zu erkennen und herausgehoben. So bot sich ein überraschend klares Bild, auch vom Orchesterklang her, ein Punkt, um den es am Währinger Gürtel oft nicht zum Besten bestellt ist. Analytik und Emotion trafen sich in einem idealen Schnittpunkt, der die gebotenen Rahmenbedingungen bestens zu nützen wußte. Gewisse Längen im ersten Akt rechne ich stark auf das Werk und anteilsmäßig auf die Inszenierung.

Den SängerInnen kam der kleinere Raum der Volksoper deutlich entgegen. Torsten Kerl, in der Staatsoper des öfteren zu starkem Forcieren geneigt, sang den Pedro überraschend locker und schien sich in der Rolle wohl zu fühlen. Pedro ist, ähnlich wie der schon genannte „Siegfried“, ein unverdorberner Naturbursche, aber mit dem großen Nachteil, dass er sich hinter keinem Mythos oder Märchen verstecken kann. Kerl brachte den Wechsel von naiver Bergromantik zum zornigen Herausforderer seines Herrn ohne Reibungsverluste über die Rampe. Neuigkeiten über seine „Psyche“ erfuhr man keine. (Keine? Pedro hütet auf der Alm die Ausgabe einer „Edelporno-Zeitschrift“ als heimlichen Schatz. Tommaso zeigt das Heft kurz und verschmitzt dem Publikum. Triebnöte oder verlorene Unschuld? Weitergeführt wurde das Thema nicht.)

Schwieriger war Wolfgang Koch als Sebastiano zu fassen. Koch sang prächtig, aber vielleicht zu prächtig für diese Partie. Seine Boshaftigkeit hatte weder tyrannische Autorität noch die Perfidie eines Sklavenhalters, schon gar nicht schimmerte hinter der sehr „normalen“ Fassade das Gesicht eines Psychopathen hervor. Die sadistischen, von der Regie verordneten Spielchen wirkten konstruiert. Am Schluss droht er die gefesselte Marta anzuzünden – aber Pedro erscheint wie ein Comic-Held und entreißt ihm das Feuerzeug: Tarzan rettet Jane.

Genau betrachtet, ist Marta die ausdifferenzierteste Person des Stückes. Man erfährt viel über ihr tragisches Schicksal, und sie spiegelt in ihrem Inneren die an sie herangetragenen männlichen Begierden. Heidi Brunner wurde die Partie manchmal eine Spur zu dramatisch, aber die Mischung depressiver Traurigkeit und verzweifelt herausfordernder Selbstaufgabe kam gut heraus. Die Wirkung als Bühnenerscheinung – durch schlechte Kostümwahl unterstrichen – war mir zu reif und fraulich. Die psychische Sprengkraft von dem, was Marta durchgemacht hat, blieb kanalisiert und von der Regie unentdeckt. So durfte man Mitleid empfinden und sich dem romantischen Gefühl überlassen, dass mit Pedro doch schon der Retter vor der Tür stehe. Die Sinn-Frage, die hier an die Grenzen des künstlerisch Darstellbaren geht, wurde nicht gestellt.

Andrea Bogner schwebte, gekleidet in ein grünes Kostüm wie eine alternative Weltverbesserungsfee durch das Geschehen. Sie bildete eine ruhenden Pol und fand sanfte, tröstende Töne. Zu scherenschnittartig wurde der Dorfälteste gezeichnet. Sorin Coliban erstarrte als Tommaso in der Würde, die die Regie ihm angemessen hatte – ein weihevolles Schreiten, ein Charakter von fast priesterlicher Sehergabe. Die übrigen Mitwirkenden hatten ihren Anteil am musikalischen Erfolg des Abends.

Die Publikumsreaktionen waren bei SängerInnen, Dirigenten und Orchester sehr positiv (der eine Buhruf für Solin Coliban fiel aus der Reihe). Für das Regieteam gab es deutliche Buhrufe – nicht übermäßig viele, aber der zustimmende Applaus hielt sich auch in engeren Grenzen. Musikalisch ist „Tiefland“ auf jeden Fall einen Besuch wert, die Inszenierung ist eine vertane Chance.