PETER GRIMES
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Wiener Staatsoper
21. Dezember 2016


Musikalische Leitung: Graeme Jenkins

Peter Grimes - Stephen Gould
Ellen Orford - Elza van der Heever
Balstrode - Brian Mulligan
Auntie - Monika Bohinec
Erste Nichte - Simina Ivan
Zweite Nichte - Margaret Plummer

Bob Boles - Norbert Ernst
Swallow - Marcus Pelz
Mrs. Sedley - Donna Ellen
Reverend Adams - Carlos Osuna
Keene - Morten Frank Larsen
Hobson - Sorin Coliban
Stumme Rollen:
John - Dé Marius Pothoven
Dr. Crabbe - Andreas Bettinger


„Ein Fischer mit Heldentenor

(Dominik Troger)

„Peter Grimes“ ist nicht gerade eine Oper, die Weihnachtsgefühle weckt. Wer selbigen Abends zum „Messias“ in den Musikverein pilgerte, konnte sich schon eher mit Festtagsstimmung aufladen. Aber wer denkt überhaupt an Weihnachten, wenn ein neuer Staatsoperndirektor präsentiert wird?

Bogdan Roscic heißt also der neue Mann, der in vier Jahren die Wiener Staatsoper lenken soll. Er wurde noch knapp vor den Feiertagen aus dem Hut des Kulturministers gezaubert. Über konkrete Inhalte wurde dabei bemerkenswert wenig gesprochen und die Öffentlichkeit vor allem mit Schlagworten bedient: „Staatsoper 4.0“ und „Vorwärts zu Mahler“!? Was das dann im Endeffekt bedeutet, wird die Zukunft weisen.

Aber zurück zu „Peter Grimes“. Im Theater an der Wien wurde die Oper letzte Saison unter Bezugnahme auf Brittens Biographie aus dem Blickwinkel verklemmter und ausgelebter Homosexualität inszeniert. Davon ist in der 20 Jahre alten Staatsopernproduktion (Regie: Christine Mielitz) kaum etwas zu spüren – nur die heterosexuellen Pärchen treiben es manchmal ein bisschen „bunt“. Mielitz hat stark abstrahiert, die enge Verbindung von Handlung und Naturstimmung aufgebrochen. Die Provinzialität der Dorfbewohner ist kaum zu spüren, wird in einen showmäßigen Mob verwandelt, der überdreht wie in einer Musicalproduktion agiert. Das ergibt für Peter Grimes kein adäquates Bühnenhabitat und lässt das Publikum über die Schauplätze der Handlung im Unklaren.

In dieser Aufführungsserie hat erstmals Stephen Gould den Grimes an der Wiener Staatsoper gesungen. Gould ist mit seiner großen, kräftigen Statur ein ganzer (!) „Seebär“, und dass man stimmlich in den dramatischen Ausbrüchen heldentenoralen Siegfried-Glanz herauszuhören vermeinte, ist bei ihm naheliegend. Gould ging aber sehr feinfühlig mit seiner Stimme um, bis zu einer zarten, leichten Tongebung. Sein eher angenehm getöntes Timbre ermöglichte es ihm, in Peter Grimes eine ehrlich empfundene Sehnsucht nach Häuslichkeit und Liebe zu erwecken. Aber im Zorn fegte sein Tenor wie das bedrohliche Grollen der stürmischen Brandung über die Staatsopernbühne. Dank seiner stimmlichen Reserven hat Gould diese plötzlichen emotionalen Umschwünge plausibel und mit dem gewünschten Überraschungseffekt transportieren können. Als Zuschauer spürte man die in Grimes schlummernde Aggressivität, die aus dieser von Gould mit Hingabe gezeichneten Figur so plötzlich herausbricht wie ein Naturereignis. Im Auf und Ab dieses Ungleichgewichts wurde die ausweglose Situation dieses Menschen fühlbar, ganz ohne Manierismus, in eine sich selbst und anderen gegenüber hilflose, emotionale Naivität gegossen.

Elza van Heever hatte ihren Infekt überwunden und wurde als Wiedergenesene angesagt. Sie sang mit teils zartem, sehr innigem Sopran, gab Ellen ein empfindsames, großes Herz – und im Finale eine große Verzweiflung. Gould und Heever passten sehr gut zusammen, weil sie beide die Schlichtheit einfacher Menschen in der Stimme trugen – Heever als gutgläubig Liebende, die sich wohl ohne das Dazwischentreten Balstrodes für Grimes in ihrer Verzweiflung noch aufgeopfert hätte.

Brian Mulligan sang den Balstrode fast schon zu gepflegt – was natürlich den Connaisseur erfreut. Die übrige Besetzung bewegte sich durchwegs auf solidem bis angemessenem Niveau. Besonders erwähnt seien etwa der stimmlich konsistente und eifrig geifernde Bob Boles von Norbert Ernst oder der mit seinem Bass bühnenpräsent raubeinige Sorin Coliban als Fuhrmann Hobson. Das Orchester unter Graeme Jenkins realisierte Brittens Musik mit Spannung, im Klang leicht trocken, in der Ausführung pragmatisch, ohne großen romantischen Atem.

Der Schlussapplaus für die 40. Aufführung in dieser Inszenierung währte rund sechs Minuten lang. Gezählte 70+ Sitzplätze waren zu Beginn der Vorstellung im Parterre unbesetzt, der Stehplatz war schlecht besucht.