PETER GRIMES
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Grimes - Herbert Lippert |
Die Wiener Staatsoper hat Benjamin Brittens 100. Geburtstag mit einer Wiederaufnahme von „Peter Grimes“ gewürdigt. Die Oper wurde zuletzt 2006 gespielt, die Produktion stammt aus dem Jahr 1996. Nachstehende Anmerkungen beziehen sich auf die zweite Aufführung dieser Serie (die 35. Aufführung in dieser Inszenierung). Als großer Publikumsrenner hat sich „Peter Grimes“ in all den Jahren nicht erwiesen. Möglicherweise hat die Inszenierung von Christine Mielitz einigen Anteil daran, weil sie für ein Britten unerfahrenes Publikum die Handlung zu wenig deutlich aufdröselt. Mielitz machte aus der Oper ein kapitalismuskritisches Spektakel, das den Außenseiter Peter Grimes zu oberflächlich zwischen Fischfabrik und Bordell verortet. Städtchen, Meer, Küste, solche visuellen Anker lassen sich kaum erahnen. Die Szene wurde stark abstrahiert, wirkt teilweise wie der Grafik eines Computerspiels der 1980er-Jahre nachempfunden – und so steht beispielsweise im Zentrum der nach dem Bühnenhintergrund spitz zulaufenden gelben Bodenmarkierungen ein rotes Ruderboot wie auf einer „Landebahn“. Vor allem die Beleuchtung hat etwas von dieser Spielautomatenästhetik, die mit postmodernen Reizen zwar nicht geizt, die eigentliche Handlungszeit – um 1830 – und den eigentlichen Handlungsort – ein englisches Küstenstädtchen – aber negiert. (Bühnenbild und Kostüme: Gottfried Pilz) Auch wenn Britten selbst an seiner Oper den Kampf des Individuums mit der Masse betont hat, die Abgründe lauern hier nicht nur in der „Gesellschaft“, sondern genauso in den Seelen der Hauptfiguren. Grimes und Orford sind nicht nur gegenüber der aggressiven und Gerüchte ausstreuenden Dorfgemeinschaft hilflos, sie sind es auch gegenüber ihrem eigenen Lebensentwurf. Orford hat vielleicht ein Helfersyndrom, Grimes neigt zu ungezügelter Aggressivität. Eigenschaften, die ihre Erinnerungen und das Scheitern ihrer Zukunftswünsche mitbestimmen. Und Britten lässt ihnen nicht die Spur von einer Chance. In dieser Produktion werden diese Schattenseiten einigermaßen überdeckt, dienen sie mehr dazu, die Stadtbewohner gegen die beiden aufzuhetzen, als dass die Motivationen für die Handlungen von Grimes und Orford hinterfragt würden. Und Balstrode – als ehemaliger Kapitän politisch schon ein wenig „verdächtig“ – leistet im Finale erhebliche „Beihilfe“ zum Selbstmord eines ausweglos verzweifelten „Arbeiter-Fischers“. Außerdem hängt es stark vom Darsteller des Peter Grimes ab, welcher Stempel der Partie „aufgedrückt“ wird. Ursprünglich hätte Ben Heppner den Peter Grimes singen sollen, nach seiner Absage kam Herbert Lippert zum Zug. In der Wiederaufnahme am Samstag feierte er in dieser Partie Rollendebüt an der Staatsoper. Lipperts Grimes war aus eher einfachem Holz geschnitzt, seelische Abgründe wie bei anderen Interpreten der Rolle taten sich kaum auf. Stimmlich „hing“ sein Peter Grimes öfters an einem etwas dünnen „Seil“, vom Timbre mit lyrischer, leicht fahler Einfärbung versehen. Das kurze Arioso über das Sternbild des „Großen Bären“ im ersten Akt enthielt sich einer melancholisch-poetischen Entrückung. Das vermittelte allerdings gut die große Gefährdung dieses Bühnencharakters und war im Rahmen dieser Produktion nachvollziehbar. Lipperts Peter Grimes erinnerte mich an einen „Underdog“, der sich zwar in einer ihm feindlich gesinnten Umwelt beweisen möchte, den das Schicksal aber schon sehr stark „in seinen Klauen“ hält. Daraus resultierte ein etwas einseitiges Ausdrucksspektrum, angepasst an den immer begrenzter werdenden „Lebensraum“ der Bühnenfigur. Die Ellen Orford von Gun-Brit Barkmin war eine passende Ergänzung zu diesem Peter Grimes, ihre fester, eher heller, aber nicht sehr strahlkräftiger, im Timbre etwas „abgedimmt" klingender Sopran, passte gut zur ihrer Rollenzeichnung: ein bisschen Blaustrumpf, ein bisschen Witwe mit Sehnsüchten und vor allem mit einer nicht ganz friktionsfreien Beziehung zu Peter Grimes, die ihr seelisch viel Substanz kostet. Es wäre ohnehin lohnend, Orford einmal genauer unter die Lupe zu nehmen: Orford als Handlangerin und Orford als Mitschuldige am Schicksal der Lehrbuben von Peter Grimes. Welche seelischen Bedürfnisse deckt sie damit ab? Balstrode wurde von Iain Paterson mit wohl erklingendem Bariton auf die Bühne gestellt; ein Kapitän mit Format und Autorität und einem Englisch als „native speaker“ – der (ebenso wie Gun-Brit Barkmin) in dieser „Peter Grimes“-Serie sein erfolgreiches Hausdebüt gegeben hat. Aus dem Ensemble der Dorfbewohner stachen im positiven Sinne besonders Norbert Ernst als Bob Boles und Wolfgang Bankl als Swallow heraus. Das Orchester unter Graeme Jenkins spielte konzentriert, im Klang eher trocken und etwas „unsubtil“. Der Abend lag bei ihm aber in guten, „verwaltenden“ Händen. Dass man an der Staatsoper schon musikalisch zwingendere Aufführungen des Werkes erlebt hat, soll die Dankbarkeit über diese Wiederaufnahme nicht schmälern. In der Pause gab es einen leichten Publikumsschwund. Der Schlussapplaus dauerte rund fünf Minuten lang. |