BILLY BUDD
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Wiener Staatsoper
30.10.2024


Musikalische Leitung: Mark Wigglesworth

Kapitän Vere - Gregory Kunde
Billy Budd - Huw Montague Rendall
John Claggart - Brindley Sherrat
Mr. Redburn - Adrian Eröd
Mr. Flint - Wolfgang Bankl
Leutnant Ratcliffe - Attila Mokus

Red Whiskers - Andrea Giovannini
Donald - Andrei Maksimov
Dansker - Dan Paul Dumitrescu
Der Neuling - Hiroshi Amako
Squeak - Lukas Schmidt
Bootsmann - Evgeny Solodovnikov
1. Maat - Jusing Gabriel Park
2. Maat - Marcus Pelz
Ausguck - Devin Eatmon
Freund des Neulings - Alex Ilvakin
Arthur Jones - Ferdinand Pfeiffer


Billy Budd
2. Aufführung der Wiederaufnahme
(Dominik Troger)

Nach dreizehn Jahren hat in der Wiener Staatsoper Benjamin Brittens „Billy Budd“ wieder die Segel gesetzt. Eine zum Großteil neue Besatzung jagt in atlantischen Gewässern nach dem französischen Feind. Anbei einige Anmerkungen zur zweiten Vorstellung der Wiederaufnahme.

An der Wiener Staatsoper wurde „Billy Budd“ im Jahr 2001 zum ersten Mal aufgeführt. Man hat damals auf die vieraktige Originalfassung zurückgegriffen, die Britten 1960 zu einer zweiaktigen Fassung umgearbeitet hat. Und diese Staatsopernproduktion war nicht die österreichische Erstaufführung von „Billy Budd“, wie manchmal immer noch kommuniziert wird. Der Programmzettel aus dem Jahr 2001 vermerkt es eindeutig: „Österreichische Erstaufführung der Originalfassung“.

Bereits 1996 hat die Neue Oper Wien „Billy Budd“ im Wiener Odeon zur Aufführung gebracht. Adrian Eröd hat damals in der Titelpartie einen ganz großen Erfolg gefeiert – und der Sänger hat den Billy Budd Jahre später auch an der Wiener Staatsoper gesungen. Und ist es nicht eine nette Pointe der Wiener „Billy Budd“-Aufführungsgeschichte, wenn Adrian Eröd in dieser Staatsopern-Wiederaufnahme als Mr. Redburn auf der Bühne steht?

Natürlich wird man gerade beim „Billy Budd“ an so manche Staatsopern-Sternstunde erinnert, zum Beispiel wird sich jeder Sänger des Käpitäns Vere an Neil Shicoffs beklemmend fragilem Charakterporträt dieser Bühnenfigur zu messen haben. Dagegen nahm sich die Rollengestaltung von Gregory Kunde richtig jovial aus: ein Mann, der eigentlich ein gutes Gespür für die Menschen hat, mit denen er auf diesem Kriegsschiff zusammenleben muss und die er befehligt. Zwar hat auch dieser Vere seine nachdenklichen Momente, aber er würde gewiss nach seinen Dienstjahren bei der Flotte ein gemütliches Ausgedinge bei vielen Flaschen Portwein im Kreise verdienter Offiziere gefunden haben. Doch da muss ihm ausgerechnet Billy Budd über die Schiffsplanken laufen – und diese Begegnung verändert alles.

Kunde hat die Partie erst jüngst in sein Repertoire aufgenommen und gibt in Wien sein Rollendebüt – auch das ist bemerkenswert, weil er schon auf eine sehr lange Karriere zurückblicken kann. Britten ist eine Art „späte Liebe“ des Sängers und sie krönt eine aus dem Belcantofach gewachsene, vielseitige Sängerlaufbahn. Kundes Tenor befindet sich immer noch in erstaunlich guter Verfassung und besitzt  ausreichend Kraft, um seine Seemänner anzufeuern. In den lyrischeren Passagen ist die lange Opernkarriere allerdings nicht mehr ganz zu überhören. Wenn Kundes Vere vielleicht an Charisma etwas sparte, so machte er zuletzt doch eindrucksvoll seinen Frieden mit „Gott und der Welt“ – und der Sänger hat im Epilog gefühlvoll vermittelt wie sich Vere die Wahrheit seiner humanen Existenz offenbart: die Sehnsucht nach Liebe in der „Meerestiefe“ der Zeit, als einzigem, „göttlichem“ Trost.

Die Lichtgestalt des Billy Budd wurde von Huw Montague Rendall dargestellt. Der junge Sänger feiert mit dieser Partie Hausdebüt im Haus am Ring. Er besitzt einen schön timbrierten Bariton, der vor allem in der Mittellage seine Vorzüge ausspielt. Die jugendliche Erscheinung des Sängers und sein unbekümmertes Spiel passten sehr gut zu dieser Rolle. Vor allem wusste Rendall die träumerische Ader Billy Budds anklingen zu lassen, samt unbewusst ausstrahlender Erotik. Britten zelebriert am Beginn des vierten Aktes mit selbstverliebter Melancholie Billy Budd als von der Hinrichtung bedrohte „Schönheit“ – und Rendall hat diese Szene sehr innig ausgestaltet und stark zu rühren vermocht.

Dem Waffenmeister von Brindley Sheratt fehlte ein wenig die Abgründigkeit dieses „Bösen an sich“, sowohl stimmlich als auch darstellerisch. Der Sänger des Claggart hat es nicht leicht, weil die Motivation für seine Intrige gegen Budd von Britten bewusst verschleiert wird: erotische Motive überlagern sich tarnend mit einem „Ringen“ zwischen „Gut“ und „Böse“, und das ist nicht so einfach auf einen Nenner zu bringen. Brittens Neigung, die psychologischen Probleme seiner Bühnenfiguren metaphysisch zu überhöhen, um erst gar keinen Verdacht einer sexuellen Motivation aufkommen zu lassen, unterminiert heutzutage ein wenig ihre Glaubwürdigkeit, vor allem Claggart leidet darunter. Insofern fand ich Claggarts jagoähnlichen Monolog in seiner Wirkung an diesem Abend zu wenig ausgeprägt, die verschlagen-sadistische Brutalität dieses Kerl kam aber gut heraus.

Mit Adrian Eröd als sehr gut gezeichnetem Mr. Redburn sowie Wolfgang Bankl (Mr. Flint) und Attila Mokus (Ratcliffe) waren die Offiziersränge der „HMS Indomitable“ passend besetzt. Von den vielen kleineren Rollen seien Hiroshi Amako als Neuling und Lukas Schmidt als Squeaker hervorgehoben, Dan Paul Dumestru gab einen menschlichen Dansker, eindrucksvoll warfen sich die Männer des Staatsopernchores ins Matrosenoutfit. Das Orchester unter Mark Wigglesworth klang mir zu trocken, auch wenn der Dirigent gut die Spannung hielt.
 
Der dankbare Schlussapplaus des Publikums währte sechs oder sieben Minuten lang. Drei Vorstellungen sind bis 10. November noch angesetzt. Wer Britten schätzt, sollte die Chance wahrnehmen: Wer weiß schon, wann „Billy Budd“ wieder im Haus am Ring „aufkreuzen“ wird. Außerdem ist die Staatsopernproduktion in der Regie von Willy Decker ein Musterbeispiel für eine Inszenierung, die an das Stück glaubt und auf plumpe Aktualisierungen und das „Umschreiben“ der Handlung verzichtet, wie es inzwischen bei Neuproduktionen leider so weit verbreitet ist.