LES PECHEURS DE PERLES

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Theater an der Wien
16. November 2014
Premiere

Dirigent: Jean-Christophe Spinosi

Inszenierung: Lotte de Beer
Bühne: Marouscha Levy
Kostüme: Jorine van Beek
Licht: Alex Brok

ORF Radio-Symphonieorchester Wien
Arnold Schoenberg Chor (Ltg. Erwin Ortner)

Leila - Diana Damrau
Nadir - Dmitry Korchak
Zurga - Nathan Gunn
Nourabad - Nicolas Testé


„Das Fernsehen kommt in die Oper“

(Dominik Troger)

Vor 20 Jahren hat sich die Volksoper an Georges Bizets „Les Pêcheurs de Perles“ versucht. Jetzt hat das Theater an der Wien diese Oper ihrem „Dornröschenschlaf“ entrissen. Allerdings wurde die exotische Liebesgeschichte an der Linken Wienzeile zur „TV-Reality-Show“ umfunktioniert und lief unter dem Titel „Perlenfischer – The Challenge“.

„Les Pêcheurs de Perles“ sind ein Paradebeispiel für den „Exotismus“ in der Oper des 19. Jahrhunderts. Aber das „exotische Sujet“ ceylonesischer Perlenfischer soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch hier die Handlung einem bewährten Schema folgt: eine Frau steht zwischen zwei Männern. Das Kolorit ferner Sandstrände ist nur ein Ingredienz, eine Rahmenhandlung für die Zusammenballung von Beziehungskonstellationen, von heißen Liebesschwüren und -sehnsüchten, von eifersüchtiger Raserei auf einem von Muschelschalen übersäten Strand.

Die Handlung wird durch einige unglaubliche Zufälle entschieden, und dient vor allem dazu, Gefühlszustände auszulösen. Immerhin haben einige Musiknummern den wechselnden Moden getrotzt, als Vehikel für Tenorschmachten zum Beispiel, als Demonstrationsobjekt für einen eleganten Gesangstil, der die Empfindung bis zur Verklärung zu verfeinern vermag. Denn „Les Pêcheurs de Perles“ besitzt eine lyrische Grundhaltung, die mit einer folkloristisch-exotischen Farbe koloriert ist. Die einschmeichelnde Melodie, die die Streicher im Vorspiel in weitgespanntem Legato weben, ahnt eine Wagner’sche Dimension der Zeitlosigkeit und des Sehnens – ehe sich die Folklore sehr deutlich bemerkbar macht, gewissermaßen als Konzession an das Sujet. Es kommt in den „Perlenfischern“ womöglich ein Lebensgefühl zum Ausdruck, dass im 21. Jahrhundert längst als sentimental korrumpiert ist – solange es nicht wie bei Wagner durch eine heroisch-philosophische Dimension seine Rechtfertigung erfährt. Und deshalb wird das kleine Glück der Perlenfischer spöttisch belächelt.

Gewisse Elemente eines massenspezifischen „Exotismus“ und „Romantizismus“ sind auch heute noch greifbar, haben sich zum Beispiel in Reality-Shows, die Kandidaten an ferne Dschungelstrände zerren, durchaus erhalten – und wie einst die Oper mögen heute das Fernsehen und der Film jene Bedürfnisse abdecken, die der „Avantgardist“ sofort als „Kitsch“ entlarvt. Diese und ähnliche Überlegungen haben Regisseurin Lotte de Beer womöglich dazu veranlasst, anhand von „Les Pêcheurs de Perles“ eine historische gewachsene Kunstform in ein Format moderner Massenunterhaltung zu transponieren. Die „Perlenfischer“ mutieren im Theater an der Wien zur großen „Challenge“ für Leila und Nadir, die bei ihrem, von den Fernsehkameras in alle Hinterwinkel der Erde übertragenen „Strandurlaub“, sogar ihr Leben riskieren – und Leila (und mit ihr Nadir) wird aufgrund des Bruches ihres priesterlichen Keuschheitsgelübdes nicht von den Perlenfischern, sondern durch das Voting des Fernsehpublikums zum Tode auf dem Scheiterhaufen verurteilt.

Der Sandstrand darf also Sandstrand bleiben, aber er wird meist von einer hektischen Fernsehcrew bevölkert, die die Protagonisten hin- und herschubst und outrierend ihrem Beruf nachkommt. Im Hintergrund ist ein riesiger „Setzkasten“ aufgebaut – dort sitzten die Fernsehzuschauer in vielen kleinen Zimmern wie in einem angeschnittenen Wohnblock – vom bürgerlichen Haushalt bis zur Wohngemeinschaft, von der putzsüchtigen alten Dame bis zu einer Gruppe beschalter Austria Wiens-Fans. Derart wird das Auge aber stark abgelenkt, der sensible Lyrismus dieses Werkes mehr oder weniger zerstört. Wenn Nadir in seiner poetischen und ganz persönlichen Romanze vor allem als riesige Einspielung auf einer Videowand wahrgenommen wird, die eben mal das Fernsehpublikum (alias Arnold Schönberg Chor) verdeckt, dann spielen die Musik und ihr Gehalt, der Stil des Vortrags, der spezielle Ausdruck des Sängers nur mehr eine untergeordnete Rolle. Die Musik wird zur „Erkennungsmelodie“, zum Anreiz einer längst an Übersättigung leidenden Zerstreuung. So hilft man keinem Publikum dabei, zu Kennern zu werden.

Insofern beurteile ich diese Produktion sehr zwiespältig – möchte aber anmerken, dass de Beer in einigen Szenen die Antwort auf meine Einwände sozusagen vorweggenommen hat. Wenn dieses lästige TV-Team endlich einmal von der Bühne musste, wenn das Fernsehpublikum beispielsweise hinter einer riesigen projizierten Mondscheibe verschwand, dann wurde die emotionale Dichte deutlicher, dann begannen diese Figuren (Leila und Nadir im zweiten Akt oder Leila und Zurga im dritten) das „Reality-Format“ abzulegen, dann gewannen sie endlich jene tiefere emotionale Fokussierung, die ich mir von einer Opernaufführung erwarte. Im zweiten Akt gönnte die Regisseurin dem Liebespaar sogar einen blauen, kitschigen Tempel in asiatischem Design für seine Liebesempfindungen – und letztlich komme ich zum vielleicht überraschenden Schluss, dass das Konzept als „Rechtfertigung“ für solchen „Kitsch“ bei einiger Mäßigung in der szenischen Umsetzung ein genialer Einfall hätte sein können.

Musikalisch war es kein herausragender Abend. Dirigent Jean-Christophe Spinosi kommt von der Barockmusik, jugendlich, dynamisch, rhythmisch – das Spannen von romantischen Bögen, das Fließenlassen der Emotionen, eine ausgetüftelte schmelzversierte Klangregie scheinen ihm weniger zu liegen. Dadurch konnte sich der Zauber dieser Musik kaum entfalten. Spinosis Dirigat wirkte manchmal träge, dann zog er wieder Tempo und Spannung an, ein gegen den Strich gebürsteter Bizet.

Aber auch die übrige Besetzung war zum Großteil nicht unbedingt nach dem Stil der französischen Oper gewählt: Dmitry Korchaks lyrischer Tenor besitzt einen festen „slawischen“ Kern, dann und wann hat er sich schon zum „Kraftmeiern“ verleiten lassen. Aber das „Je crois entendere encore“ gelang mit einigen schönen Piani verziert recht „anhörlich“. Nathan Gunn hat sich mit markantem, virilem Bariton nicht unbedingt für den Zurga empfohlen. Diana Damraus Sopran wirkte im ersten Akt auf mich etwas unelastisch, aber ihre Gesang wurde hier auch ein Opfer der Regie – und die traumverlorene, zärtliche Stimmung, die das „Dans le ciel sans voile“ kennzeichnet durch ein paar Späßchen „atomisiert“. Der zweite und der dritte Akt zeigten sich emotional intensiv und Damrau überzeugte gesanglich und darstellerisch. Nicolas Testé war ein stimmlich passender und sonorer „Stichwortgeber“. Der Arnold Schönberg Chor klang nicht immer so kompakt und austariert wie gewohnt – möglicherweise wegen der Aufteilung auf die „Zimmerkästchen“ im Bühnenhintergrund.

Das Publikum fühlte sich dem oftmaligen Lachen nach offenbar sehr gut unterhalten. Der Schlussapplaus war stark und dauerte an die sieben Minuten lang. Gespielt wurde die neue Urtext-Edition von Brad Cohen.