DER TOD IN VENEDIG
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Volksoper
14.5.2022
Premiere
Koproduktion mit dem Royal Opera House Covent Garden

Musikalische Leitung: Gerrit Prißnitz
Inszenierung: David McVicar
Regiemitarbeit: Greg Eldrige
Bühne & Kostüme: Vicki Mortimer
Choreografie: Lynn Page
Licht: Paule Constable

Gustav von Aschenbach - Rainer Trost
Der Reisende u.a. - Martin Winkler
Stimme des Apollo - Thomas Lichtenecker
Tadzio (Tänzer) - Victor Cagnin
Jaschiu (Tänzer) - Flavio Paciscopi
Nebenrollen: Mara Mastalir, Cinzia Zanovello, Renate Pitscheider, Birgid Steinberger, Martina Mikelic, Manuela Leonhartsberger, Ghazal Kazemi, Elvira Soukop, Christian Drescher, David Sitka, Johannes Strauß, JunHo You, Ben Connor, Yasushi Hirano, Johannes M. Wimmer, Daniel Ohlenschläger u.a.m.

 

Eros des Verfalls
(Dominik Troger)

Benjamin Brittens „Death in Venice“ hat in dieser Saison eine rare Konjunktur. Nach einer Produktion der Neuen Oper Wien im Oktober wird das Werk jetzt an der Volksoper gespielt – allerdings in deutscher Fassung. Es handelt sich um eine Koproduktion mit dem Royal Opera House Covent Garden.

Die Volksoper hat sich in der Vergangenheit immer wieder um Opernraritäten bemüht, manchen auch zu einigem Erfolg und einer Neubewertung verholfen. In Sachen Britten hat man Ende der 1990er-Jahre mit dem „Sommernachtstraum“ reüssiert, eine Produktion, die sich dank Wiederaufnahmen über zehn Jahre auf dem Spielplan gehalten hat. Dem „Tod in Venedig“ würde man so ein Beharrungsvermögen nur zu gerne wünschen, aber es fällt schwer, daran zu glauben. Die beiden Werke sind zu unterschiedlich.

Brittens letzte Oper nach der gleichnamigen Novelle von Thomas Mann trägt die Züge eines Spätwerks. Der verhandelte Künstlerkonflikt um den schreibblockierten Schriftsteller Gustav von Aschenbach und seine widerstreitenden, triebgesteuerten Gefühle, die Britten im Gegensatz zwischen Apollo und Dionysos „allegorisiert“ und „antikisiert“ hat, ist zu sehr „Literaturoper“, um auf Breitenwirkung zählen zu dürfen. Im Spielplan der Volksoper nimmt sich das Werk ein wenig „esoterisch“ aus. Die Produktion, die in London im Jahr 2019 Premiere hatte, musste wegen COVID um ein Jahr verschoben werden, ist aber rundum gelungen. Die Inszenierung hält sich im Wesentlichen an die Partitur, spielt sogar in der angegebenen Handlungszeit kurz vor dem ersten Weltkrieg.

Das ist keine Überraschung, wenn man den Namen des Regisseurs nennt: David McVicar hält sich im Wesentlichen an die Vorgaben von Komponisten und Librettisten, wobei er in diesem Fall die von Britten allegorisierten Gefühlsinhalte Aschenbachs konkret darstellt und die Stimmen von Apollo und Dionysos personifiziert auftreten lässt. Dadurch wird vielleicht weniger deutlich, dass es um Wünsche geht, um Illusionen, um eine Irrationalität, die den organisierten und moralisch integren Schriftsteller langsam unterminiert und das Feld für ein seinen Willen zernagendes Triebleben aufbereitet. McVicar vollzieht diese Entwicklung nach, bleibt dabei aber „naturalistisch“, macht in der entscheidenden Traumszene, in der Aschenbach endgültig von Dionysos übermannt wird, kein Hehl daraus, dass des Schriftstellers Wünsche auch fleischlicher Natur sind – und plötzlich findet sich der angebetete Tadzio zwischen den weißen Laken, auf die sich Aschenbach müde gebettet hat.

Im Finale dominiert dann ein dunkelblaues Kulissenmeer, davor der Strand mit Aschenbach, während Tadzio mit tänzerischem Elan für den sterbenden Schriftsteller die Schönheit eines Todesgottes mimt. Tadzios Handbewegung, mit der er in die Ferne des unergründlichen Meeres weist, in das „Verheißungsvoll-Ungeheure“, hat McVicar von Thomas Mann übernommen. Aber er beschließt damit nicht die Oper. Vielleicht gibt es eine Spur zu viel an Bewegung in diesem Finale – doch wenn Tadzios Tanz nicht mit der Musik endet, wenn er sich weiterbewegt, wenn er über das Verstummen der Musik hinaus die Schönheit seines Körpers in balletteuse Pose bringt, dann transformiert sich der Todesschrecken in jene dekadente Verklärung, mit der die Kunst uns Menschen für ein paar Atemzüge aus unserer Vergänglichkeit befreit.

Der Weg bis zu diesem Finale ist nicht immer spannend, vor allem der erste Teil mit der Balletteinlage des Wettkampfs der Jünglinge hat seine Längen. Aber der optische Rahmen ist so stimmig wie die historisierenden Kostüme oder die Gondelfahrten mit einem über die Bühne bewegten Kulissenteil. Einige Säulen geben dem Bühnenbild einen klassizistische Note. Die Säulen können auch bewegt werden, passen die rasche Szenenfolge geschickt dem Raum an, mal Hotellobby oder Café oder Friseurladen. Vor allem die Strandansicht zaubert ein Bild wie aus alten Zeiten auf die Volksopernbühne, erfüllt mit südlichem Licht, in dem sich Aschenbachs Schicksal minutiös erfüllt.

Die „Demontage“ Aschenbachs wird von McVicar mit Stil betrieben und Rainer Trost verlieh dem alternden Schriftsteller ein starkes Profil: ein beherrschter Mensch, der zwischen Ansprüchen und Wünschen langsam aufgerieben wird – bis zur Selbstaufgabe und zum Zusammenbruch. Sein gefestigter lyrischer Tenor gab der Figur eine nüchterne Grundhaltung, die er mit einem leicht leidenden Gluckschen Pathos abmischte, das von der Schönheit eines Phaedrus schwärmt. Aschenbach hat schließlich auch Format – und so gediegen, wie ihn David McVicar entworfen hat und wie in Rainer Trost darstellt, hätte man meinen können, Thomas Mann selbst habe die Volksopernbühne betreten.

Martin Winkler war diesem Schriftsteller ein leicht grotesk-diabolisch angehauchter Gegenspieler, mit einem etwas auf rau gepolten Bassbariton unterlegt. Winkler gelang es bei den einzelnen Figuren – vom fremden Reisenden bis zum Barbier – eine unmoralische Weichheit durchschimmern zu lassen, so wie leicht faulende Stellen langsam das Fruchtfleisch der Erdbeeren bräunen, die die venezianische Straßenverkäuferin feilbietet. Als Tadzio bewegte und tanzte sich Victor Cagnin sinnlich durch den Abend. Natürlich ein schöner junger Mann, alles andere wäre wenig zweckdienlich gewesen. (Ja, er hätte knabenhafter sein können, um stärker antiken Idealen zu entsprechen.) Der Countertenor von Thomas Lichtenecker sorgte für den lichterglänzenden Apoll. Das Volksopernensemble bewährte sich im üppigen Figurenkatalog, alles sehr gut einstudiert und mit Liebe zum Detail ausgefertigt. Das Orchester unter Gerrit Prießnitz sorgte für die kunstgerechte Aufbereitung von Brittens etwas spröder Partitur und fand für das Finale den notwendigen Verklärungsatem.

Bemängeln kann man, dass nicht die englische Originalfassung gespielt wurde. Nie und nimmer würde einem soignierten Schriftsteller wie Gustav von Aschenbach eine Formulierung wie „Es rast mein Hirn“ einfallen. Leider beginnt die Oper mit diesem Satz und sorgt zuerst einmal für Verwunderung. „Es rast mein Verstand“ wäre sinngemäß passender, hat aber eine Silbe zu viel. Allein an diesem „My mind beats on“ lässt sich die ganze Problematik von Übersetzungen ablesen. Aber dieser Einwand ist verschmerzbar, weil es sich insgesamt um eine gelungene Erstaufführung des Werkes an der Volksoper handelt, die vom Publikum mit viel Beifall und Bravorufen – auch für das Regieteam – bedacht wurde. Gespielt wird „Der Tod in Venedig“ noch bis Ende Mai und es gibt reichlich Karten, auch die Premiere war nicht ausverkauft.