JULIE
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Ronacher
23.5.2005
Österreichische Erstaufführung
Produktion: Du Munt /La Monnaie, Brüssel
Koproduktion Wiener Festwochen, Festival d'Aix-en-Provence

Musikalische Leitung: Kazushi Ono

Inszenierung: Luc Bondy
Bühne: Richard Peduzzi
Kostüme: Rudy Sabounghi

Orchester: Kammerorchester De Munt /La Monnaie

Jean - Garry Magee
Julie - Malena Ernman
Kristin - Kerstin Averno


"Kammerstück"
(Dominik Troger)

Philippe Boesmans hat sich Strindbergs „Fröken Julie“ angenommen – und die Brüsseler Uraufführungsproduktion hat bei den Wiener Festwochen Station gemacht.

Boesmans ist in Wien kein unbekannter. 1997 war der „Reigen“ zu sehen gewesen, vor drei Jahren das „Wintermärchen.“ Jetzt also Strindberg. Was heute an Strindberg wohl immer noch fasziniert, ist die Verknüpfung von sexueller und sozialer Gewalt. Aber der soziale Kontext steht dabei auf immer schwächeren Füßen, das sexual-pathologische gewinnt an Gewicht. Die soziale Begründung für den Selbstmord Julies – Grafentochter vernascht Kammerdiener – entbehrt in den westlichen Industriegesellschaften längst einer (schein-)moralischen Feudalhierarchie. Ähnliche Geschichten kann man in den Klatschblättern nachlesen. Deshalb bringt sich niemand mehr um. Die emotionale Wirkung des Einakters müsste sich aus der psychischen Dynamik der Figuren entwickeln – möglicherweise aus Julies Vaterproblematik – und gerade in diesem Punkt bleibt das Gehörte und Gesehene ziemlich blass. Weder Boesmans noch Bondy liefern Jean, Julie und Kristin wirklich dem Rasiermesser aus, mit dem Julie ihr Leben beenden wird. Im Gegenteil, der Abend hatte die Soigniertheit eines Salons besserer Herrschaften, die eine Oper zur Freizeitunterhaltung aufführen. Er hatte fast „restaurativen“ Charakter.

Die Leidenschaften wühlen in „Julie“ leise und mit einer feinstimmigen Melancholie. Beide sind bei dem kleinen Orchester, das Boesmans vorgesehen hat, sehr gut aufgehoben. Das Brutale wird in einzelne Seelenregungen zerfasert, und verliert dadurch viel von seiner elementaren Wucht. Die Musik hat viele poetische Momente, vorzüglich in den Streichern. Ich hatte fast den Eindruck, dass die Komposition das Schicksal der Personen beklagt, anstatt die Gefühle der Bühnenfiguren aus der Reserve zu locken. Boesmans befleißigt sich dabei einer kompositorischen Ökonomie, die für die Üppigkeit von Strindbergs radikalem Entwurf nichts mehr übrig hat. Die Vision des Geschlechterkampfes, des sozialen Ringens, verliert die unmittelbare Wucht des Exempels. Sie wird unter dem Fokus einer sensiblen „Historiographie" zeitgenössischen Aufklärertums betrachtet, bestimmt von der Sehnsucht nach einem „besseren" 19. Jahrhundert, in dem Strindberg noch Strindberg sein konnte – voll sozialpolitischer Utopien, voll innererer Widersprüche, beständig auf dem Weg nach seinem „Damaskus“. Da erscheint Boesmans „Julie“ wie die „Erinnerung“ an ein Stück von Strindberg, so wie man sich alte Fotos anschaut. Nur ist das mit dem Fotoanschauen so eine Sache: Es wird einem leicht langweilig dabei. Das Gähnen meines Sitznachbarn mag es bezeugen, wir hätten wohl beide lieber das „Original“ gesehen.

Luc Bondy ist auf der Bühne dem versonnenen Elan von Boesmans Musik gefolgt. Dezentes Theater, nur ein nackter Rücken. Das Ambiente, bis auf die grelleren Farben mancher Möbelstücke (Design eines schwedischen Möbelhauses?), dem 19. Jahrhundert angelehnt. Keine Modernismus-Eskapaden! Die Ausführenden brachten durchaus Wortdeutlichkeit ein und waren stimmlich präsent, mit gutem Timing. Kazushi Ono und das Kammerorchester De Munt /La Monnaie folgten Boesmans Vorgabe von einer abgesofteten Moderne, die auch ihre Vorgänger nicht verleugnet. Aber das hat man bei Boesmans immer. Ein Hund und ein Kanarienvogel spielten auch mit.

Ausverkauft war das Ronacher nicht, aber ganz gut gefüllt. Und bei der versammelten Festwochen-Society konnte wenig schief gehen. Schließlich hatte Festwochenintendant Luc Bondy als Co-Librettist (zusammen mit Marie-Louse Bischofberger) quasi die Patenschaft für den Abend übernommen. So haben die paar Bravorufe am Schluss nicht überrascht, und das mehrmalige Herausklatschen der Beteiligten.

Wenn ich die drei genannten Boesmans Opern Revue passieren lasse, dann hatte der „Reigen“ einen gewissen Witz, der sich aber in Folge der Schnitzler’schen Orgasmusinflation rasch verlor; das „Wintermärchen“ war rückblickend ein teils mehr, teils weniger gelungener Versuch, „Große Oper“ zu machen; „Julie“ ist ein „Kammerstück“, bei dem Musik und Bühne nicht so recht zusammengehen. Doch in allen drei genannten Fällen gilt: Auch zeitgenössische Werke müssten regelmäßig zur Diskussion gestellt werden. Das wahre künstlerische Potential offenbart sich erst in der Zeit.