CARMEN

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Volksoper
6.2.2015

Dirigent: Gerrit Prießnitz

Carmen - Martina Mikelic
Micaela - Renate Pitscheider
Frasquita - Martina Dorak
Mercedes - Christiane Marie Riedl
Don José - Mirko Roschkowski
Escamillo - Sebastian Holecek
Zuniga - Petar Naydenov
Morales Günter Haumer
Dancairo - Josef Luftensteiner
Remendado - Thomas Sigwald
Lillas Pastia - Georg Wracks


„Stimmschöne Carmen“

(Dominik Troger)

Die „Carmen“-Produktion an der Volksoper feierte an diesem Abend ein kleines Jubiläum: Es wurde laut Programmzettel die 175. Vorstellung gespielt. Premiere hatte diese Inszenierung von Guy Joosten (Bühne: Johannes Leiacker) bereits 1995!

Einen Vergleich mit der cineastisch aufgedonnerten Staatsopern-„Carmen“ zieht man besser nicht, die Volksoper bietet eine abgespeckte, sozialkritischere Version. Das wirkt oft etwas karg und zugespitzt und zeigt nicht die touristisch genützte Schauseite Südspaniens. Weil die Volksoper das Stück in deutscher Übersetzung spielt (für die Walter Felsenstein gesorgt hat), ist der Charakter aber ohnehin ein anderer: Es schleicht sich ein „operettenhafter“ Zug ein, der die „Tragödie“ auf den Boden jener Eifersuchtsgeschichten herunterholt, die damals wie heute immer wieder den Chronikteil der Zeitungen füllen.

Mit Martina Mikelic hat sich in dieser Aufführungsserie eine neue Carmen dem Volksopernpublikum vorgestellt: Die junge Sängerin befindet sich schon seit einiger Zeit im Ensemble des Hauses und hat bereits in der Vergangenheit mit ihrer breiten und tiefgründigen Stimme auf sich aufmerksam gemacht. Die Sängerin verkörperte im Aussehen eine moderne, modelhafte Carmen, schlank und groß gewachsen, jugendlich in Spiel und Ausdruck, ohne besondere Betonung psychologischer Raffinesse. Aber was Besuchern an üppigeren Formen und gesetzterem Auftreten vielleicht abging, lieferte dafür die Stimme in ausreichendem Maße: eine Stimme, die mehr intuitiv von Erotik und Leidenschaften schwelgte, und die ihren Gesang in balsamische, dunkle und voll gerundete Töne fasste, in die die Zuhörerschaft eintauchen konnte wie in einen schweren, öligen Rotwein, den eine Note von rauchigem Harz verfeinert.

Wie angedeutet, gab es allerdings eine Diskrepanz zwischen der starken Individualität dieses „altistischen Mezzo“ und der Zeichnung der Figur: Denn die Individualität des Timbres müsste noch mehr ins Optische und in den Charakter der Rolle „transponiert“ werden. Besonders augenfällig wurde das im Finale, als sich Carmen und Don Jose sehr lange und im Spiel zu statisch gegenüberstanden – und der Don José von Mirko Roschkowski war zudem nicht der begnadete Singschauspieler, dem es gelungen wäre, Carmen argumentativ und darstellerisch aus den Reserve zu locken. Die Inszenierung zielt allerdings darauf ab, Don José als einfachen Burschen zu zeigen, der sich dummer Weise in die falsche Frau verknallt hat. (Sind diese Liebesgeschichten letztlich nicht alle „trivial“, auch wenn sie so „tragisch“ enden wie in diesem Fall?)

Roschkowski war in den lyrischen Passagen ein schönstimmiger Don José. Die Stimme zeigte sich eher hell timbriert, schlank, und fähig zu stilistischer Feinheit, die den Sänger in der Vergangenheit auch bei Mozart hat reüssieren lassen. Doch der Don José ist aus einem etwas „härteren“ Holz geschnitzt und mir fehlten die „satteren“ Farben, die in den forcierteren Passagen oder bei kräftig gesetzter Höhe, viril „abfedern“. Es bestand dort eher die Gefahr, dass die Stimme leicht grell einfärbt. Insgesamt vermochte der Sänger zwar das „Looser“-Image, das diese Inszenierung Don José verpasst, zu vermitteln, aber als sehr mitreißend empfand ich es nicht.

Sebastian Holecek ist schon seit vielen Jahren der Haus-Escamillo der Volksoper – und so manches Opernhaus würde sich glücklich schätzen, einen Escamillio von dieser Qualität im Ensemble zu haben. Holecek wird der Partie gerecht, kräftig, die Stimme in der Höhe und der Tiefe gut austariert, und mit genug Atem und Sicherheit für effektvolle Spitzentöne. Die Stimme ist etwas hell timbriert und in der Gesamtscharakteristik vielleicht mehr auf das deutsche Fach ausgerichtet, aber nachdem an der Volksoper ohnehin in deutscher Sprache gesungen wird, fällt das nicht ins Gewicht.

Rollendebüt am Haus feierte Renate Pitscheider als Micaela, die mit schön gerundeter Mittellage überzeugte, bei ihrer Arie im dritten Akt aber mit zu wenig Leichtigkeit und „Pianoraffinement“ ans Werk ging, um die melancholische Poesie dieser von Bizet mit Gounod’scher Empfindsamkeit ausgeführten Szene entsprechend auszumalen. Gegenüber Carmens Begleiterinnen, der schon ein bisschen handfester und mit „Operettenallüren“ agierenden Mercedes von Christiane Marie Riedl und der Frasquita von Martina Dorak fiel die übrige Mannschaft des Ensembles etwas ab. Das führte bis zu fast komikartigen Einlagen in Lillas Pastias Schenke, wenn sich plötzlich ein Tonfall einschlich, der mehr an ein g’standenes Wiener Kaffeehaus erinnerte.

Das Volksopernorchester unter Gerrit Prießnitz überraschte mit einem recht ausgewogenen Spiel, zeigte viel Gespür für das Farbenkolorit der Partitur, setzte auf gefühlvollen Streichereinsatz. Fazit: Es wurde stimmungsvoll musiziert, ohne auf knalligen Verismo zu setzen.

Der Volksopernchor agierte im ersten Akt recht „gemütlich“ – man müsste die Szene mit den Fabriksarbeiterinnen und der ganzen Aufregung um Carmen wieder etwas „anschärfen“. Nicht nur hier fehlte den Massenauftritten einiges an Beweglichkeit, wobei sich der Regisseur im letzten Akt ohnehin der Aufgabe enthoben hat, den Chor sinnvoll in die Handlung einzubauen: Er hat ihn einfach in die Einserlogen gesetzt.

Don José bleibt in dieser Inszenierung alleine zurück. Nach dem Mord öffnet sich der Bühnenhintergrund, der bis dahin von einer roten, zeltartigen Plane verdeckt wurde. Jetzt sieht das Publikum erst den Platz vor der Arena. Er ist leer. Don José geht langsam in den Hintergrund und in eine ungewisse Zukunft ab. Carmen liegt tot an der Bühnenrampe.

Der Schlussapplaus dauerte knapp fünf Minuten lang. Die Aufführung war, so weit ich die Sitzreihen überblicken konnte, gut, aber nicht sehr gut besucht.