DEATH IN VENICE
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Museumsquartier Halle E
7.10.2021
Premiere

Musikalische Leitung: Walter Kobéra
Inszenierung: Christoph Zauner
Bühne & Kostüme: Christof Cremer
Choreografie: Saskia Hölbling
Licht: Norbert Chmel

Tonkünstler-Orchester Niederösterreich
Wiener Kammerchor

Gustav von Aschenbach - Alexander Kaimbacher
The Traveller u.a. - Andreas Jankowitsch
The Voice of Apollo - Ray Chenez
sowie in Nebenrollen: Alexander Aigner, Bernd Hemedinger, Catalina Paz, Jakob Pejcic, Katharina Linhard, Maximilian Anger, Elisabeth Kirchner, Tanja Martel, Dominik Witzmann, Sebastian Taschner, Felix Knaller, Magdalena Janezic, Elisabeth Zeiler, Verena Graf, Robert Novacko, Armin Radlherr

Tänzer
Tadzio - Rafael Lesage
sowie Luis Rivera Arias, Leonie Wahl, Ardan Hussain

 

Saisonstart mit Britten
(Dominik Troger)

„Death in Venice“ von Benjamin Britten ist ein seltener, aber doch regelmäßiger Gast auf den Wiener Opernbühnen. Man kann sein Erscheinen in Dezennien angeben, zuletzt 2009 im Theater an der Wien. Zwölf Jahre später bringt jetzt die Neue Oper Wien das Werk auf die Bühne der E-Halle im Museumsquartier.

Cholera oder COVID? Natürlich möchte man sich keines von beiden aussuchen müssen. Die „Seuche“, die den Schriftsteller Gustav von Aschenbach in Venedig bedroht, ist ohnehin stark symbolträchtig gemeint – ein naturalistisches Artefakt, das dekadenter Todessehnsucht den „goldenen Schuss“ verpasst. Im Spannungsfeld zwischen Trieb und Tugend wird seitens Thomas Mann eifrig und sehr „gebildet“ sublimiert, und Britten folgt dem deutschen Autor gerne in dessen eskapistisches Venedig, das bedrohlich und verlockend – wie eine mit Cholerabazillen vermantschte Erdbeere – auf sein Opfer wartet.

Aber kann man gegenüber diesem „Tod in Venedig“ überhaupt seine kritische Distanz bewahren? Schleicht sich nicht die sprachliche Brillanz der Novelle ebenso wie Brittens kongeniale Vertonung oder Luchino Viscontis schwermütige Verfilmung in jede kunstliebende Seele ein? „At a clear beckon from Tadzio, Aschenbach slumps in his chair. Tadzio continues his walk far out to sea.“ Mit dieser Szenenanweisung beschließt Britten seine Oper. Sie fasst knapp die „Apotheose“ zusammen, die Thomas Mann seinem Aschenbach in der Novelle angedeihen lässt. Der schöne Jüngling, sein unnahbarer Geliebter, wird für ihn zum Todesboten. Er entführt die Seele des Dichters gleichsam in die Weiten des Urmeers, des Weltengrundes, in die höchste Lust einer „Tristan’schen-Ekstase“. Stirbt Aschenbach nicht eine Art von Liebestod? Diese Ausführungen sind wichtig, weil sie bewusst machen sollen, wie konträr die Inszenierung der Neuen Oper Wien dieses Finale gedeutet hat. Tadzio wird erschossen! Er fällt vor Aschenbachs Füße. Dieser stirbt, zumindest im gemeinsamen Tod vereint mit seinem geliebten Jüngling.

Die Inszenierung von Christoph Zauner hatte ohnehin ihre „Probleme“ mit der Verquickung von „Realität“ und der von Mann intendierten „platonischen Hintergrundstrahlung“, die Britten nicht hinterfragt, sondern eher noch verstärkt hat. Laut Programmheft (diesmal in „querdenkerischem“ Querformat) ging es dem Regisseur um das „Künstlerdrama“ und um die verdrängte Homosexualität, die offenbar ein Grund für die Schaffens- und Lebenskrise ist, in der sich Aschenbach nach Venedig aufmacht. Auffallend ist auch die Bemerkung, Brittens Musik sei unter diesem Aspekt „fast zu schön geraten“. Apollo und Dionysos fungieren bei Zauner als personifizierte innere Stimmen Aschenbachs. Die Stimme des Apollo wurde von ihm als eigenständige Figur in die Handlung eingeführt. Gibt nicht Apollo am Schluss den tödlichen Schuss auf Tadzio ab? Wird Aschenbachs Tod zu einem Suizid umgedeutet? Brittens Oper ist ein solcher „Kommentar“ völlig fremd.

Von Venedig war an diesem Abend nicht viel zu sehen. Die offene Bühne bestand aus mehreren Bootsstegen, die quer mit einander verbunden waren. Mit Lichteffekten und ein bisschen Bühnennebel wurde manchmal die Illusion von Meer erzeugt oder von den bedrohlichen Ausdünstungen der Cholera oder ein blauer Sonnenschirm „zaubert“ Strandstimmung herbei. Aber die Verortung blieb weitgehend abstrakt. Die Kostüme tendierten von konventionell historisch (Sommergäste) bis zu Verfremdungen (Venezianer), an denen vielleicht die Bedrohung, die von der Stadt ausgeht, festgemacht werden sollte. Auch an der klaren szenischen Auflösung fehlte es dann und wann – zum Beispiel wurde der sportliche Wettkampf im ersten Teil („Die Spiele des Apollo“), der am Strand stattfindet, seltsam choreographiert und war wenig dienlich, dem Publikum den Inhalt dieser Szene bekannt zu machen.

Brittens manchmal spartanisch anmutende Musik mit ihren fein austarierten Klängen und Klangfarben sucht ihre Schönheit in einer Ökonomie, die auch in der rezitativisch angelegten Partie des Aschenbach zum Ausdruck kommt. Aschenbach wird musikalisch zum „Evangelisten“ seiner selbst, in ihm konzentriert sich die kompositorische Abgeklärtheit Brittens, der sich gesundheitlich bereits angeschlagen diesem „Schwanengesang“ widmete. Glücklicherweise konnte diese Neuproduktion zweierlei anbieten: ein vorzüglichen Sänger für die Titelpartie und eine vorzügliche orchestrale Wiedergabe.

Alexander Kaimbacher ist ein großartiger Aschenbach. Äußerlich ein Mann im besten Alter zeichnet Kaimbacher mit seinem hellen, kräftigen lyrischen Tenor minutiös die Entwicklung dieses Menschen nach, der seine Grundsätze über Bord wirft, ganz von der Liebe überwältigt. Die Musiker des Tonkünstler-Orchesters Niederösterreich unter Walter Kobéra sorgen für eine klare und strukturierte Umsetzung von Brittens Partitur. In der Rolle des dionysischen Reisenden, Geck, Gondoliere u.s.f. kam Andreas Jankowitsch zum Einsatz. Er vermittelte die geheimnisvoll-bedrohliche Umtriebigkeit dieser Figuren nur bedingt – was zum Teil der Regie angerechnet werden muss. Als Stimme des Apollo konnte Ray Chenez Akzente setzen. Dazu gesellte sich eine Vielzahl an Nebenrollen und ein stimmungsvoll eingesetzter Chor. Tadzio ist in dieser Oper eine stumme Figur, dem Tanz zugeordnet. In ihre konnte Rafael Lesage reüssieren.

Die Premiere begann mit zwanzig Minuten Verspätung, weil die COVID-Kontrolle (die Besucher werden mit rotem Armband markiert) und die Ausgabe der vorbestellen Karten ihre Zeit benötigten. Sie war wegen des verzögerten Beginns erst nach 22 Uhr zu Ende. Die Aufführung wurde vom Publikum mit starkem Applaus bedacht.

Ein nicht unwichtiger Tipp: Die Abendkasse nimmt nur Bargeld. Wer keines dabei hat, muss zum nächsten Bankomaten laufen.

(Kleine Ergänzung am 11.10.2021)