63: DREAM PALACE

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Semper Depot
19.8.2002

Musikalische Leitung: Walter Kobéra
Inszenierung: Mascha Pörzgen
Ausstattung: Christif Cremer
Lichtdesign: Norbert Chmel

Amadeus Ensemble Wien

Neuen Oper Wien mit Unterstützung der Wiener Festwochen (Öster. Erstaufführung 5.8.2002)

Feton - Erik Arman
Claire - Isabel Marxgut
Parkhearst - Peter Thunhart
Bella / Fentons Mutter- Anna Maria Pammer
Grainger - Ariane Arcoja

Bruno - Gerson Luiz Sales

Hayden
- Michael Wagner


Postmoderne Hysterie?
(Dominik Troger)

63:Dream Palace – Träume oder nicht. Spielt das eine Rolle? Letztlich geht es um das emotionale „Überwältig“ werden. Und die Musik ist jedenfalls ganz griffig.

Am Beginn akupunktiert die E-Gitarre ja fast zärtlich so ein angedeutetes Streicher-Adagio. Der Gefühlsteppich wird ausgerollt, aber die ersten paar achtlos fortgeworfenen Zigarettenstummel sengen schon ein paar kleine Brandlöcher hinein. 63: Dream Palace, 1990 uraufgeführt, ist dem Würgegriff einer „hermetischen Ästhetik der Neuen Musik“ (so Bose im Zitat) glücklich entkommen und formt sich über das Anreißen und Aufreißen modernerer und älterer Stilelemente zu einem kompakten, süffigen und dramatischen Sound. Dabei spielt es keine Rolle mehr, ob das, was gerade gespielt wird, Blues oder FreeJazz heißt oder ob sich die schon lobend erwähnte E-Gitarre in angerissenen Deep Purple-Kaskaden mit einem chinesischem Gong „duelliert“. Es schmilzt sich eben kompakt zusammen, schafft sich als Musik jenen Raum, in dessen Rahmen die handelnden Figuren auf und abschreiten, Liebe finden, verlieren und vielleicht sogar noch morden. Bose möchte ganz dezidiert seinen Empfindungen freien Lauf lassen – und das darf auch das Personal des Stücks.

Wenn einem also diese Musik und die ganze Oper auch ein wenig "hysterisch" vorkommt, kein Wunder. Sie hat ein bisschen vom Farbeinschlag billiger Neonreklame, die das nächtliche Weichbild moderner Großstädte mit ihrem Flackern durchblitzt, aufgeladen von einem Hunger nach der biederen, erlebbaren „Wahrheit“ hinter cool designten Fassaden. Dennoch zeigt sich hier auch die ganze "Ausgeglütheit" der Postmoderne, die sich in einem outrierten „Sturm und Drang“-Werk (man denke nur an die hingestotterten barokesken Arienausbrüche der weiblichen Mitwirkenden) sozusagen selbst um die Ecke bringt.

Es ist klar, dass einem beim ersten Höreindruck mehr das Gesamte im Ohr zurückbleibt, wie das nachhallende Rauschen, das aus einer Muschel dringt, die man ans Ohr gelegt hat. Bose hat die Novelle „63: Dream Palace“ des amerikanischen Schriftstellers James Purdy an sein Ohr gelegt und vertont, was er da gehört hat. Man hat dabei nie das Gefühl einer sich selbstgenügenden kompositorischen Künstlichkeit, die sich aus intellektuellen Versatzstücken zusammenstoppelt. Zwar mögen sich viele unter einer Musik , „die zu Herzen spricht“ etwas anderes vorstellen, aber es ist genau diese Absicht, die Bose’s „63: Dream Palace“ so wohltuend von vielen anderen zeitgenössischen Werken unterscheidet. („Es geht mir in dieser Oper darum, Empfindungen, die ich selber hatte (...) direkt auf den Zuhörer/schauer kommen zu lassen“ Bose im O-Ton.)

Die Story handelt von den Brüdern Fenton und Claire, die nach dem Tod ihrer Mutter als Vollwaisen in die Großstad kommen und sich in einem leerstehenden Haus einmieten. Der Schriftsteller Parkhearst gabelt Fenton auf, verliebt sich in ihn, ist aber auch verheiratet. Er möchte Fenton an eine Witwe verkuppeln, und ihm bzw. sich auf diese Weise weiterhelfen. Claire ist krank, hängt an seinem Bruder, und ist dagegen, dass er heiratet. Schließlich bringt Fenton seinen Bruder um und befördert sich damit in eine jener existentiellen Situationen a´ la „Wozzeck“, die auf Opern- und Theaterbühnen immer gut ankommen.

Die Raumaufteilung im Semper Depot war diesmal durchaus gelungen. Das Orchester wurde in die, vom Eingang aus gesehen, hintere rechte Ecke postiert, wo die darübergelegene Galerie den Schall ein wenig Richtung links-längsseitig postiertem Publikum lenkte und so nicht ganz in der Höhe des Raumes verpuffen konnte. Die Bühne schloss rechtsseitig an das Orchester an und streckte sich fast bis zum Eingang. Dadurch war auch die Distanz zwischen Publikum Sängern eine geringere. Der Nachhall von 4 bis 5 Sekunden ist trotzdem ein ziemliches Manko. Und es rechtfertigt nur die besondere Architektonik des Raumes, dass man dort Oper spielt.

Die an und für sich ganz gute Personenregie neigte zu einer gewissen Schablonenhaftigkeit. Während beispielsweise Claire sehr eindrucksvoll gezeichnet war, gerieten der homosexuelle Bruno und der eben solche Schauspieler Hayden schon fast zu Karikatur. Ein weit schwerwiegenderes Faktum ist der Amoklauf, den Fenton am Schluss des Werkes hinzulegen hatte. Nach dem Mord an seinem Bruder erwürgt er noch das gesamte übrige Personal des Stückes – eine absolut unnotwendige Überzeichnung der Regie, die dem Werk eine „no future“-Plakette aufdrückt, die es so nicht verdient hat.

Im Detail: In der 10. Szene versucht Bruno Fenton zu verführen. Laut Harenbergs Opernführer wirft Bruno Fenton mit vorgehaltener Pistole aus der Wohnung, nachdem dieser gewalttätig wird. Fenton kehrt zu seinem toten Bruder zurück – seine Verwirrung erreicht eben jene existentielle Größe, die ich schon angesprochen habe. Nirgendwo ist hier von einem Massenmörder die Rede. (Auch das wie üblich schlechte Programmheft des Wiener Klangbogens weiß nichts von einem Massenmord.) Leider konnte ich den wahren Sachverhalt nicht am Libretto verifizieren.

Die musikalische Umsetzung des Werkes überzeugte; besondere Pluspunkte für Erik Arman als Fenton und Isabel Marxgut mit einem auch eindrucksvoll gespielten Claire. Ins Ohr kroch einem der gut geführte Countertenor von Gerson Luiz Sales. Mit Walter Kobéra lag die musikalische Leitung in bewährten Händen. Das ergab in Summe einen überzeugenden Opernabend.