BILLY BUDD
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Wiener Staatsoper |
Kapitän Vere - Gregory
Kunde |
Nach dreizehn Jahren hat in der Wiener Staatsoper Benjamin Brittens „Billy Budd“ wieder die Segel gesetzt. Eine zum Großteil neue Besatzung jagt in atlantischen Gewässern nach dem französischen Feind. Anbei einige Anmerkungen zur zweiten Vorstellung der Wiederaufnahme. An der Wiener Staatsoper wurde „Billy Budd“ im Jahr 2001 zum ersten Mal aufgeführt. Man hat damals auf die vieraktige Originalfassung zurückgegriffen, die Britten 1960 zu einer zweiaktigen Fassung umgearbeitet hat. Und diese Staatsopernproduktion war nicht die österreichische Erstaufführung von „Billy Budd“, wie manchmal immer noch kommuniziert wird. Der Programmzettel aus dem Jahr 2001 vermerkt es eindeutig: „Österreichische Erstaufführung der Originalfassung“. Bereits 1996 hat die Neue Oper Wien „Billy Budd“ im Wiener Odeon zur Aufführung gebracht. Adrian Eröd hat damals in der Titelpartie einen ganz großen Erfolg gefeiert – und der Sänger hat den Billy Budd Jahre später auch an der Wiener Staatsoper gesungen. Und ist es nicht eine nette Pointe der Wiener „Billy Budd“-Aufführungsgeschichte, wenn Adrian Eröd in dieser Staatsopern-Wiederaufnahme als Mr. Redburn auf der Bühne steht? Natürlich wird man gerade beim „Billy Budd“ an so manche Staatsopern-Sternstunde erinnert, zum Beispiel wird sich jeder Sänger des Käpitäns Vere an Neil Shicoffs beklemmend fragilem Charakterporträt dieser Bühnenfigur zu messen haben. Dagegen nahm sich die Rollengestaltung von Gregory Kunde richtig jovial aus: ein Mann, der eigentlich ein gutes Gespür für die Menschen hat, mit denen er auf diesem Kriegsschiff zusammenleben muss und die er befehligt. Zwar hat auch dieser Vere seine nachdenklichen Momente, aber er würde gewiss nach seinen Dienstjahren bei der Flotte ein gemütliches Ausgedinge bei vielen Flaschen Portwein im Kreise verdienter Offiziere gefunden haben. Doch da muss ihm ausgerechnet Billy Budd über die Schiffsplanken laufen – und diese Begegnung verändert alles. Kunde
hat die Partie erst jüngst in sein Repertoire aufgenommen und gibt in
Wien sein Rollendebüt – auch das ist bemerkenswert, weil er schon auf
eine sehr lange Karriere zurückblicken kann. Britten ist eine Art
„späte Liebe“ des Sängers und sie krönt eine aus dem Belcantofach
gewachsene, vielseitige Sängerlaufbahn. Kundes Tenor befindet sich
immer noch in erstaunlich guter Verfassung und besitzt
ausreichend Kraft, um seine Seemänner anzufeuern. In den lyrischeren
Passagen ist die lange Opernkarriere allerdings nicht mehr ganz zu
überhören. Wenn Kundes Vere vielleicht an „Charisma“ etwas sparte, so machte er zuletzt doch eindrucksvoll seinen Frieden mit „Gott und der Welt“ – und
der Sänger hat im Epilog gefühlvoll vermittelt wie sich Vere die
Wahrheit seiner humanen Existenz offenbart: die Sehnsucht nach Liebe in
der „Meerestiefe“ der Zeit, als einzigem, „göttlichem“ Trost. Die Lichtgestalt des Billy Budd wurde von Huw Montague Rendall
dargestellt. Der junge Sänger feiert mit dieser Partie Hausdebüt im
Haus am Ring. Er besitzt einen schön timbrierten Bariton, der vor allem
in der Mittellage seine Vorzüge ausspielt. Die jugendliche Erscheinung
des Sängers und sein unbekümmertes Spiel passten sehr gut zu dieser
Rolle. Vor allem wusste Rendall die träumerische Ader Billy Budds
anklingen zu lassen, samt unbewusst ausstrahlender Erotik. Britten
zelebriert am Beginn des vierten Aktes mit selbstverliebter Melancholie
Billy Budd als von der Hinrichtung bedrohte „Schönheit“ – und Rendall
hat diese Szene sehr innig ausgestaltet und stark zu rühren vermocht. Dem Waffenmeister von Brindley Sheratt fehlte ein wenig die Abgründigkeit dieses „Bösen an sich“, sowohl stimmlich als auch darstellerisch. Der Sänger des Claggart hat es nicht leicht, weil die Motivation für seine Intrige gegen Budd von Britten bewusst verschleiert wird: erotische Motive überlagern sich tarnend mit einem „Ringen“ zwischen „Gut“ und „Böse“, und das ist nicht so einfach auf einen Nenner zu bringen. Brittens Neigung, die psychologischen Probleme seiner Bühnenfiguren metaphysisch zu überhöhen, um erst gar keinen Verdacht einer sexuellen Motivation aufkommen zu lassen, unterminiert heutzutage ein wenig ihre Glaubwürdigkeit, vor allem Claggart leidet darunter. Insofern fand ich Claggarts jagoähnlichen Monolog in seiner Wirkung an diesem Abend zu wenig ausgeprägt, die verschlagen-sadistische Brutalität dieses Kerl kam aber gut heraus. Mit Adrian Eröd als sehr gut gezeichnetem Mr. Redburn sowie Wolfgang Bankl (Mr. Flint) und Attila Mokus (Ratcliffe) waren die Offiziersränge der „HMS Indomitable“ passend besetzt. Von den vielen kleineren Rollen seien Hiroshi Amako als Neuling und Lukas Schmidt als Squeaker hervorgehoben, Dan Paul Dumestru gab
einen menschlichen Dansker, eindrucksvoll warfen sich die Männer des
Staatsopernchores ins Matrosenoutfit. Das Orchester unter Mark Wigglesworth klang mir zu trocken, auch wenn der Dirigent gut die Spannung hielt. |