WINTERMÄRCHEN
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Odeon
12.2.2002
Österreichische Erstaufführung
Neue Oper Wien

Musikalische Leitung: Walter Kobéra

Inszenierung: Michael Klette
Ausstattung: Reinhild Blaschke

Orchester: Amadeus Ensemble Wien
Chor der Neuen Oper Wien

Leontes, König von Sizilien - Christian Rudik
Hermione, seine Frau - Ingrid Silvéus
Mamilius, beider Sohn - Vinzent Leitgeb
Perdita, beider Tochter - Gisa Schafzahl
Paulina, Hermiones Dienerin - Sulie Girardi
Antigonus, Hofherr - Matthias Helm
Camillo, Paulinas Ehemann - Alfred Werner
Polixenes, König von Böhmen - Michael Elliscasis
Florizel, sein Sohn - Marko Formanek
Green, ein Clochard und die Zeit - Camillo dell´Antonio


"Unterkühltes Wintermärchen "
(Dominik Troger)

[1] "Boesmans ist eine bezwingende musikalische Adaption des Eifersuchtsdramas gelungen, ein kaleidoskopischer Mix verschiedener musikalischer Stile, die den emotionalen und psychischen Zustand der Figuren unterstreicht" (Programmheft zu "Wintermärchen", Seite 13)

[2] "Einige sprechen von Collagen und Zitaten, ich würde dagegen eher von Anklängen oder Stilzitaten reden." Philippe Boesmans im Gespräch (Programmheft zu "Wintermärchen", Seite 16)

[3] Nun, ich erlaube mir, den Begriff des Halbzitates einzuführen, weil es bei aller anfänglicher Assoziation schließlich doch in einer Täuschung verpufft - und diese Halbheit soll auch gleich den Effekt beschreiben, den Boesmans wühlen im Opernmaterial nicht nur eines Richard Strauss und Richard Wagners beim Zuhörer erzeugt: ein beständiges Sitzen zwischen den Stühlen, eine geweckte Emotion und ihr nächstfolgendes Auflösen, das Zerplatzen von lauter kleinen Wasserbläschen, die einen mit ein paar ironischen Tröpfchen ins Gesicht spritzen. "Rosenkavalier", "Frau ohne Schatten", "Parsifal" mit gebotener Überdeutlichkeit und splash, plopp, bumm, löst es sich auf in einem seriellen Platzregen oder wie auch immer. Vor allem in den Akten drei und vier kann man sich vor dieser Halb-Zitaterei kaum mehr retten und schwankt zwischen wissendem Schmunzeln und langsam aufsteigendem Ärger über dieses altbackene Löffeln in alten Operntöpfen.

[4] Das Libretto (von Luc Bondy und Marie-Louse Bischofberger) - soweit man ihm folgen konnte - ist eine moderne Shakespeare-Simplizifierung, an die sich der oben geschilderte musikalische Duktus sehr eng anschmiegt (aber es steht im Programm immerhin: "nach Shakespeare" und das ist wirklich ehrlich!). Nun, wahrscheinlich war es die Herausforderung, sich an Shakespeare messen zu wollen, wer könnte der Versuchung schon widerstehen. Shakespeare's Ruhmesglanz färbt auch auf seine Be- und Verarbeiter immer noch ein wenig ab. Ansonsten erscheint mir die Geschichte, die Shakespeare im "Wintermärchen" verbraten hat, von vornherein ein wenig zweitranging im Vergleich zu anderen seiner Dramen - aber Komponisten müssen beim Schluss, in dem Königin Hermione's Standbild durch Musik erweckt und Hermione wieder lebendig wird, natürlich die größte Versuchung spüren. Was gibt es Schöneres, als so wundervolle Musik zu komponieren, dass sogar Denkmäler wieder lebendig werden.

[5] Das "Wintermärchen" wurde 1999 in Brüssel uraufgeführt. Die Produktion der Neuen Oper Wien war die österreichische Erstaufführung. Nach den ersten beiden Akten ging es am Premiereanbend nach sehr kurzem Applaus in die Pause. Auch am Schluss hielt sich das Publikum eher bedeckt, keine enthusiastischen Bravo-Chöre. Boesmans Zitatenliebe war schon in der Pause mit einer gewissen Skepsis gestraft worden - und im dritten und vierten Akt ging die Zitiererei ja munter weiter. Es ist auch so, dass durch diese bewusst angerissenen Assoziationsketten, die ja nicht punktuell, sondern ziemlich häufig von Boesmans gesetzt werden, in Summe eine Beiläufigkeit entsteht, mit der sich dieses neue Werk selbst das Wasser abgräbt, sich aushöhlt, sich der dramatischen Wucht entfremdet.

[6] Diese ganze "Schwäche" des zitierfreudigen Boesmans'schen Konversationstons wurde im dritten Akt offenbar, wenn auf "Böhmens Hain und Fluren" sich das Schicksal der jungen Prinzen- und Prinzessinen-Generation erfüllt. Hier gibt es kreativen Raum für eine Art von "Zwischenmusik", zu der Hermiones und des Sizilienkönigs LeontesTochter, die schon als Kleinkind aus Sizilien verstoßene Perdita, ihrer Stummheit in einem expressiven Tanz Ausdruck verleiht. Selbige stammt nicht von Boesmans, sondern wurde von Christopher Just und Peter Votava aus "Wintermärchen" Tonmaterial zusammengebaut und klang wüst und lärmend wie von einem Loveparade-LKW. In Anbetracht solcher übergreller "Authentizität" verblies es Boesmans Opernmusik in alle Himmelsrichtungen. (Perdita ist die "Rockerbraut" des Böhnenkönigs Florizel - so eine Art West Side Story auf ganz modern.) Noch so nebenbei: Das Libretto ist in deutscher Sprache verfasst, in Böhmen aber spricht man Englisch. (Und es bedarf natürlich unbedingt solcher eingestreuter zeitgeistiger Modernismen als Rechtfertigung, dass man sich überhaupt eines Shakespeare's annimmt...?!)

[7] Wer jetzt zum Schluss kommt, diese Zeilen hier wären ein arger Verriss, der urteilt voreilig. Einen gewissen Reiz kann man der Partitur nicht absprechen, aber man wird sich nicht klar darüber, ob das jetzt wirklich alles "ernst" gemeint ist. Denn das ist gerade der Punkt, dass Boesmans und Bondy ihr Wintermärchen nicht als lustvolle, postmoderne Paraphrase zur Opernhistorie verkaufen. Nein, das soll große Oper sein, Leidenschaft, Eifersucht, Liebe, Trauer, Versöhnung. Boesmans musikalische Halbzitaterei hilft diesen großen Gefühlen aber nicht auf die Sprünge. Wer assoziiert, benimmt sich der Unmittelbarkeit des Erlebnisses. Übrig bleibt eine gewisse intellektuelle Fadesse, die sich leider viel zu oft selbst genügt.

[8] Regisseur Michael Klette versuchte unter anderem mit Exaltiertheit, dem Stück Herr zu werden, was des öfteren in unfreiwillige (oder beabsichtigte?) Komik umschlug. Auf dem leeren Bühnenraum (das Orchester war übrigens rechts von der Bühne platziert, was in den vorderen Reihen für eine etwas gewöhnungsbedürftige Akustik sorgte) malträtierte sich Leontes in seiner Eifersucht, brach sich immer wieder (auch sexuelle) Gewalt die Bahn, war auch am Schluss trotz wiederbelebter Hermione nicht viel von Erlösung zu spüren. Im Gegenteil, das Ende markierte ein Eisblock, der aus einem Koffer kippte, was den Zusehern wohl jede Hoffnung auf eine bessere Zukunft rauben sollte (aber die hatte man zu diesem Zeitpunkt ohnehin längst aufgegeben...). Apropos Koffer: einmal stapeln sie sich zu einer richtigen Pyramide, überwachsen fast den armen König in seiner Eifersucht, auch wenn man nicht weiß, warum. Viele Auf- und Abtritte, mal vornherum, mal hintenherum oder unten durch, sorgen für einen gewissen "Grundumsatz" bei der Bühnenpräsenz der einzelnen Figuren, um daraus ein gewisses belebendes Moment abzuleiten. Die Expressivität bei der Gebärdensprache war nicht zu übersehen. Wirklich gelungen war eigentlich nur die Charakterisierung der stummen Prinzessin Perdita, was in hohem Maße auch Gisa Schafzahl und ihrer impulsiven, pantomimischen Tanzeinlage zugeschrieben werden muss. Im Hintergrund wurde die Bühne von sich zwei überschneidenden, abgerundeten Wänden begrenzt, eine sehr abstrakte Andeutung von Landschaft.

[9] Die musikalische Umsetzung lag bei Walter Kobéra in bewährt guten Händen. Weil das Sängerensemble aber inhomogener wirkte, als bei früheren Produktionen, wusste man der einheitlichen Orchesterleistung umso mehr zu danken. Kobéra folgte der überdeutlichen Paraphrasierung und hätte sich vielleicht da und dort doch ein wenig mehr auf die Herausarbeitung der Klangfarben und einzelnen Instrumentengruppen konzentrieren sollen. Die Akustik im Odeon spielt natürlich auch eine Rolle und trägt nicht unbedingt dazu bei, die Wahrnehmung einer klanglichen Tiefendimension zu fördern. Insgesamt hat sich hier der Eindruck einer zweidimensionalen Grafik aufgedrängt, die durchaus noch ein wenig an Konturen gewinnen und in den Raum wachsen könnte. Aus dem Sängerteam stachen vor allem Christian Rudik (Leontes), Ingrid Silvéus (Hermione) und Alfred Werner (Camillo) positiv heraus.

[10] Insgesamt scheint es, als hätte Boesmans "Wintermärchen" durchaus noch "Reserven", die von dieser Produktion aber nicht aufgespürt und genutzt wurden.

"Farce der Wadelbeißerei" nennt Reinhard Karger im Standard vom 14.2. seine Aufführungsbesprechung (und er spielt damit auf eine exzessive Szene an, in der der eifersüchtige sizilianische König Leontes durch eine wadelbeißende Hofdame zur "Räson" gebracht wird)."Schon bei der Uraufführung stellte sich das eklektizistische Werk nicht als Knüller dar", meint Kager und nennt die zitatendurchsetzte Komposition ein "dick instrumentiertes Stilpotpourri". Das Libretto findet er "eindünnend" und die Regie wäre dem Missverständis anheimgefallen, diese Oper als "Farce" zu deuten.

"Wenn im Sinne der postmodernen Devise "anything goes" alles möglich wird, dann wird alles letztlich beliebig und austauschbar." meint Manfred A. Schmid in der Wiener Zeitung vom 14.2. Für ihn hat Regisseur Michael Klette für drei "fesselnde" Akte gesorgt, "bevor gegen Schluss hin die szenische Umsetzung ausufert und zu langweilen beginnt - was auch mit der Musik zusammen hängt, die spätestens ab dem vierten Akt ihren Reiz verloren hat."

Gerhard Kramer gesteht Boesmans in der Presse vom 14.2. eine "handwerklich gewiß hochprofessionell" gearbeitete Partitur zu, zeigt sich aber wenig davon beeindruckt: "Unberührt bleibt der Zuschauer von den Eifersuchtsqualen des Sizilienkönigs Leontes, mag Boesmans mit künstlich aufgeregten Schlagzeug- und Blechkaskaden noch so eifrig um dramatische Akzente bemüht sein." Lob gibt es für die musikalische Umsetzung.