OWEN WINGRAVE
Aktuelle Spielpläne
Forum
Opernführer
Chronik
Home
Britten-Portal

Kammeroper
4.6.2009

Musikalische Leitung: Daniel Hoyem-Cavazza
Inszenierung: Nicola Raab
Ausstattung: Anne Maria Legenstein
Lichtdesign: Michael Hofer


Orchester der Wiener Kammeroper

(Premiere 23.5.2009)

Narrator - Brian Galliford
Owen Wingrave - Andrew Ashwin
Spencer Coyle - Craig Smith
Lechmere - Paul Schweinester
Miss Wingrave - Ewa Biegas
Mrs Coyle - Rika Shiratsuchi
Mrs Julian - Ingrid Habermann
Kate - Astrid Hofer
General Sir Philip Wingrave - Brian Galliford


Verzerrter Zapfenstreich
(Dominik Troger)

Mit Benjamin Brittes „Owen Wingrave“ ist der Kammeroper eine dichte, sehenswerte Produktion gelungen. Gespielt wird das Werk in einem Arrangement für Kammerorchester von David Matthews.

Obwohl als Fernsehoper 1971 auf BBC2 uraufgeführt, war das Werk von vornherein auch für die Bühne konzipiert worden. Die Aufführungszahlen hielten sich allerdings in engen Grenzen, erst seit den 1990er-Jahren erfolgte eine langsame Wiederentdeckung. Die Wiener Kammeroper sorgte jetzt für die österreichische Erstaufführung.

Owen Wingrave handelt vom Spross einer Soldatenfamilie, der die Offizierslaufbahn beschreiten soll, aber mitten in der Ausbildung aussteigt. Owen sehnt sich nach Frieden und rebelliert gegen das verordnete Soldatentum und gegen seine Herkunft. Mit der ganzen Kämpfernatur seiner Vorfahren lehnt er sich gegen den Willen seiner Familie auf, während diese mit allen verfügbaren Kräften dagegenhält.

Doch Britten hätte sich mit „Owen Wingrave“ nicht auf eine Novelle von Henry James bezogen, wenn es ihm darum gegangen wäre, glattgebürsteten Pazifismus zu verbreiten. Sondern auch hier lauern unter der Oberfläche Abgründe, aus denen traumatische Familiengeschichten und verborgene sexuelle Wünsche wie Gespenster aufsteigen.

Die Verwandtschaft von „Owen Wingrave“ mit Brittens 1954 uraufgeführter Oper „The Turn of the Screw“ (auch nach einer Novelle von Henry James) wurde deshalb schon früh in der Rezeptionsgeschichte problematisiert. Und die Parallelen sind eindeutig. Ist es nicht seltsam, dass auch in „Owen Wingrave“ ein Knabe sterben muss – und dass der mordende Wingrave-Vorfahre und der tote Sohn als Geister den Landsitz der Familie beunruhigen? Niemand wagt in dem Zimmer zu schlafen, in dem die Tat geschehen ist. Owen wagt es am Schluss, weil er in den Augen von Kate kein Feigling sein will – und stirbt dabei einen, wie man annehmen könnte, von seinem Unterbewusstsein indizierten Sühnetod, erdrückt von der Last der Familiengeschichte.

Brittens Kunst im gekonnten Verschleiern des „Unaussprechlichen“ (seiner Homosexualität) führt auch bei „Owen Wingrave" zu einer eigenartigen Vermengung unterschiedlicher Motivebenen, die nicht immer ganz fugenlos zu einander passen und wo das Eine schnell für etwas Anderes stehen kann. Die Hauptcharaktere sind sehr exponiert in ihren Haltungen, von fast archaischer Strenge, und die Kürze des Werkes (knappe eindreiviertel Stunden) verstärkt den Eindruck. Lediglich in der Figur des Lehrers und seiner Frau bemüht sich Britten um einen differenzierteren Zugang. Doch die beiden stehen auf verlorenem Posten. Zudem weicht die Handlung um den Familienfluch (wenn man ihn denn als solchen bezeichnen will) die pazifistische Motivation stark auf, nimmt dem Thema viel von seiner politischen Sprengkraft. Was bleibt, ist ein spannendes Psychodrama mit großer Bühnentauglichkeit, das zwischen politischem Anspruch und Ghoststory wechselt.

Man spürt das auch in der Musik, wobei die in der Kammeroper gespielte Kammermusikfassung von David Matthews Brittens Spätstil sehr kompakt und mit fast schon spartanisch zu nennender Konsequenz auf die dramatische Verdichtung des Bühnengeschehens abgestimmt hat. So ergibt sich der Gesamteindruck eines seltsam verzerrten Zapfenstreichs, mit der Wingrave-Ballade, die den zweiten Akt einleitet, als sentimentalem Ausgangspunkt: Knabenchor und Trompete begleiten den Balladensänger, der von den grausam-gespenstischen Vorgängen im Hause Wingrave berichtet, vom Vater, der seinen Sohn zu Tode züchtigte, weil dieser gegenüber einem Spielkameraden seine Ehre nicht verteidigt habe. Der Vater, so die Familiengeschichte, wurde später in demselben Zimmer tot aufgefunden: Handlung genug für eine mit sozialkritischen Tendenzen verwobene Story im Nachhall eines Edgar Allen Poe.

Die Umsetzung in der Kammeroper (Inszenierung: Nicola Raab) vermeidet es, dem Werk mit zuviel Realismus auf den Leib zu rücken. Die Bühne ist abstrakt gehalten, in den Farben eintönig grau, es gibt wenige Requisiten. Manche Kostüme verweisen auf die Handlungszeit des späten 19. Jahrhunderts. Aber die Figurenaufstellungen funktionieren und man spürt deutlich den Druck, der auf Owen ausgeübt wird. Ziel war es offenbar, die Parabelhaftigkeit der Handlung zu verstärken mit einem zu (?) deutenden Schluss, bei dem Owen aufgemacht wie ein toter Jesus, nackt, nur mit Stoffwickel um die Blöße, in besagtem Zimmer aufgefunden wird.

Musikalisch überzeugte der Abend sowohl vom Orchester unter Daniel Hoyem-Cavazza als auch vom Sängerteam durch eine geschlossene Ensembleleistung. Andrew Ashwin, ein junger britischer Bariton, hinterließ als Owen Wingrave einen vorzüglichen Eindruck sowohl gesanglich als auch von der Bühnenwirkung. Sehr gut auch Craig Smith als verständnisvoller Lehrer und seine Frau (Rika Shiratsuchi). Paul Schweinester gab einen treffend charakterisierten Lechmere. Astrid Hofer sang eine sehr gute Kate, Ingrid Habermann gab der Mrs. Julian ein wenig stereotype Konturen und Ewa Biegas war eine etwas zu forsche Miss Wingrave. Brian Galliford steuerte den verstockten, autoritären General bei.

Das Publikum spendete viel Applaus, ganz ausverkauft war das Haus allerdings nicht. Weitere Vorstellungen sind am 6., 9., 11., 13., 16. und 18. Juni 2009 angesetzt. Beginn jeweils 19.30 Uhr. Operninteressierte sollten die Produktion nicht versäumen.