CURLEW RIVER / THE PRODIGAL SON
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Neue Oper Wien in der Kammeroper
25. März 2013
Premiere

Musikalische Leitung: Walter Kobéra
Inszenierung: Carlos Wagner
Ausstattung: Christof Cremer
Lichtdesign: Norbert Chmel


Wiener Kammerchor (Ltg. Michael Grohotolsky)
Mozart Knabenchor Wien

amadeus ensemble-wien

Curlew River

Die Irre - Alexander Kaimbacher
Fährmann - Peter Edelmann
Reisender - Sebastian Huppmann
Stimme des Knaben - Leonid Sushon
Führer der Pilger (Abt) - Stephan Rehm

The Prodigal Son

Versucher (Abt) - Alexander Kaimbacher
Vater - Peter Edelmann
Älterer Sohn - Sebastian Huppmann
Jüngerer Sohn - Gernot Heinrich


Parabeln vom Verlieren und Wiederfinden
(Dominik Troger)

Passend zur Karwoche spielt die Neue Oper Wien in der Kammeroper zwei Kirchenparabeln von Benjamin Britten: ein beeindruckender Abend.

Britten hat in „Curlew River“ (1964) und „The Prodigal Son“ (1968) fernöstliche Theaterformen (japanisches No-Theater) mit Theater- und Musiktraditionen des christlichen Abendlandes zu einer religiös anmutenden, kompakten, parabelartigen Musiktheaterform verschmolzen.

In „Curlew River“ sucht eine Mutter ihren zwölfjährigen Sohn. Sie ist über seinen Verlust wahnsinnig geworden. Sie kommt an einen Fluss, übersetzt ihn mit einer Fähre. Der Fährmann erzählt von einem Knaben, der vor einem Jahr am Ufer des Flusses gestorben sei. Er zeigt der Frau das Grab. Es ist das Grab ihres Sohnes. Ein Wunder geschieht: Ihr Sohn erscheint, verspricht ihr ein Wiedersehen im Jenseits. Ihr Gemüt beruhigt sich und der Wahnsinn fällt von ihr ab.

Die Geschichte vom „verlorenen Sohn“ spielt ebenfalls mit dem Thema von Verlust und Wiederkehr – diesmal steht der Vater im Mittelpunkt, der dem von der Wanderschaft mit leeren Taschen zurückkehrenden Sohn verzeiht. (So wie der christliche Sünder, wenn er reumütig unter des Herrgotts Fittiche zurückkehrt, ermutigt auf Verzeihung hoffen darf). Mönchschöre rahmen jeweils die Handlung, verorten die Stücke stark im christlichen Kontext, in dessen Rahmen sie durchaus die Funktion eines Gleichnisses erfüllen würden.

Die Kammeroper ist natürlich keine Kirche und das Publikum wird sich nicht zwingend aus einer Schar von Gläubigen zusammensetzen. Deshalb wird sich die Wirkung hier weniger auf religiöse Detailfragen wie den Trost durch die Auferstehung von den Toten oder die Verzeihungsfähigkeit eines allmächtigen Gottes beziehen – aber Britten hat die Stücke so angelegt, dass sie den konfessionellen Rahmen nicht zwingend benötigen: die Frage, wie eine Mutter den Verlust ihres Kindes überwindet oder wie Eltern einem Kind begegnen sollen, dass sich von ihnen lossagt, um nach durchgebrachtem Vermögen wieder an den heimatlichen Herd zurückzukehren, berührt ganz praktische Probleme. Der Gewinn ist freilich größer, wenn man das Beziehungsgeflecht einigermaßen entwirren kann, in den Britten diese Stücke gestellt hat – gleichsam an die Nahtstelle, wo tiefe Leiderfahrung in der Heilung bereits an das Numinose streift. Das ist sehr berührend – und man kann die Botschaft des verstorbenen Knaben als Wunder sehen oder als massensuggestive Wahrnehmung der das Grab umstehenden Menschen: ihre tröstende Wirkung geht deshalb nicht verloren.

Es ist dem Inszenierungsteam um Carlos Wagner und den Ausstatter Christof Cremer hoch anzurechnen, dass sie sich auf diese stark emotionale Ebene eingelassen haben. Die beiden Stücke wurden von ihnen mit einfachen Mitteln, sehr präzise und genau umgesetzt. Die Balance zwischen Lehrstück und erwünschter Anteilnahme blieb gewahrt – selbst der bei oberflächlicher Betrachtung etwas rührselig anmutende Schluss von „Curlew River“ verfehlte seine Wirkung nicht. Das Premierenpublikum war schon zur Pause von dem Abend sehr angetan.

Beide Stücke begannen mit dem Einzug der hymnussingenden „Mönche“ – und sie endeten mit dem Auszug der Mönche, jeweils durch den Zuschauerraum auf- und abtretend. „Curlew River“ spielte vor einem aufgezogenen dunkelblauen Hintergrund, die befrackten Mönche verwandelten sich in Strandvögel (einen schwarzen Hut mit langer weißer Feder als „Schnabel“ aufgesetzt, die Hosen hochgekrempelt, damit die nackten Beine zu sehen waren). Ihre Bewegungschoreographie war entsprechend angepasst und gab ein Beispiel in angewandter Ornithologie. Die verwirrte, ihren Sohn suchende Frau trug ein fernöstliches Kostüm. Die Partie wird (wie im japanischen No-Theater üblich) von einem Mann gespielt, hier im Kostüm als Frau verkleidet und nicht deutlich als Mann erkennbar. Der rituelle Gestus blieb die ganze Zeit über gewahrt. Die Erscheinung des Knaben wurde mit einem Schneegestöber verfremdet, das plötzlich losbrach, und in dem der Knabe seine Stimme erschallen ließ. Ein weißer Handschuh blieb nach seinem Verschwinden zurück, den die Mutter dankbar aufhob als Erinnerungsstück, als Beweis für seine flüchtige Gegenwart.

In „The Prodigal Son“ wurden die Gesichter der Hauptpersonen durch weiße, große Masken verfremdet. Trotz deren Starrheit wirkte die Aufführung bewegt. Der Hintergrund wurde von einer schwarzen Tafel gebildet, die mehrteilig war. Diese Teile konnten aufgeklappt werden. Der Teufel zeichnete darauf mit weißer Kreide die „Landschaftskulisse“: den Weg in die Ferne oder in die Heimat, oder gab die Anfechtungen an, die dem Sohn gleich begegnen sollten – wie Trunksucht, fleischliche Begierden, Spielsucht. Durch die Masken verband sich das rituelle Element wieder vorzüglich mit dem Parabelcharakter des Stücks, machte es interessant und ließ einen als Zuhörer nicht aus der Konzentration gleiten.

Britten hat sich bei den Kirchenparabeln mit einem kleinen Kammerorchester begnügt und seine Lust an Glissandi ausgelebt. Sie sind das bestimmende Element von „Curlew River“, sogar die Fähre schaukelt auf ihnen wie auf Wellen über den großen Fluss (hier mit weißem Segel dargestellt und einem niedrigen Holzaufbau, der über die Bühne gezogen wurde). Brittens heterophones Grundkonzept sorgt zudem für außereuropäische Anklänge. So wird der mönchisch-abendländische Eingangshymnus, der die musikalische Ausgangsbasis des Werkes darstellt, verwandelt und „polyglott“ und nimmt die Besucher auf eine Zeit- und Weltreise mit. „The Prodigal Son“ wirkt dagegen einfacher in der Ausführung, drängt den Lehrstückcharakter stärker in den Vordergrund.

Die Besetzung war ausgewogen und sorgte ebenso wie das Orchester unter Walter Kobéra für eine gelungene Umsetzung. Darunter gebührt Alexander Kaimbacher eine besondere Auszeichnung für seine Wiedergabe der irren sohnsuchenden Frau und des „Teufels“ im „Prodigal Son“, weil er sich sowohl in der japanischen Gestik von „Curlew River“ zurecht fand als auch in der schon ein wenig deftigeren „Gleichnissprache“ des „Prodigal Son", wobei sein Tenor elastisch Brittens Vorgaben folgte. Peter Edelmann war ein einprägsamer Fährmann und Vater, Sebastian Huppmann, der wegen einer überstandenen Grippe angesagt wurde, steuerte den von Gepäckstücken krumrückigen Reisenden und den zuerst zornigen, dann besänftigten älteren Sohn bei. Gernot Heinrich spielte und sang den jungen Sohn mit passender Unbekümmertheit und Reue.

Fazit: Viel Applaus für eine gelungene und empfehlenswerte Produktion. Gespielt werden noch vier Aufführungen bis 4. April.