VERKEHR MIT GESPENSTERN
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Kammeroper
5. Dezember 2012
Uraufführung

Musikalische Leitung:
Anna Sushon


Inszenierung & Ausstattung: Peter Pawlik
Kostüm: Mareile von Stritzky
Licht: Frank Sobotta

Akkordeon: Martin Veszelovicz
Violoncello:
Luis Zorita

Countertenor - Tim Severloh
Bariton - Falko Hönisch


Langatmiger Kafka-Abend
(Dominik Troger)

Texte von Franz Kafka haben schon einige Komponisten zu neuen Opern inspiriert. Auch der deutsche Komponist Hans-Jürgen von Bose hat sich immer wieder mit Kafkas-Werk auseinandergesetzt. Für sein neues Musiktheaterstück „Verkehr mit Gespenstern” hat Bose vor allem Kafkas Tagebücher und Briefe als Quelle genützt.

Gottfried von Einem hat Kafkas Roman “Der Prozess” auf die Opernbühnen gebracht, Aribert Reimann “Das Schloss” – Bose hat jetzt ein „Kammer-Musiktheater“ – so die Werkbezeichnung – auf Basis von Gedankensplittern Kafkas komponiert. Der fragmentarische Charakter der Auswahl beziehungsweise der vertonten Texte macht es allerdings schwer, damit auch eine bühnendramatische Wirkung zu erzielen. Bose hat eine Folge von über 20 Szenen erstellt, deren Thematik in der Vereinzelung des „kafkaesken Individuums“ die gemeinsame Basis findet: Kafkas Lebens- und Beziehungsangst, sein notorischer Beobachterstatus, seine Versuche, sich durch körperliche Ertüchtigung mit seiner dissoziativen Weltwahrnehmung zu „versöhnen”.

Ein Countertenor und ein Bariton spielen Kafka – beziehungsweise weitere Personen aus seinem familiären Umfeld, ein Cellospieler sorgt für ein „artifizielle Beunruhigung” und ein Akkordeonspieler fügt noch einen Schuss an revuehafter Trivialität hinzu. Es gibt Einspielungen wie Kukucksuhrengeräusche, die akustisches Alltagsmobiliar hinzureichen – und daraus destilliert sich eine Art von „Melodram”: karg, statisch und ausgesprochen „elfenbeinturmgedrechselt”. Der musikalische „Genuss“ reduzierte sich auf einige Cellopassagen, etwa im elegischen Beginn oder zum Teil historisierend und mit barockem Schwung in der 9. Szene, wo Bose romantisch beziehungsweise etwas markanter dem Stück Momente virtuoser Kontur abrang. Der Rest verplätscherte in einer zeit- und harmlos anmutenden, eklektizistischen „Moderne“.

Bei einer Gesamtspieldauer von rund 70 Minuten bleibt auch nicht viel Platz für „große Worte“. Die Szenen sind mit Begriffen wie „Litanei“, „Couplet“, „Lied“ überschrieben, wodurch sich der Revuecharakter noch verstärkt – allerdings nur auf formaler Ebene. Den eigentlich entpuppte sich „Verkehr mit Gespenstern” als „Anti-Revue“, als statische „Befindlichkeit“, bei der schon die zweite Szene den „Untertitel“ trägt: „Nichts. Alles stockt.“ Und die Worte des Countertenors, ebenfalls in der zweiten Szene gesungen, hörten sich fast schon wie eine Handlungsanweisung an: „Der beste Rat bleibt deshalb, möglichst ruhig alles hinzunehmen.“ Das Publikum der Uraufführung hielt sich daran. Nur zwei Besucher verließen vorzeitig den kleinen Saal in der jetzt unter der Oberhoheit des Theaters an der Wien stehenden Kammeroper.

Bose schreibt in einer kurzen Einführung, die man im Programmheft nachlesen kann, er wäre von den „sehr nachdenklich-introvertierten, reflektiven, selbstkritisch-ironischen Momenten“ in Kafkas Texten besonders angeregt worden. Er habe in ihnen einen grotesken Humor entdeckt, „ausgeprägte Komik“, aber auch „schwarzhumorige Bitterkeit“. Doch Boses Textauswahl und die Anlage des Werkes reflektieren den Kontext von Kafkas Lebenssituation mit ihren literarisch absurd-phantastischen Ausbruchsversuchen viel zu eintönig. Kafkas Tagebücher zum Beispiel sind deutlich vielschichtiger, als man vermuten würde. Boses Auswahl an Gedankensplittern bietet davon nur eine verknappte Ahnung und pflegt in fast hypochondrischer Weise das Selbstmitleid des „Dichters“, der sich, wie es im Finale heißt, in allen Ecken sucht und sich nicht findet. Dergleichen wird dann rasch zur „Litanei“ und versagt sich den dramatischen Zugang, den ein Bühnenstück nun einmal mit Recht einfordert.

Aber muss man Kafka gelesen haben, um beim „Verkehr mit Gespenstern“ den Faden nicht zu verlieren? Eigentlich nicht. Der knappe Text reduziert die Aussage auf einen lebensängstlichen Existentialismus, der fernab literarischer Überhöhung greifbar wird. Wer könnte sich Ausrufen gegenüber wie „Ergründe die Menschennatur!“ verschließen oder: „Gott weiß, wie das alles enden wird.“ Allerdings wird so ein Seufzer rasch zur Platitüde. Bose scheint sich selbst nicht sicher gewesen zu sein. Er versuchte den Cellisten und den Akkordeonspieler in die Handlung einzubeziehen – ohne dass dadurch eine nennenswerte Handlung in Gang gekommen wäre. Am Beginn wird eine Konzertsituation simuliert, Cellist und Sänger treten auf, später spielt der Cellist den Beleidigten: hier wird eine Metaebene konstruiert, die aber ihrer Funktion, den Abend zu tragen, nicht nachkommt. Letztlich bleibt diese „Beziehung“ offen – wie alles in diesem Stück.

Peter Pawlik verstärkte mit seiner historisierenden, an Kafkas Biographie angelehnten Inszenierung die Spannungslosigkeit des Abends –- Regie wie ein Wikipediaeintrag: Die beiden Sänger im „glatten Anzug“, eine beständiges Halbdunkel, die Schreibtische in der Versicherungsanstalt, an denen „Counter-Kafka“ und „Bariton-Kafka“ solange ihre langatmigen Bürostunden verbringen, bis sie aus Verzweiflung Akten in die Luft werfen. Das Herein- und Hinausschleppen von einem Kleiderständer war schon ein Highlight – und der auf der Bühne erlittene Blutsturz verortete Kafkas Tuberkulose ausgesprochen plakativ. Man hörte förmlich wie dabei in den Gehirnen der Zuschauer der „Aha-Effekt“ klickte.

Zur Szene 17. wurde ein verschwommenes Video vom verlassenen Tschernobyl (?!) gezeigt, im Rahmen dieses Abends eine sehr isoliert wirkende Aktualisierung. Seltsamer Weise wurde der von Bose eingeforderte „schwarze Humor“ fast gänzlich ausgeklammert, ebenso der Revueaspekt. Dafür holte man zwei Kinder auf die Bühne, die Kafkas Hadern mit seiner Erziehung andeuten sollten?! Pawlik hat das Stück viel zu „ernst“ genommen. Hätte etwas dagegen gesprochen, sich auf der Szene der absurden Bilderwelt aus Kafkas Träumen und Geschichten zu bedienen, um damit eine zweite, aufmüpfigere narrative Ebene aufzubauen?

Vor zehn Jahren wurde Boses 1990 uraufgeführte Oper „63:Dream Palace“ in Wien gespielt – ein Werk voll postmodernem „Sturm und Drang“, „Verkehr mit Gespenstern“ wirkte dagegen langatmig und irgendwie „Sinn entleert“. Die beiden Sänger folgten den Vorgaben mit sicherer Stimme – und sogar der Cellist und der Akkordeonspieler durften hin und wieder ein paar Worte einstreuen. Vielleicht deshalb die Mikroports?

Fazit: Freundlicher Applaus.