YVONNE, PRINCESSE DE BOURGOGNE
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Theater an der Wien
13.5.2009
Österr. Erstaufführung

Dirigent: Sylvain Cambreling

Inszenierung: Luc Bondy
Bühne: Richard Peduzzi
Kostüme: Milena Canonero
Licht: Dominique Bruguière


Klangforum Wien
Chor: Ensemble Les Jeunes Solistes
Chorleitung: Rachid Safir

Libretto von Luc Bondy und Marie-Louise Bischofberger, nach dem gleichnamigen Stück von Witold Gombrowicz

Opéra national de Paris
Koproduktion Wiener Festwochen, De Munt / La Monnaie, Brüssel

Yvonne - Dörte Lyssewski
König Ignaz - Paul Gay
Königin Margarethe - Mireille Delunsch
Prinz Philipp - Yann Beuron
Kammerherr - Victor Von Halem
Isabelle - Hannah Esther Minutillo
Cyryll - Jason Bridges
Zyprian - Jean-Luc Ballestra
Innocent - Guillaume Antoine
Valentin - Marc Cossu-Leonian


Praktisch grätenfrei
(Dominik Troger)

Das Musiktheaterprogramm der diesjährigen Wiener Festwochen begann mit einer österreichischen Erstaufführung. Gegeben wurde die neue Oper von Philippe Boesmans: „Yvonne, princesse de Bourgogne“ nach dem bekannten Stück von Witold Gombrowicz.

Das Team Philippe Boesmans (Musik), Luc Bondy (Libretto) hat die Musikwelt mit ihrer vierten Koproduktion beehrt. Nach Schnitzlers „Reigen“, Shakespeares „Wintermärchen“ und Strindbergs „Fräulein Julie“ stand diesmal Witold Gombrowicz auf dem Programm – und möglicherweise handelt es sich bei „Yvonne, princesse de Bourgogne“ um das bisher überzeugendste Produkt dieser Musiktheatermanufaktur.

Gombrowicz siedelt mit seiner in den 1930er Jahren verfassten, aber erst 20 Jahre später uraufgeführten „Yvonne“ irgendwo zwischen Alfred Jarry, Samuel Beckett und Eugène Ionesco. Er spielt subversiv mit klassischen Idealen, hinterfrägt sie in absurden Situationen, und versetzt das noch mit einem Schuss Expressionismus.

Yvonne bringt mit ihrer „Hässlichkeit“ einen ganzen Königshof an den Rand des Wahnsinns. Für den Prinzen, der sich mit ihr verlobt, ist sie willkommenes Mittel zur Provokation, ehe ihn die Konvention wieder einholt. Letztlich wird Yvonne auf höchst elegante Weise aus der Welt geschafft: man serviert ihr Fisch, und in ihrer ungelenken Art verschluckt sie sich an einer Gräte. Frohen Gemüts bedauert die Tischgesellschaft ihren Tod. Aber über Yvonne selbst erfährt man wenig – was nicht verwundert, so schweigsam, wie sie ist …

Philippe Boesmans hat sich trotzdem eine beredte, illustrative Musik einfallen lassen, gespeist aus seinem bekannten, ausfasernden Eklektizismus, der zu seinem Markenzeichen geworden ist. Man darf also auch bei der „Burgunderprinzessin“ auf musikalische Spurensuche gehen von händelartigem Barock (eine kurze, aber sehr passende Einlage) bis zu Straussanklängen (Salome) und einer Art von debussy’scher Keimzelle, die mit rätselhaft flutendem „Mélisandeismus" fast leitmotivisch immer wieder zum Vorschein kommt. Das wirkt alles sehr geschlossen und integriert, mit dem Libretto gut abgemischt. Nur hin und wieder gibt es Anflüge deutlicher Skurrilität, zum Beispiel wenn am Beginn des dritten Aktes die Orchestermusiker kurze Rufe ausstoßen – und dabei ein wenig an russische Kosakenchöre erinnern.

Boesmans ist kein Komponist, der Instrumenten oder Singstimmen „Unmögliches“ abverlangt. Er liebt hohe, feine Töne in den Violinen und Glissando, und er weiß die Bläsergruppe für burlesk-groteske Kommentare zu nutzen, ohne den Bogen zu überspannen. Einem „Klassiker der Moderne“ schenkte Boesmanns eine ebensolche Musik, sehr ausgewogen und kunstvoll – beim „Lachchor“ des königlichen Gefolges im zweiten Akt mit groteskem Humor. Boesmans soll, zu seiner neuen Oper befragt, sinngemäß geantwortet haben, dass er für die hässliche Yvonne keine hässliche Musik schreiben wollte. Ein Argument, das nachvollziehbar ist. Worüber man allerdings diskutieren kann, sind die Aktschlüsse, die mehr verdämmern als knallig um Applaus bitten. Gerade dem Finale würde noch einen Pointe gut tun, ein musikalisches Rufzeichen hinters absurde Spiel.

Von der Uraufführung in Paris hatten eher positive Kritiken berichtet – doch die Publikumsresonanz bei diesem Premierenabend hielt sich in Grenzen. Der Schlussapplaus war kurz, mit einigen Bravorufen. (Buhrufe gab es keine). Es schien fast, als wären Teile des Publikums entweder gelangweilt oder doch ein wenig betreten?

Luc Bondy bringt Yvonne als geistesschwaches Mädchen auf die Bühne. Schon beim ersten Auftritt wird klar, dass diese Yvonne – mag sie auch hässlich sein – menschlichen Schutzes bedarf und menschlichen Mitgefühls. Für ein groteskes Spiel mit Idealen taugt das wenig. Bondy kappt dadurch die Schärfe der Gombrowicz’schen Vorlage. Da kann das Rundherum durchaus stimmig sein (vom Macho-König bis zur dichtenden Königin) trotzdem macht sich ein Vakuum breit, in dem Yvonne keinen Platz findet und das die Reaktionen des Hofstaats nicht erklärt – und vor allem auch nicht, warum man ihr schlussendlich diesen Fisch verfüttert. Yvonne fehlt die Absurdität des Monströsen, abstoßend und anbetungswürdig zugleich. Bondy zeigt eine klinische Studie durch Erbschäden oder Krankheit bedingten Außenseitertums, sozusagen ein „Elefantenmädchen“ (Anmerkg. 1) in schlechter Gesellschaft. Spannend wäre vor diesem Hintergrund die Frage, welche Facetten Yvonne in anderer Kostümierung gewänne, etwa als Affe oder als mit drei Polstern verstärkte Riesenkugel, die über die Bühne rollt. Wer oder was ist Yvonne überhaupt? Wäre es aus dramaturgischen Gründen nicht besser gewesen, mehr Fragen offen zu lassen als zu beantworten?

Die Bühne war freigeräumt. Eine schmale Treppe links und eine Wand mit einer großen verglasten Loge rechts, im zweiten Akt rotbepolsterte Wände für die Gemächer des Prinzen – der Hauptakzent lag auf den teils gut getroffenen Kostümen, eine apart überzeichnete Modenschau.

Sängerinnen und Sänger finden bei „Yvonne, princesse de Bourgogne“ – verglichen mit anderen zeitgenössischen Kompositionen – gut singbare und auch einigermaßen dankbare Rollen. Vor allem dem Prinzen und der Königin bleibt genug Raum, um ihre gesanglichen Qualitäten zu präsentieren. Yvonne selbst ist eine stumme Rolle – spricht in den knappen zweieinhalb Stunden nur eine Handvoll Worte. Aus dem Ensemble stachen vor allem Mireille Delunsch als Königin und Prinz Philipp, Yann Beuron, hervor, die auch die anspruchsvollen und manchmal recht hoch gelagerten Gesangspartien gut meisterten. Dörte Lyssewski bot als Yvonne eine eingehende und medizinisch wohl korrekte Studie diverser Geisteskrankheiten. Das übrige Ensemble, sei es der machohafte König von Paul Gay, der Kammerherr von Victor von Halem oder Hannah Esther Minutillo (Isabelle, Yvonnes Rivalin) entsprachen ebenfalls gesanglich und darstellerisch.

Das Klangforum Wien unter der Leitung von Sylvain Cambreling schien nahezu „unterfordert“, war klanglich bestens abgemischt und „eingefärbt“. Das war „echt klassisch“ – passend zum „softigen“ Sound von Boesmans weitgehend kantenloser Orchestersprache.

Der Erfolg beim Publikum hielt sich, wie schon angedeutet, in Grenzen – für die beiden Folgevorstellungen gibt es noch ausreichend Karten (bei der Premiere blieben auf dem dritten Rang viele Plätze unbesetzt).

(Anmerkg. 1) Siehe den Spielfilm „Der Elefantenmensch“ aus dem Jahr 1980.