„Wer manipuliert hier wen?“
(Dominik Troger)
Die
Intendanz von Stefan Herheim am Theater an der Wien begann in der
Kammeroper mit einer Aufführung von Francesca Caccinis „La
liberazione di Ruggiero dall’isola d’Alcina“. Die Inszenierung macht
aus der in ein Zaubermärchen verpackten Huldigungsoper eine
antikriegsstimmige Abhandlung über Populismus und Propaganda.
Francesca
Caccini war die Tochter des Komponisten Giulio Cacchini und gilt als
erste Opernkomponistin der Musikgeschichte. Die Uraufführung von
„La liberazione di Ruggiero dall’isola d’Alcina“ fand 1625 in Florenz
anlässlich eines Besuches des polnischen Kronprinzen Wladislaw (der
spätere Wladislaw IV. Wasa) statt.
Der Inhalt der Oper hält sich an eine Episode aus Ludovico Ariostos
Versepos „Orlando furioso“: Ruggiero wird von der Zauberin Alcina auf
eine Insel entführt, von ihren erotischen Reizen gefangen genommen und
später von der Zauberin Melissa im Auftrag von seiner Geliebten
Bradamante befreit. Die idyllische Zauberinsel verwandelt sich
ein ödes Felsenkliff, Alcina klagt ihr Leid und fliegt fliehend auf dem
Rücken eines Meeresungeheuers davon. Den Abschluss der Oper gibt ein
Rossballett – aber dafür hätte man von der Kammeroper in die
Hofreitschule wechseln müssen.
Ariosts Geschichte spielt zur Zeit der Sarazenenkriege eines
mythisierten Karl des Großen. Im 17. Jahrhundert ließ sich dergleichen
leicht auf den Kampf Europas gegen das Osmanische Reich ummünzen. In
Caccinis Oper rüttelt Melissa Ruggiero demenstprechend mit den Worten
auf, dass ganz Libyen und ganz Europa in den Krieg zögen. Sie hat sich
dafür in Ruggieros Pfleger Atalante verwandelt, um ihrer Stimme
besonders überzeugendes Gewicht zu verleihen. Die Rollen in der Oper
sind klar verteilt: Melissa und Ruggiero stehen auf der Seite der
Guten, Alcina und ihre Gespielinnen auf der Seite der zu besiegenden
Bösen. Der Prolog der Oper huldigt außerdem der Rolle Polens im
europäisch-osmanischen Spiel der Mächte – der Osmanisch-Polnische-Krieg von 1620/21 war noch gegenwärtig.
Eine politische Dimension hat sich auch die Inszenierung in der
Kammeroper auf die Fahnen geschrieben, allerdings in konträrer Weise.
Die Regisseurin Ilaria Lanzino
wollte, wie sie im Programmheft zur Aufführung kund tat, dem Publikum
einen aktuellen Bezug liefern und die Manipulationen auf Textebene
klarmachen, denen die Figuren der Handlung, aber auch das Publikum
ausgesetzt sind. Sie wollte Feindbilder herausarbeiten, Melissas
„populistische Rhetorik“ entlarven. Dafür wurde das
„Zaubermärchen“ negiert, der huldigende Prolog gestrichen und die
Handlung in ein kompaktes Einheitsbühnenbild gestellt, das Panzerketten
und -geschütze zeigte, bedrohlich aufgetürmt und in nachtblaue
Düsternis getaucht.
Der Abend gestaltete sich durch diese „Neudeutung“ uneinheitlich, weil
damit auch die ursprüngliche, klare Figurenkonstellation zerstört
wurde. Melissa war viel zu dominant, zog in diesem dystopischen
Ambiente mit blutbeschmierten Händen ihre Propagadashow ab bzw.
überwachte als Agitatorin des Krieges vom Bühnenrand aus das Geschehen,
während sie sich in einem komfortablen Fauteuil räkelte. Alcina
und Ruggiero waren ihre Opfer und kamen szenisch unter die Räder. Vor
allem für Ruggiero schien keine Platz mehr zu sein: zuerst ist er Opfer
Alcinas, dann Opfer Melissas, ein wahrhaft trauriges Schicksal, das die
Regisseurin auch nicht (wie sie im Programmheft anklingen lässt) durch
eine „Sehnsucht nach einer gewaltlosen Gemeinschaft“ substituieren
kann – denn darum geht es in „La liberazione di Ruggiero
dall’isola d’Alcina“ nicht: Ruggiero ist ein Held, der von Melissa
befreit wird, um weitere Heldentaten zu begehen, und nicht, um das
Publikum gegenüber jeglicher Kriegsrhethorik misstrauisch zu machen.
Die eigentlich „böse“ Alcina wiederum konnte als klagende, verlassene
Frau das Mitleid des Publikums wecken und Sympathien gewinnen, musste
aber auch z.B. mit einer Pistole herumfuchteln anstelle ihre
Zauberkräfte spielen zu lassen.
Das schon erwähnte Bühnenbild (Martin Hickmann)
war an sich gelungen, und passte gut zur Neudeutung der Regie, aber
nicht zur Oper die Francesca Caccini komponiert hat. Am Beginn
dürfen Alcina und Sirenen wie Farbtupfen noch in grellen einfärbigen
Gewändern auftreten, später dominierten dunkle Hosen und weiße Leiberl
uniformartig die Bühne, was die Unterscheidbarkeit der Figuren für das
Publikum nicht gerade erleichtert hat – etwa beim Auftritt der
Botin, die Alcina von der Ankunft Melissas berichtet. Bei der
Personenregie hat sich Lanzino einem körperbetonten Theater
verschrieben, das nur mit wenigen Requisiten auskommt, und mit Gesten
und Bewegungen fast schon „choreographisch“ agiert. Ensembleszenen
wurden zum Beispiel derart aufgelockert.
„La liberazione di Ruggiero dall’isola d’Alcina“ ist noch im Jahr der
Uraufführung gedruckt worden, der Druck enthält aber nur Teile der
Musik. Clemens Flick, der
musikalischen Leiter der Produktion, hat deshalb zusätzliche
Musiknummern eingefügt, um auf eine praktikable Aufführungslänge
von knapp über eineinhalb Stunden zu kommen. Anstelle des Prologs
und des abschließenden Balletts wurden Madrigale eingefügt. Insgesamt
wurde das Werk um acht Musiknummern ergänzt, davon nur eine aus der
Feder der Komponistin. Gespielt wurde vom La Folia Barockorchester im
Sinne einer historisch informierten Aufführungspraxis und mit
entsprechenden Instrumenten.
Luciana Mancini hinterließ als Melissa einen starken Eindruck, fügte sich ganz in die ihr zugedachte Rolle und beherrschte den Abend, Sara Gouzy lieh der klagenden Alcina ihren klaren Sopra. Krešimir Stražanac
war ein manchmal zu laut singender Ruggiero, den die Regie ein wenig
ins Eck gestellt hat. Die Sirenen sangen nicht alle so sirenenhaft wie
erhofft, aber bei den vielen Nebenrollen hat man mit der
Kunstuniversität Graz, der Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt
Wien sowie der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien
kooperiert. Der Studiobetrieb des Theaters an der Wien in der
Kammeroper wurde durch die neue Intendanz bekanntlich beendet. Das
eigenartig aufgeblasene und laute Klangbild hat überrascht und war mir
von der Kammeroper so nicht erinnerlich. Es erweckte auf Kosten der
Dynamik und der Artikulation den Eindruck, als wollte man die
„Schuhschachtel“ der Kammeroper zu einem Konzertsaal aufmotzen.
Das Publikum spendete für diese unausgewogene Produktion minutenlangen
starken Schlussapplaus. Was sonst noch aufgefallen ist: Das
Programmheft enthält zu den Mitwirkenden keine biographische
Informationen.
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