CARMEN

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Staatsoper
3.5.2010
Musikalische Neueinstudierung

Dirigent: Andris Nelsons

Carmen - Nadia Krasteva
Don José - Massimo Giordano*
Escamillo - Ildebrando D'Arcangelo
Micaela - Anna Netrebko*
Frasquita - Anita Hartig*
Mercédès - Zoryana Kushpler*
Zuniga - Alexandru Moisiuc*
Moralès - Adrian Eröd
Remendado - Herwig Pecoraro
Dancairo - Tae Joong Yang*

*Rollendebüt an der Staatsoper


„Carmen im Repertoire“

(Dominik Troger)

Musikalische Neueinstudierung von „Carmen“ an der Wiener Staatsoper: Aus dem angesagten Highlight der Saison wurde durch eine Reihe von Absagen eine solide Repertoirevorstellung.

Die „Höheren Mächte“ waren dieser Produktion nicht wohlgesonnen: Lange schon hatte im Vorfeld Rolando Villazón den Don José abgesagt – die Absage des Dirigenten Mariss Jansons lag dann zum Glück für das Hausbudget schon innerhalb der Kartenvorverkaufsfrist – und die Absage von Elina Garanca war dann noch ein zusätzliches Reizmittel für leidende Hochpreis-Kartenbesitzerinnen und -besitzer. Kein Wunder, wenn einige Gerüchte die Runde machten, über deren Wahrheitsgehalt an dieser Stelle freilich nur spekuliert werden könnte.

Wie auch immer, schlussendlich entpuppte sich diese „Carmen“ als solider Repertoireabend, dem kaum jemand eine größere Aufmerksamkeit gewidmet hätte, wäre er im Vorfeld nicht durch besondere Umstände darauf „gestoßen“ worden. Immerhin – und das mit dreifachem Rufzeichen – fand sich Anna Netrebko ein, um der Micaela ihr luxuriöses, dunkles Soprantimbre zu leihen. So war zumindest für wenige Minuten zu hören, spüren und sehen, was ursprünglich diese „Carmen“ hätte ausmachen sollen. Aber ein Sonnenstrahl macht bekanntlich noch keinen Sommer, und eine Micaela keine „Carmen“.

Netrebko legte die Partie sehr selbstbewusst an, was auch wichtig war, weil ihr gleich in der ersten Szene Morales (Adrian Eröd für Boaz Daniel eingesprungen) in fast stalkerischer Manier an den Rock wollte. Ich weiß nicht, welches Image Soldaten im Sevilla des 19. Jahrhunderts besaßen, und ob Eröds aufreizendes Anbandeln historisch authentisch ist, „Ungustln“ gibt es aber bekanntlich überall – heute, genauso wie vor 190 Jahren. Micaela ließ sich dadurch nicht verunsichern und entschlüpfte den Soldaten behe(ä)nde.

Die Arie im dritten Akt zeugte von aufbegehrendem Trotz, ganz ohne naiv-leidender Haltung, mit einer – auch gesanglich – veristischen Note, die ihrer breiter gewordenen Stimme besser liegt als zarte Gebetslyrik. Ich hatte zudem nicht das Gefühl, dass Micaela hier Gottes Beistand wirklich bedüftig wäre: Selbstbewusst entledigte sie sich ihres Umhangmantels, Liebeswallung durchflutete sie heiß in wilder frostschaudernder Gebirgsgegend. Wahrscheinlich wird man mit Micaela im Normalfall einen eher „schüchterneren" Stimmtypus verbinden, der von Darstellung und Gesang mehr auf „reine Keuschheit“ setzt, allerdings war an diesem Abend Netrebkos Variante die einzig sinnvolle, um das Publikum mitzureißen und vom etwas lethargisch-biederen Umfeld der übrigen Protagonisten abzulenken.

Nadia Krasteva hatte die undankbare Aufgabe, das Flair einer international gesuchten und gefeierten „Carmen“-Darstellerin zu verströmen. Nun spricht es für die Staatsoper, dass sie diese Partie aus dem Ensemble durchaus rollendeckend besetzen kann, aber die international gesuchte und gefeierte „Carmen“-Darstellerin wurde dort doch nicht gefunden. Krastevas dunkler Mezzo ist für die Rolle passend und hat damit keine Probleme, aber ihre „Carmen“ ist eher ein Schwester „Maddalenas“, mit einer stark auf das reizvolle körperliche Erscheinungsbild abgestellten, etwas rustikalen Koketterie. Im Finale entdeckte sie dann einen barocken Heroismus, glitt in einem effektvollen Bühnentod Don Jose in die Arme, während sie sich seinen Blicken (und denen des Publikums) üppig darbot – sozusagen eine Pieta mit umgekehrten Vorzeichen. Doch in Anbetracht der Erwartungshaltung und der gezahlten Eintrittspreise löste sich das Ganze nur bedingt in Wohlgefallen auf.

Massimo Giordano hinterließ insgesamt einen sehr blassen Eindruck, wirkte im Spiel viel zu jünglingshaft und naiv. Der beste Moment war die sehr schön gesungene Schlusssteigerung in der Blumenarie „Et jétais une chose à toi.“ Seine Stimme scheint noch deutlich lyrisch fundiert, der Don José fordert sie in den dramatischeren Passagen zu stark heraus. Die Stimme taucht dann in einen leicht fahlen, trockenen Klang, scheint technisch nicht mehr ganz sauber geführt und klingt wenig attraktiv. Bei den Feinheiten im gesanglichen Ausdruck gibt es zudem noch einiges an Potential – eventuell hätte er sich diese Partie noch ein paar Jahre aufheben sollen?

Zugegeben, bei Ildebrando D'Arcangelo fragt man sich überhaupt, warum er sich den Escamillo antut und seine wunderschöne Mozartstimme an eine Partie verschwendet, die ihm auch von der Bühnenerscheinung wenig liegt. Sein Escamillo ist eine sehr brave und ziemlich kraftlose Natur, die von der triebhaften „Power“ eines Stierebezwingers nur wenig erahnen lässt.

Das gesangliche „Rundherum“ an mehr oder weniger wichtigen Nebenrollen hätte auch einem illustren Abend gut angestanden, auch das Ambiente passte, das mit Statisten reichlich ausgestattet, dieser Produktion von Franco Zeffirelli aus dem Jahre 1978 zu neuem Leben verhalf. (Die Pferde für die Picadores hat man weggelassen – ja, das waren noch selige Opernzeiten damals.)

Andris Nelsons, der die Neueinstudierung als einspringender Dirigent übernommen hatte, packte „Carmens“-Eros in eine sterile, rhythmusgeprägte Interpretation, die sich im Laufe des Abends als richtiger „Stimmungskiller“ erwies. Dabei hatte es mit einer grandiosen Einleitung begonnen, die klanglich erstrahlte wie das Gold einer blitzblank geputzten Trompete im Sonnenlicht, mit federnder Elastizität und jubelnder Siegesgewissheit vorgetragen. Aber das wars dann schon. Dass Oper sehr viel mit Emotionen zu tun hat, dass ein Orchester sich auch leidenschaftlich einbringen müsste, mit musikalischem Lachen, Weinen, Todesahnen, konnte er zumindest mir nicht vermitteln. Vieles schien stark pointillistisch gezeichnet, ohne zusammenfassenden Pinselstrich, der gleich mal die Konturen des Dramas skizziert, Ensembles ordnet und in den Arien für eine klare Linie sorgt. Fazit: Spannung kam insgesamt sehr wenig auf.

Das Publikum applaudierte am Schluss elf oder zwölf Minuten lang. Dass Netrebko den meisten Beifall erhielt, verwundert nicht.

Fazit: Bereits in der ersten Pause rühmte so mancher Besucher sein besonderes Glück, dass er aus diesem oder jenem Grunde dem Vorverkauf für die Sitzplätze nicht im ursprünglich geplanten (und „teuren“) Umfang hätte nachkommen können ...