PETER GRIMES
Aktuelle Spielpläne
Forum
Opernführer
Chronik
Home
Britten-Portal

Wiener Staatsoper
26. Jänner 2022
Wiederaufnahme

Musikalische Leitung: Simone Young

Peter Grimes - Jonas Kaufmann
Ellen Orford - Lise Davidsen
Balstrode - Bryn Terfel
Auntie - Noa Beinart
Erste Nichte - Ileana Tonca
Zweite Nichte - Aurora Marthens

Bob Boles - Thomas Ebenstein
Swallow - Wolfgang Bankl
Mrs. Sedley - Stephanie Houtzeel
Reverend Adams - Carlos Osuna
Keene - Morten Frank Larsen
Hobson - Erik Van Heyningen
Stumme Rollen:
John - Florens Siener
Dr. Crabbe -Pavel Strasil


„(K)ein Seemann?

(Dominik Troger)

Benjamin Brittens „Peter Grimes“ hat derzeit in Wien eine seltene „Konjunktur“. Nach dem Theater an der Wien, das die Inszenierung von Christof Loy wieder aufgenommen hat, folgte nun die Staatsoper mit der Reaktivierung der Produktion von Christine Mielitz.

Die Staatsopern-Inszenierung ist die ältere der beiden, stammt aus dem Jahr 1996 und wurde bis dato durch insgesamt bereits vier Wiederaufnahmen in die Gegenwart „getragen“. Die Produktion des Theaters an der Wien zeichnete dagegen nahezu „juvenile Frische“ aus, stammt sie doch aus dem Jahre 2015. Loy hat im Theater an der Wien die Oper als Homosexuellendrama inszeniert und letzten Herbst neu einstudiert, während an der Staatsoper im heute altertümlich anmutenden postmodernen Neonröhrenlicht die Geschichte mehr defokussierend erzählt wird. Oder – anders formuliert– wenn man dem „Peter Grimes“ zum ersten Mal begegnet, wird man sich schwerlich auskennen.

Mielitzs Ideen verlieren sich zwischen dem Außenseitertum von Grimes, einem plakativ outrierenden Dorfkollektiv und der Kritik an den Produktionsbedingungen von Tiefkühlfisch. Außerdem hat die Regie noch ein paar subtextbehaftete Addons aus der Partitur herausgekrümelt wie die kopulierenden Paare oder die weißen walzertanzenden Balletträume. Loy hat aus seiner Sicht klar und zupackend gezeigt, was Sache ist – damit allerdings die assoziative Aura, die das Werk umgibt, zerstört und – auf die Handlung bezogen – sich nicht wenige Unstimmigkeiten eingehandelt.

Für die Wiederaufnahme von „Peter Grimes“ an der Wiener Staatsoper hat sich das Haus einer illustren Besetzung versichert: Jonas Kaufmann gab in der Titelpartie sogar sein internationales Rollendebüt. Die Premiere anno dazumal hat Neil Shicoff gesungen – sowie ein gutes Drittel der insgesamt rund 40 Vorstellungen. Sein „Grimes“ bewegte sich mit arg angegriffenem Nervenkostüm immer am Anschlag zur totalen Existenzkrise. Dass es auch anders geht, hat Stephen Gould bewiesen: ein Grimes mit aufgekrempelten Ärmeln, von der Statur ein Kerl der zupacken kann, aber mit der naiven Seele eines Naturburschen gesegnet – ein Siegfried der Meere, den das Schicksal fällt.

Und was ist Jonas Kaufmann? Die salz- und sonnengegerbte Haut des Seemanns trägt er nicht vor sich her, weder im Spiel noch in der Stimme. Sein in der baritonalen Fülle etwas schläfrig wirkender Tenor schärfte von vornherein nicht die Silhouette britischer Atlantikklippen. Anfänglich wirkte Kaufmann ein wenig aus dem Zentrum gerückt, die linke Hand in der Hosentasche vermittelte eine unpassende Lässigkeit – oder sollte das die Auflehnung gegen die Dorfgesellschaft und gegen das Schicksal symbolisieren? Stärkere Emotionen schürte Kaufmann im Finale, als er sich – das tote Kind im Arm – einer mehr gefasst wirkenden Verzweiflung überließ. Aber wirkten seine Gewaltausbrüche nicht ohnehin ein wenig aufgesetzt? Fast könnte man zur Überzeugung gelangen, dass sich Kaufmann die Partie noch einmal vornehmen sollte, um einen letzen Rest von Reserviertheit abzustreifen. Aber vielleicht war das nur dem Rollendebüt geschuldet.

Lisa Davidsen stakte im ersten Akt wie eine Lordschaft durch dieses Bühnenfischerdorf – das Mielitz bis zur Unkenntlichkeit abstrahiert hat. Davidsens kraftvoller, metallischer Sopran zeichnete die Figur zuerst sehr selbstsicher und überstrahlte alles. Diese Stimme füllt das Haus, diese Stimme ist von zupackender Energie. Und das Ringen der Ellen Orford gewinnt dadurch eine tragische Größe, die man – offen gesagt – in der Partie bisher nicht vermutet hat. Bryn Terfel gab einen eher zurückhaltenden Balstrode, der aber keine Sekunde an dem Status zweifelt, der ihm in der Dorfgesellschaft zukommt. Und wenn Balstrode im Finale die notwendige Autorität aufbringt, um Grimes den Selbstmord zu befehlen, dann ist ohnehin alles gewonnen. (Bryn Terfel hat die Partie an der Staatsoper bereits vor vielen Jahren gesungen, jetzt fühlt sich sein Handelschifffahrtskapitän i.R. „gesetzter“ an.)

Der Besetzungszettel des „Peter Grimes“ ist lang und es gab jede Menge an Rollendebüts. Aunti (Noa Beinart) und ihre Nichten (Ileana Tonca, Aurora Martens) wurden in ihrem unmoralischen, flatterhaften Wesen durch die Milietz’sche Regie noch befördert, fanden aber im „Quartett“ mit Ellen vor der Passacaglia zu einer melancholisch-demütigen Selbstbestimmung weiblicher Existenz – vielleicht die emotional berührendste Szene des ganzen Abends. Dass Thomas Ebenstein einen markanten Bob Boles abgeben würde, war zu erwarten gewesen, Stephanie Houtzeel steuerte erstmals die regie-verschrobene Mrs. Sedley bei. Wolfgang Bankl gab kein Rollendebüt am Haus und sein Swallow wirkte auf mich ein wenig glatt.

In den kommenden Aufführungen der Serie wird sich das alles noch homogener zusammenschweißen – auch mit dem Orchester unter Simone Young, das zum Teil recht laut unterwegs war. Dann werden sich vielleicht auch die Zwischenspiele noch ein bisschen mehr Sinnlichkeit aneignen. Viel Applaus gab es nachher und Blumen – nicht für den Sopran, sondern für den Tenor!.

Der Vergleich zwischen dem Theater an der Wien und der Staatsoper fällt dieses Mal zu Gunsten des Theaters an der Wien aus. Auch wenn ich die Sichtweise Loys für zu einseitig halte, die Aufführung war einfach spannender – szenisch und musikalisch.