„Venezianisches Welttheater“
(Dominik Troger)
„Bayreuth
Barock“ im Theater an der Wien: Francesco Cavallis „Pompeo Magno“
gastierte in einer schwungvollen Konzertfassung im Haus an der Linken
Wienzeile.
Francesco
Cavallis „Pompeo Magno“ stammt aus der letzten Schaffensperiode des
Komponisten, 1666 in Venedig uraufgeführt – und dann vergessen. Die
Oper wurde erst unlängst beim Bayreuth Baroque Opernfestival ihrem
mehrhundertjährigen „Dornröschenschlaf“ entrissen und sogar szenisch
aufgeführt.
Max Emanuel Cencic, künstlerischer Leiter des Festivals, hat dieser
Wiederbelebung seine „Handschrift“ und seine Stimme aufgeprägt: als
Sänger des Pompeo – und als Regisseur, der Cavallis Geschichte aus dem
alten Rom in ein von üppiger Theaterlust geprägtes Venedig des 17.
Jahrhunderts versetzt hat. Im Zusammenspiel mit einer hochkarätigen
Besetzung sorgten die Aufführungen von Cavallis Oper im Markgräflichen
Opernhaus von Bayreuth für sehr gute Rezensionen und starken
Publikumszuspruch. Jetzt ist diese Produktion nach Wien gereist – wenn
auch in einer semi-konzertanten Form, ohne Kulissen und ohne Kostüme.
Kurz zur Handlung, die der Librettist Nicolo Minato entworfen, die
Francesco Cavalli vertont hat: Der römische Feldherr Pompeo hat sich
eben die Länder von König Mitridate einverleibt und weilt triumphierend
in Rom. In Rom befinden sich auch Issicratea, Gemahlin des Mitridate,
und sein Sohn Farnace. Mitridate hat es nach verlorener Schlacht
geschafft, sich unerkannt in Rom einzuschleichen, um an Pompeo Rache zu
nehmen. Pompeo selbst befindet sich im Liebeswettstreit um Giulia,
Tochter Cesares, die aber Servilio liebt. Sesto, Sohn des Pompeo, macht
hinwiederum Issicratea den Hof. Dazu gesellen sich Dienerfiguren mit
teils anzüglich-grellem Witz. Am Schluss wird Mitridate samt Familie
die Freiheit geschenkt und Giulia wird Pompeos Braut.
Aber eigentlich ist die Handlung zweitranging, dient nur als Rahmen, um
über Liebe und Eifersucht, um über Ehre und Eros zu reflektieren, um
Fortunas Spiel mit den Menschen zu zeigen, die ihre Gunst erhöht oder
sie im schlimmsten Fall als Opfer einer Intrige unter ihr
sprichwörtliches Rad kommen lässt. Pompeo Magno macht sich in einer
Arie am Beginn des zweiten Aktes sogar „theologische“ Gedanken – und so
entsteht ein kleines, „Welttheater“, das Scherz und Ernst verknüpft wie
im wirklichen Leben.
Im Gegensatz zu herkömmlichen konzertanten Aufführungen war „Pompeo
Magno“ stimmungsvoll für das Theater an der Wien adaptiert worden: Die
Bühne war offen und zeigte das Logenrund der aktuellen
„Fledermaus“-Produktion im Hintergrund, durch den überdeckten
Orchestergraben reichte sie weiter ins Auditorium hinein. Das kleine
Orchester war im vorderen Bühnenbereich platziert. Die Sänger konnten
rechts und links daran vorbei an die Rampe kommen oder auf einem leicht
erhöhten Umgang hinter dem Orchester Stellung beziehen.
Dadurch ließ sich die Handlung je nach Szene nachspielen, sogar mit
gezücktem Degen wurde hantiert. Die beiden vordersten Logen rechts und
links wurden einbezogen und ein Auftritt erfolgte aus dem
Zuschauerraum. Für barocke Opernstimmung sorgten Dutzende LED-Kerzen,
die am Rand der Bühne aufgestellt, für täuschend echtes
Wachskerzenfeeling sorgten. Die Beleuchtung des Zuschauerraums wurde
stark heruntergedimmt. Wenige Requisiten wurden genützt, wie ein
Lorbeerkranz für Cäsar oder besagter Degen, der für die Handlung eine
wichtige Rolle spielt, in einer Szene allerdings über die Rampe fiel,
um den restlichen Teil der Vorstellung vor der fußfreien ersten
Pakettreihe zu liegen.
Musikalisch war es eine Abend voll erfrischender Energie, rasch wechselnd
zwischen Rezitativ und den meist kurzen Arien, vorgetragen von einem
Sängerensemble, dass sich auch den virtuosen Gesangeskünsten einer Opera seria hätte stellen können. Es scharte sich um
einen gesanglich eleganten Max Emanuel Cencic, der Pompeos Emotionen
mit abgeklärter Gefasstheit zum Ausdruck brachte und der Figur eine
leicht distanzierte, nachdenkliche Aura verlieh.
Alois Mühlbacher war als Farnace ideal besetzt, voller bezaubender
Jünglingsnavität, die sich in lyrischem Schönklang ergoß. Logan Lopez
Gonzalez umwarb als Sesto die gefangene Königin Issicratea mit
leidenschaftlicher Jünglingsliebe und einem so zartbesaitemem
Ehrgefühl, dass er darob fast hingerichtet worden wäre. Valer Sabadus
verzichtete als Servilio auf Giulia und hatte dabei nur bedingt
Möglichkeiten, sich effektvoll in Szene zu setzen. Lucía Martín Cartón
als Giulia traf ein ähnliches Schicksal. Diese, neben dem
Mitridate-Plot zweite Handlungsebene, lief ein wenig „nebenher“.
Das Geschehen um Mitridate (Valerio Contaldo) als zuerst düsterer, dann
mit plötzlicher Einsicht begabter, seines Reichs beraubter Herrscher,
war der spannendere Teil. Vor allem seine Gemahlin, gegeben von Mariana
Flores, sorgte für eine ganze Bandbreite an Emotionen. Flores war zwar
wegen einer beginnenden Erkältung angesagt worden, faszinierte aber mit
ihrem leicht dunklen, selbstbestimmt ins Feld geführten Sopran quer
durch alle Gefühlszustände, bis hin zum geplanten Selbstmord – der
allerdings daran scheitert, dass sich Familie Mitridate um das
Giftfläschchen und das Vorrecht streitet, als erster davon schlürfen zu
dürfen.
Grandios grotesk das komische Paar Dominique Visse (Delfo) und Marcel
Beekman als Altrea. Kacper Szelazek gab grell die intrigante
Arpalia. Ein starkes, eigenwilliges Rollenporträt zeichnete auch
Nicholas Scott als Claudio. An seinem Vater Cesare (Victor Sicard) hat
Cavalli allerdings etwas gespart genauso wie am reichen Crassus (Jorge
Navarro Colorado) der eine Randfigur geblieben ist.
Die musikalische Einrichtung hat Leonardo Garciá Alarcón vorgenommen,
dabei auch für die Instrumentierung gesorgt, die sogar drei Posaunen
umfasste und Zinken Die Capella Mediterranea spielte zügig, vom
tänzerischen „Barockschunkeln“ bis zum posaunengetragen Pathos, so
zügig, dass für Szenenapplaus keinen Platz blieb, obwohl den
getrageneren Momenten durchaus genug Raum gelassen wurde.
Der kurze Schlussequenz wurde wiederholt und hinterließ mit den vielen,
an die Rampe getretenen, singenden und sich in leicht tänzerischer
Gestik wiegenden Mitwirkenden den Charakter eines „Barockmusicals“. Das
Publikum war nach drei Stunden und zwanzig Minuten (inklusive einer
Pause) begeistert und spendete viel Applaus.
PS:
Um die Besetzungsliste im Programmheft lesen zu können, musste man die
sprichwörtlichen Augen eines Luchses haben. Die kleine weiße Schrift
auf orangem Hintergrund war schwer lesbar, weil viel zu kontrastarm.
Das ist derzeit ein allgemeines Problem der Programmhefte im Theater an
der Wien, dass viel mit Hintergrundfarben gearbeitet wird, ohne darauf
zu achten, wie sich das auf die Lesbarkeit auswirkt. Viele Besucher
sind ältere Semester, das sollte man bedenken.
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