THE TURN OF THE SCREW
Aktuelle Spielpläne & Tipps
Forum
Opernführer
Chronik
Home
Britten-Portal

Ronacher
31.5.2002
Koproduktion der Wiener Festwochen mit dem Festival d'Aix-en-Provence

Musikalische Leitung: Daniel Harding

Regie: Luc Bondy
Bühne: Richard Peduzzi
Kostüme: Moidele Bickel
Licht: Dominique Bruguière

Mahler Chamber Orchestra

Prolog - Olivier Dumait
Gouvernante - Mireille Delunsch
Miles - Pablo Strong
Flora - Nazan Fikret
Mrs. Grose - Hanna Schaer
Peter Quint - Marlin Miller
Miss Jessel - Marie McLaughlin


Heuchlerische Ästhetik?
(Dominik Troger)

Britten bewies auch mit "The Turn of the Screw" (Uraufführung 1954) seine "goldene Hand" in Sachen Musiktheater. Es ist ein packend-komponiertes und dramaturgisch gut gebautes Stück. Trotzdem sollte man es sich gerade hier nicht zu leicht machen...

...leicht wie, ja leicht wie diese Inszenierung, die mit gelungener Personenregie fesselt und mit kleinen Kulissenballetten: weiße Wände dürfen sich verschieben, heben sich, tanzen fast zu Britten's raumfüllender Kammermusik. Da sind Kinderzimmer oder Platz am See rasch gebaut, ein paar Requisiten dazu, Sessel, Schulpult, Schaukelpferd, ein großes, von weißem Vorhang verhängtes Fenster im Hintergrund, blaues Licht dahinter, mal hell, mal dunkel. Ja, dieses Spiel mit Kontrastwirkung, Saal hell, Bühne hell, Saal dunkel, Bühne dunkel, Saal dunkel, Bühne HELL! Es geht wie geschmiert, leise und zielstrebig, wie diese beweglichen Zimmerwände flugs ein Labyrinth für die Gouvernante bauen ----- plötzlich taucht Peter Quint auf, der verstorbene Hausdiener, mal von der Seite aus den Kulissen, mal hinter dem Fenstervorhang, mal unter weißen Leintüchern ------ mit einem Mal zeigt sich Miss Jessel, die verstorbene Erzieherin, weit hinten, wie mitten im See, im Schnittpunkt der Bühnenperspektive, während einem Britten subkutan und ohne Zaudern eine musikalische "Injektion" verabreicht.

...leicht wie, leicht wie diese Lichtregie einem zu "Auge" geht, die Farben, Weiß und Blau, der geworfene Schatten der Gouvernante, wenn sie hilfesuchend den Brief schreibt, das seltsam silbernglänzende Kostüm von Peter Quint und Miss Jessel, ein bisschen abstrakt, geisterhaft. Und im nahtlosen und widerstandslosen Erzeugen von neuen Räumen, Szene für Szene, huldigt Luc Bondy der Ästethik eines gutbürgerlichen Gruselkabinetts, ohne dem Publikum die kribblige Gänsehaut abzuziehen und es im eigenen Saft zu schmoren.

...leicht wie, leicht wie Brittens Musik? Das ist die Frage. Sie ist effektvoll. Ist sie nicht aber auch gefährlich, ironisch, besserwisserisch, verführerisch, subversiv? Auch sie war gut musiziert, aber geglättet, ohne die entscheidende Irritation zur Diskussion gestellt vom Mahler Chamber Orchestra unter Daniel Harding. Wobei das Hauptaugenmerk sicher den Sängern galt, gediegene Leistungen. Allesamt. Die beiden Kinder, Mireille Delunsch als Gouvernante, die gefühlsgierigen Gespenster, die schon etwas vertrocknete Mrs. Grose. Aber siegte nicht auch hier die Ästhetik über dem tragischen Konflikt?

...leicht wie, ja leicht wie diese Schauergeschichten-Romantik, in die Britten sein (möglicherweise auch persönliches) Drama von sexuellem Kindesmissbrauch festeingepackt hat - diese Geschichte von Verführungs-Opfern und Tätern, von lüsternen Erziehern und Gouvernanten, denen die halbwüchsigen Knaben und Mädchen mehr als ans Herz gewachsen sind? Aber, und das ist das eigentlich verwirrende, das Libretto und auch Britten's musikalische "Assoziationen" belassen die beiden Kinder, Miles und Flora, doch gar nicht in dieser naiven Unschuld. Und was ist überhaupt Britten's Meinung zu dem ganzen verfilzten Schlamassel von Dreiecksbeziehungen zwischen Gouvernante, dem Gespenst Peter Quint und Miles. Welche Rolle spielt Flora? Fallen einen da wie dort nicht die gleichgeschlechtlichen Neigungen der "Gespenster" ins Auge? Ist ein Gespenst, ein "Gespenst"? Warum wird Flora gerettet, warum nicht Miles? Britten spielt wohl mit seinen eigenen Schuldgefühlen, aber wie ehrlich meint er es damit? Besonders spannend wird diese Frage, wenn man sie auch auf musikalischer Ebene stellt. Britten's Musik ist packend, aber für wen weckt sie Sympathien? Was ist das Tragische, dass Miles stirbt, oder dass Quint das Objekt seiner Lust entzogen wird?!

Diese Inszenierung hat die ästhetisierende Verpackung nicht aufgemacht, sondern noch mit ein paar hübschen, schaurig-schimmernden Schleifen versehen. Freilich, im Programmheft findet sich der Satz der Librettistin, Myfanwy Piper: "The Turn of the Screw baut eine Empfindung des Bösen auf, ohne jemals eindeutig zu sagen, worin dieses Böse besteht. (...) Weder Britten noch ich hatten jemals die Absicht, das Werk zu interpretieren, sondern nur die, es für ein anderes Medium neu zu erschaffen." (Das Stück beruht auf einer Novelle von Henry James, entstanden um 1900.) Bondy hat sich da sehr daran gehalten, und einen spannenden Opernabend gestaltet - aber das "Böse"? Er hat sich wohl zu sehr vom "Euphemismus" einer Myfanwy Piper irritieren lassen...

Ich habe nachher auch geklatscht, und zwar nicht wenig. Es hat gefallen. Es hat auch mir gefallen. Eine großartige Theaterarbeit, eine passende musikalische Umsetzung. Aber es ist eine "Behübschung", keine Frage. Keine Frage, dass diese Produktion von "The Turn of the Screw" zu keiner der Fragen, die das Stück aufwirft, Stellung bezieht. Sie erzählt eine Geschichte, sie erzählt diese Geschichte sehr gut. Aber geht es hier nur um das einfache, narrative Erzählen?

Oder anders: Können wir Verständnis für die Täter aufbringen, auch wenn die Täter selbst einmal Opfer gewesen sind (wie die widergängerische Miss Jessel bezeichnenderweise singt: "Hier begann mein Unglück, hier beginnt meine Rache.")? "The Turn of the Screw" schafft ein nebuloses Kontinuum, das die Gewalttätigkeit solcher Übergriffe in eine Konstellation manövriert, nach der das Opfer auch der/die Verführende sein könnte. Eine Auffassung, die es Tätern leicht macht, sich aus ihrer Verantwortung guten Gewissens davonzustehlen. Es ist keine Frage, dass Britten selbst aus dieser Zwickmühle nicht herauskam, seine eigenen Wünsche legitimieren zu müssen - auch wenn sie ihm - bildlich gesprochen - das Leben kosten sollten, wie Miles am Schluss des Werkes. Daraus ergibt sich aber eine Unschärfe, die aufzudecken das eigentliche Verdienst gewesen wäre. Sonst bleibt wirklich nichts Anderes übrig als Heuchelei... Und das Publikum geht zufrieden und ein wenig gegruselt wieder nach Hause, so als hätte es eben eine inszenierte Schauergeschichte im Stile eines Edgar Allen Poe erlebt.