BILLY BUDD
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Wiener Staatsoper
27.09.2002

Musikalische Leitung: Richard Hickox

Kapitän Vere - Michael Roider
Billy Budd - Simon Keenlyside
John Claggart - James Morris
Mr. Redburn - Peter Weber
Mr. Flint - Wolfgang Bankl
Leutnant Ratcliffe - Peter Köves
Red Whiskers - John Dickie
Donald - Geert Smits
Dansker - Alfred Sramek
Der Neuling - John Nuzzo
Squeak - Cosmin Ifrim
Bootsmann - Janusz Monarcha
u.a.

Packendes Musiktheater
(Dominik Troger)

Vor der Vorstellung kam ich mit einer Münchnerin ins Gespräch. Sie war extra wegen Billy Budd angereist. Ich plauderte auch kurz mit zwei Italienern, Britten Fans, die nach der Aufführung ganz begeistert waren. Nur, wo waren die Wiener geblieben?

Ja, seltsam, eigentlich müsste das Haus bei solch einem Abend voll sein, denkt man sich. Die Kritiken zur ersten dieser vier Billy Budd-Vorstellungen waren sehr gut gewesen. Von den Kritiken zur Premiere vor eineinhalb Jahren ganz zu schweigen. Wohl kaum eine Produktion der letzten Jahre ist mit solch ungeteilter Zustimmung bedacht worden – auch von Seiten des Publikums! Trotzdem lässt sich das Haus im Repertoire mit Britten nicht füllen – die billigeren Plätze auf der Seite waren durchwegs frei geblieben. Sogar einige freie Logen konnte man erspähen. Ohne den „Speed“ einer Marketingmaschinerie, die sich natürlich im Premierenrhythmus auf jeweils neue Werke ausrichtet, scheint da an der Staatsoper überhaupt nichts weiterzugehen. Die Majorität des Publikums schafft nicht den Sprung in die mindestens ebenso spannenden und aufregenden Opernwelten jenseits des „Rosenkavaliers“– und die dreitausendste Durchschnitts-Samstagabend-Carmen kommt nach wie vor auf eine bessere Auslastung und größere Applausstärke, als so eine profunde und künstlerisch bis ins Detail überzeugende Billy Budd-Aufführung.

Es spricht für die Beteiligten, dass vom Orchester, über den Chor, bis zum zwanzigsten Matrosen alle trotzdem diesen „Billy Budd“ nicht sausen ließen, sondern ihm zu einer eindrucksvollen Bühnenpräsenz verhalfen. Es wäre ja auch wirklich schade gewesen, um dieses erlesene Stück packenden Musiktheaters, dass für mich zum Besten gehört, was nach „Rosenkavalier“ – um bei dieser Diktion zu bleiben – die Opernbühne erklommen hat. Beeindruckend auch, dass trotz der kompletten Neubesetzung des dramatischen Dreigestirns – Budd – Claggart – Vere – der Abend den Vergleich mit der Premierenbesetzung nicht zu scheuen brauchte.

Die Premiere war sicher kontrastreicher angelegt – der burschikos-naive Billy Budd eines Bo Skovhus stand in scharf geschnittener „Schwarz-Weiß-Zeichnung“ der abgrundtiefen Bosheit eines Eric Halfvarson gegenüber. Der „Böse“ James Morris und der „Gute“ Simon Keenlyside agierten da mehr aus einem Reservoir allgemeinmenschlichen Empfindens heraus. Das Fehlen dieser fast schon metaphysischen Überhöhung der Charaktere, die das Ganze ein wenig holzschnittartig vereinfacht, erwies sich nicht als Nachteil. Die emotionale Wirkung stellte sich ebenso ein – und in der Person des Billy Budd für mich persönlich nachhaltiger als bei der Interpretation von Bo Skovhus. Und es war ganz Besonders spannend zu sehen, dass auch Michael Roider eine glaubhafte, psychologische Rollengestaltung und eine überzeugend sängerische Leistung gelang.(Nach der Persönlichkeitsanalyse, die Neil Shicoff in der Premiere und den Folgevorstellungen als Vere vorexerziert hatte, wahrlich kein leichtes Unterfangen.) Eine gewisse „Gefährdung“ seiner stimmlichen Mittel ist freilich nicht auszuschließen, sollte er den Vere von jetzt an öfter (besser: zu oft) singen.

Noch ein Wort zum Orchester: auch hier weniger Kontrastschärfe, aber ein starkes rhythmische Gefühl für dieses Britten’sche Klangmeer, das wie Wogen am Strand sich im Raum verläuft und bricht und anschwillt und verebbt, Wellen sich überlagernd, seufzend und stürmisch, im Spiel der Gezeiten. Und das Orchester umspült wie das Meer den Schiffsrumpf, die Sänger und die Handlung, trägt sie dahin auf seinen schaukelnden Wellen, mal klar, mal dumpf gefärbt, mal Cello-säußelnd, dann Pauken-grimmig. Es war stimmig und packend, wie Richard Hickox musizieren ließ.

Der Applaus währte nicht lange und erreichte – obgleich mit vielen Bravorufen durchsetzt (vor allem bei Keenlyside) – bei weitem nicht jene Dichte und Fulminanz, die dem Abend angemessen gewesen wäre.