ALBERT HERRING
|
Home |
Jugendstiltheater Musikalische Leitung: Walter Kóbera Regie: Leonard Prinsloo Amadeus Ensemble Wien |
Lady Billows
- Anna Ryan |
Amüsante
Moral Britten's Albert Herring mauserte sich in einer Produktion der Neuen Oper Wien zu einem durchaus anregenden Opernabend. Albert Herring, das ist eine dezent gesetzte Speerspitze gegen das moralisierende, kleinbürgerliche Establishment eines englischen Städtchens um 1900, wo man Tugendhaftigkeit noch hoch hält und damit – wie könnte es anders sein – auf die Nase fällt. Albert Herring, der von den Moralaposteln auserkorene Empfänger des Tugendpreises als „Maikönig“ – weil sich das Wahlkomitee auf keine „Mai-Königin“ hatte einigen können – ein Muttersöhnchen par excellence, emanzipiert sich durch einen Vollrausch und bringt die abgehobene Moral-Idylle derart wieder auf den Boden der Realität zurück. Natürlich, heutzutage wäre wohl niemand mehr guten Willens, sich diesem Thema mit solch vermeintlicher „Naivität“ zu nähern, wie Britten in den späten vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts. Die Geschichte ist musikalisch flott und ironisch erzählt, ohne dabei jemandem „weh“ zu tun, ein später Nachfahre jener deutschen Spieloper, könnte man fast meinen, wo das Boshafte auch sehr gut unter einer süffigen Oberfläche verborgen ist. Brittens Kunst, das Publikum nie aus den Augen zu verlieren, erweist sich auch bei Albert Herring als Erfolgsgarant. Bei dieser gewissen Harmlosigkeit, die das Werk auf heutige Opernbesucher ausübt, sollte man aber nicht den feinen (oder manchmal etwas derberen) britischen Humor vergessen, der sich in der Partitur und im Libretto versteckt, wenn man ganz auf seine Rechnung kommen will. Wie weit man dieser Naivität nachgeben soll, ist eine Frage, die den Regisseur einigermaßen beschäftigt haben wird – oder wie weit man hier mit der klotzigen Bildsprache des 21. Jahrhunderts ans Werk gehen soll. Die Inszenierung von Leonard Prinsloo entscheidet sich zum Glück dafür, das Werk nicht dem intellektgespeisten Zynismus eines postmodernen Regietheaters aufzuopfern, das sich über Moral und Tugend nur mehr lustig machen kann und die inszenierten Werke zu Handlanger-Diensten für die eigene Selbstdarstellung missbraucht. Diese Inszenierung lässt den Personen im wesentlichen ihre Würde, trotz so mancher eindeutigen Geste. Natürlich liegt die Sympathie auf Seiten Albert Herrings, aber das ist nur im Sinne des Werkes. Prinsloo verliert den sprichwörtlichen roten Faden nie aus den Augen, seine Ironie hat schon eine gewisse Schärfe, wird aber durch die stilisierte Gestik, die er im Sinne eines pantomimischen Bewegungstheaters einsetzt, zusammengehalten. Man mag das als Korsett empfinden, weil Prinsloo das wirklich durchchoreographiert hat, andererseits wird dadurch jeder szenischen Opern-Platitüde vorgebeugt und die Aufführung erhält ein einheitliches Gesicht und Ensemblequalität. Prinsloo nimmt dabei starke Anleihen an der „Pseudo-Dramatik“ der Stummfilmzeit und wenn mir der Albert Herring manchmal ein wenig wie Charly Chaplin in seinen frühen Filmen vorkam, dann war das wohl auch so beabsichtigt. Die etwas eigenwilligen Kostüme, zum Beispiel mit „Reifrockgestänge“, unter dem dann die kurzen Kniehosen der Damen der Gesellschaft blitzten, verstärkten einerseits den gewünschten Verfremdungseffekt und schafften andererseits ein weiteres Symbol herrschender Doppelmoral. Mit den in vorzugsweise weiß gehaltenen einfachen Bühnenbildern, die die jeweiligen Örtlichkeiten nichts desto trotz treffend charakterisierten, gelang es auch hier, einen passenden Rahmen für diese „Opern-Choreographie“ zu bauen. Es wurde in Deutsch gesungen und nicht in Englisch (was, finde ich, ein grundsätzlicher Fehler war), aber trotzdem stand es mit der Textdeutlichkeit nicht immer zum Besten. Das erste Bild mit dem Wahlkomitee in Lady Billows Haus ging aufgrund dieses Mankos leider ziemlich unter. Format gewann die Aufführung erst mit dem zweiten Bild, dem Auftritt von Alexander Kaimbacher als Albert Herring, der sich schließlich zu einer sehr intensiven Darbietung steigerte. Er war eindeutig die dominierende Sänger-Persönlichkeit dieses Abends. Das Orchester unter Walter Kobera bot eine gute Leistung, aber die sublime Pointiertheit der Britten‘schen Tonsprache kam nur bedingt zum Tragen. Die Frage war wohl auch hier, wie weit darf man ins Detail gehen, um nicht das Ganze aus dem Auge zu verlieren? Was in diesem Fall letztlich zählte, ist der positive Gesamteindruck einer schwungvoll zur Aufführung gebrachten „Opern-Parabel“. Unter dieser Zielsetzung könnte man den Umgang mit der Partitur auch unter dem Begriff „zweckdienlich“ zusammenfassen. Das Publikum
im nahezu gefüllten Jugendstiltheater war zufrieden und spendete
viel Applaus. |