LA LIBERAZIONE DI RUGGERIO DALL'ISOLA D'ALCINA

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Premiere
Kammeroper
6. Oktober 2022

Musikalische Leitung:
Clemens Flick
Inszenierung: Ilaria Lanzino
Bühne: Martin Hickmann
Kostüm: Vanessa Rust
Licht: Franz Tscheck

Alcina - Sara Gouzy
Ruggiero - Krešimir Stražanac
Melissa - Luciana Mancini
Damigella / Sirena - Jerilyn Chou
Damigella / Sirena - Milana Prodanovic
Damigella / Sirena - Bernarda Klinar
Oreste / Mostro / Canto - Benjamin Lyko
Mostro / Alto - Thomas Lichtenecker
Mostro / Tenore - Anle Gou
Pastore / Mostro / Quinto - Matúš Šimko
Mostro / Basso - Jubin Amiri


Wer manipuliert hier wen?
(Dominik Troger)

Die Intendanz von Stefan Herheim am Theater an der Wien begann in der Kammeroper mit einer  Aufführung von Francesca Caccinis „La liberazione di Ruggiero dall’isola d’Alcina“. Die Inszenierung macht aus der in ein Zaubermärchen verpackten Huldigungsoper eine antikriegsstimmige Abhandlung über Populismus und Propaganda.

Francesca Caccini war die Tochter des Komponisten Giulio Cacchini und gilt als erste Opernkomponistin der Musikgeschichte.  Die Uraufführung von „La liberazione di Ruggiero dall’isola d’Alcina“ fand 1625 in Florenz anlässlich eines Besuches des polnischen Kronprinzen Wladislaw (der spätere Wladislaw IV. Wasa) statt. 

Der Inhalt der Oper hält sich an eine Episode aus Ludovico Ariostos Versepos „Orlando furioso“: Ruggiero wird von der Zauberin Alcina auf eine Insel entführt, von ihren erotischen Reizen gefangen genommen und später von der Zauberin Melissa im Auftrag von seiner Geliebten Bradamante befreit. Die idyllische  Zauberinsel verwandelt sich ein ödes Felsenkliff, Alcina klagt ihr Leid und fliegt fliehend auf dem Rücken eines Meeresungeheuers davon. Den Abschluss der Oper gibt ein Rossballett – aber dafür hätte man von der Kammeroper in die Hofreitschule wechseln müssen.

Ariosts Geschichte spielt zur Zeit der Sarazenenkriege eines mythisierten Karl des Großen. Im 17. Jahrhundert ließ sich dergleichen leicht auf den Kampf Europas gegen das Osmanische Reich ummünzen. In Caccinis Oper rüttelt Melissa Ruggiero demenstprechend mit den Worten auf, dass ganz Libyen und ganz Europa in den Krieg zögen. Sie hat sich dafür in Ruggieros Pfleger Atalante verwandelt, um ihrer Stimme besonders überzeugendes Gewicht zu verleihen. Die Rollen in der Oper sind klar verteilt: Melissa und Ruggiero stehen auf der Seite der Guten, Alcina und ihre Gespielinnen auf der Seite der zu besiegenden Bösen. Der Prolog der Oper huldigt außerdem der Rolle Polens im europäisch-osmanischen Spiel der Mächte
der Osmanisch-Polnische-Krieg von 1620/21 war noch gegenwärtig.

Eine politische Dimension hat sich auch die Inszenierung in der Kammeroper auf die Fahnen geschrieben, allerdings in konträrer Weise. Die Regisseurin Ilaria Lanzino wollte, wie sie im Programmheft zur Aufführung kund tat, dem Publikum einen aktuellen Bezug liefern und die Manipulationen auf Textebene klarmachen, denen die Figuren der Handlung, aber auch das Publikum ausgesetzt sind. Sie wollte Feindbilder herausarbeiten, Melissas „populistische Rhetorik“ entlarven.  Dafür wurde das „Zaubermärchen“ negiert, der huldigende Prolog gestrichen und die Handlung in ein kompaktes Einheitsbühnenbild gestellt, das Panzerketten und -geschütze zeigte, bedrohlich aufgetürmt und in nachtblaue Düsternis getaucht.

Der Abend gestaltete sich durch diese „Neudeutung“ uneinheitlich, weil damit auch die ursprüngliche, klare Figurenkonstellation zerstört wurde. Melissa war viel zu dominant, zog in diesem dystopischen Ambiente mit blutbeschmierten Händen ihre Propagadashow ab bzw. überwachte als Agitatorin des Krieges vom Bühnenrand aus das Geschehen, während sie sich in einem  komfortablen Fauteuil räkelte. Alcina und Ruggiero waren ihre Opfer und kamen szenisch unter die Räder. Vor allem für Ruggiero schien keine Platz mehr zu sein: zuerst ist er Opfer Alcinas, dann Opfer Melissas, ein wahrhaft trauriges Schicksal, das die Regisseurin auch nicht (wie sie im Programmheft anklingen lässt) durch eine „Sehnsucht nach einer gewaltlosen Gemeinschaft“ substituieren kann – denn darum geht es  in „La liberazione di Ruggiero dall’isola d’Alcina“ nicht: Ruggiero ist ein Held, der von Melissa befreit wird, um weitere Heldentaten zu begehen, und nicht, um das Publikum gegenüber jeglicher Kriegsrhethorik misstrauisch zu machen. Die eigentlich „böse“ Alcina wiederum konnte als klagende, verlassene Frau das Mitleid des Publikums wecken und Sympathien gewinnen, musste aber auch z.B. mit einer Pistole herumfuchteln anstelle ihre Zauberkräfte spielen zu lassen.

Das schon erwähnte Bühnenbild (Martin Hickmann) war an sich gelungen, und passte gut zur Neudeutung der Regie, aber nicht zur Oper die Francesca Caccini komponiert hat.  Am Beginn dürfen Alcina und Sirenen wie Farbtupfen noch in grellen einfärbigen Gewändern auftreten, später dominierten dunkle Hosen und weiße Leiberl uniformartig die Bühne, was die Unterscheidbarkeit der Figuren für das Publikum nicht gerade erleichtert hat – etwa beim  Auftritt der Botin, die Alcina von der Ankunft Melissas berichtet. Bei der Personenregie hat sich Lanzino einem körperbetonten Theater verschrieben, das nur mit wenigen Requisiten auskommt, und mit Gesten und Bewegungen fast schon „choreographisch“ agiert. Ensembleszenen wurden zum Beispiel derart aufgelockert.

„La liberazione di Ruggiero dall’isola d’Alcina“ ist noch im Jahr der Uraufführung gedruckt worden, der Druck enthält aber nur Teile der Musik. Clemens Flick, der musikalischen Leiter der Produktion, hat deshalb zusätzliche Musiknummern eingefügt, um auf eine praktikable Aufführungslänge von  knapp über eineinhalb Stunden zu kommen. Anstelle des Prologs und des abschließenden Balletts wurden Madrigale eingefügt. Insgesamt wurde das Werk um acht Musiknummern ergänzt, davon nur eine aus der Feder der Komponistin. Gespielt wurde vom La Folia Barockorchester im Sinne einer historisch informierten Aufführungspraxis und mit entsprechenden Instrumenten.

Luciana Mancini hinterließ als Melissa einen starken Eindruck, fügte sich ganz in die ihr zugedachte Rolle und beherrschte den Abend, Sara Gouzy lieh der klagenden Alcina ihren klaren Sopra. Krešimir Stražanac war ein manchmal zu laut singender Ruggiero, den die Regie ein wenig ins Eck gestellt hat. Die Sirenen sangen nicht alle so sirenenhaft wie erhofft, aber bei den vielen Nebenrollen hat man mit der Kunstuniversität Graz, der Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien sowie der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien kooperiert. Der Studiobetrieb des Theaters an der Wien in der Kammeroper wurde durch die neue Intendanz bekanntlich beendet. Das eigenartig aufgeblasene und laute Klangbild hat überrascht und war mir von der Kammeroper so nicht erinnerlich. Es erweckte auf Kosten der Dynamik und der Artikulation den Eindruck, als wollte man die „Schuhschachtel“ der Kammeroper zu einem Konzertsaal aufmotzen.

Das Publikum spendete für diese unausgewogene Produktion minutenlangen starken Schlussapplaus. Was sonst noch aufgefallen ist: Das Programmheft enthält zu den Mitwirkenden keine biographische Informationen.