DEATH IN VENICE / TOD IN VENEDIG
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Theater an der Wien
17.9.2009
Premiere

Musikalische Leitung: Donald Runnicles
Inszenierung: Ramin Gray
Bühne: Jeremy Herbert
Kostüme: Kandis Cook
Choreografie: Thom Stuart
Licht: Adam Silverman

Orchester: RSO Wien
Vokalensemble NOVA (Leitung: Colin Mason)

Eine Koproduktion mit der Staatsoper Hamburg

Gustav von Aschenbach - Kurt Streit
The Traveller u.a. - Russell Braun
The Voice of Apollo - Christophe Dumaux
Hotel Porter - Erik Årman
English Clerk - Klemens Sander

Tadzio - Filipe Pinheiro (Tänzer)

sowie Solisten des Vokalensemble NOVA



Venedig sehen und sterben
(Dominik Troger)

Die leere Bühne lässt den Lido erahnen, Strand und Meer, Gustav von Aschenbach sitzt im Tode zusammengesunken auf einem Sessel am linken Bühnenrand, sein g(G)eliebter Tadzio entschwindet in der Bühnentiefe. Benjamin Brittens Musik resümiert schmerzvoll Liebe, Kunst und Leben ... Das Theater an der Wien zeigt „Death in Venice“ in einer beispielgebenden Produktion.

Venedig und der Tod ist seit Thomas Mann eine gängige Verbindung. Seine Novelle „Der Tod in Venedig“ hat er in den Jahren 1911 und 1912 verfasst. Das Werk spielt mit geistesgeschichtlichen Querbezügen und ist zugleich ein psychologisches Meisterstück: ein gealterter Mann, dem Rationalität und rigide Gefühlswelt unter südlicher Sonne begehrend aufschmelzen. Natürlich hat Thomas Mann dabei auch an Friedrich Nietzsche gedacht, an Richard Wagners „Tristan“-Phantasien und an den alten, liebestollen Goethe – und er hat sich dabei – ganz décadence – einem Verklärungsmythos hingegeben, den zerstörerische Triebe willig durchbohren.

Benjamin Britten folgte Thomas Mann bei der Veroperung des Stoffes in diese Welt der Kunstphilosophie und verbrämten Homosexualität – insgesamt eine, sollte man meinen, zum Zeitpunkt der Uraufführung im Jahr 1973 schon eher „unzeitgemäße Betrachtung“. Die zunehmenden Aufführungszahlen von „Death in Venice“ in den letzten Jahren beweisen allerdings das Gegenteil.

Das Libretto von Myfanwy Piper folgt Thomas Manns Spuren recht genau, trotzdem verschieben sich ein wenig die Perspektiven: Aus dem stummen Tadzio wurde ein Tänzer und Britten huldigt stärker der Antike, geht es ihm doch ähnlich wie Kapitän Vere in „Billy Budd“, der sehnsuchtsvoll seinen Plutarch durchblättert und seine uneingestandenen Wünsche. Doch an der weihevollen, mit philosophischem Rüstzeug verzierten Fassade sieht man bald die schadhaften Stellen – so wie bei venezianischen Palästen – wo das Wasser beständig dagegen schlägt: der verwitwete Schriftsteller Gustav von Aschenbach hat sich bei einem Urlaub in Venedig in einen halbwüchsigen Knaben verliebt (!), Sokrates hat seinen Phaidon gefunden, ein Kampf zwischen Apollo und Dionysos fabuliert die Gewissenskonflikte Aschenbachs, übertüncht die seetanggescheuerte Mole notdürftig mit einem unschuldigen Weiß.

Es ist ja nicht so, dass man sich zum äußersten Widerstand verpflichtet fühlte: die angebetete Schönheit will zu guter Letzt auch besessen werden. Aschenbachs Askese, gepflegt in einem gutbürgerlichen und geistig angestrengten Leben, zerbröckelt unter den Böen des Scirocco, der die wackelige Moral einfach davonbläst.

Britten verfasste die Oper unter einer großen gesundheitlichen Anspannung, er starb 1976, drei Jahre nach der Uraufführung des Werkes. Es war die Abschiedsgabe an seinen Geliebten, eine Weltabschiedsoper, die auch eine lächerliche Verliebtheit des Alters auf die Bühne stellt und doch die Hoffnung auf ein menschenwürdiges Leben und Sterben nicht aufgibt: ein Schwanken zwischen puritanischer Selbstgeißelung und mystischer Selbstbefreiung im Traum und im Tode. Unter diesen Voraussetzungen betrachtet wird die meist im Erzählton vorgetragene Selbstreflektion des Schriftstellers Gustav von Aschenbach auch zu einem Akt der Selbsterkenntnis des zu diesem Zeitpunkt bereits herzkranken Komponisten Benjamin Britten.

Im Theater an der Wien widmete man sich dem „Death in Venice“ in einer Koproduktion mit der Hamburgischen Staatsoper – allerdings mit veränderter Besetzung. Im Zentrum der Aufführung stand Kurt Streit als Aschenbach – eine grandios gesungene, bis in feine Gefühlsregungen sich verästelnde Charakterstudie, die das Prozesshafte des Vorgangs ebenso vermittelte wie quälerische Selbstzweifel oder hymnische Bewunderung. Streits heller, klarer Tenor, seine lyrische Flexibilität mit genügend Kraftreserven sowie seine Wortdeutlichkeit kamen dieser Rolle sehr entgegen.

Die sensible, außerordentlich körperbezogene Regie von Ramon Gray war ein zusätzlicher Pluspunkt. Streit nutzte sie, die entscheidenden Momente auszukosten, Spannung zu erzeugen und zu halten. Er befand sich ohnehin immer auf der Bühne – eine weitgehend leere Bühne, nur ein großes heb- und senkbares Podium in der Mitte. So fokussierte sich alle Konzentration auf Aschenbach – und auf Tadzio, der von Filipe Pinheiro mit hinreißend verführerischer Unschuld getanzt wurde.

Russel Braun schlüpfte als perfider Todesbote in die verschiedenste Rollen, verschlagen und provozierend als Reisender, Gondoliere, Hotelmanager und so fort. Mit seinem gestaltungsfähigen Bariton umgarnte er als Schicksalsbote Aschenbach, lockte oder demütigte er den Schriftsteller, der schließlich fahrlässig der Cholera zum Opfer fallen würde. Hellhörig wurde man auch beim Countertenor von Christophe Dumaux, er sang den Apollo mit strahlender Stimme. Erik Arman und Klemens Sander entledigten sich ihrer kürzeren Auftritte ebenfalls problemlos.

Das RSO Wien unter Donald Runnicles spielte konzentriert und fand eine gute Mischung zwischen gebotener Nüchternheit und einem sehnsuchtsvollen Touch, der sich wie Lichter über eine Wasseroberfläche streute. Runnicles zeigte viel Gespür für das Britten’sche „Wogen“, einer Art von Wellenbewegung, die sich wie ein Atemrhythmus durch weite Passagen zieht und so etwas wie die musikalische Seele des Komponisten selbst darstellt – archaisch, bewegt und symbolkräftig wie das Meer.

Das Bühnenbild zeigte leeren, abstrahierten Strand, zwei große Windmaschinen, wie Schaufelräder bei einem Raddampfer, ließen dann und wann Stoffbahnen im Winde flattern. Reichhaltiger waren die Kostüme, an der Handlungszeit der Novelle orientiert. Die Personenregie rückte den Eros des Körpers stark in den Vordergrund – ohne Platitüden. Das war eine kunstvoll inszenierte Verführung, der bei den intensiven Ballettszenen das Publikum gebannt folgte, die Augen vor allem auf den schon erwähnten Tänzer des Tadzio gerichtet, der bei Damen und wohl auch Herren großen Anklang fand.

Gray mischte dabei spielerische Strandszenen mit figurenreich choreographierten Tableaus (Thom Stuart), denen nicht nur Aschenbach auf der Bühne genussvoll beiwohnte. Zugleich wurde den weniger mit der Moderne vertrauten Zuschauern die „Angst“ vor Brittens Spätstil genommen, sie konnten durchs Auge ersetzen, was ihnen vielleicht im Orchestergraben abging. Der starke Schlussapplaus zeigte, dass das Auditorium mit dem Gebotenen sehr zufrieden war.