CARMEN

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Wiener Staatsoper
30.9.2001

Dirigent: Vekoslav Sutej

Zuniga, Leutnant - Janusz Monarcha
Don José, Sergeant - Stephen O'Mara
Moralés, Sergeant - Yu Chen
Escamillo, Stierkämpfer - Albert Dohmen
Carmen, Zigeunerin -Nadja Michael
Frasquita, Zigeunerin - Ileana Tonca
Mercedes, Zigeunerin - Cornelia Salje
Micaela, Bauernmädchen - Krassimira Stoyanova


Handfeste Carmen
(Dominik Troger)

Nach ihrem Tänzchen im 2. Akt ging diese Carmen gleich in den Nahkampf über...

Behende und mit unverhüllter Absicht nestelte sie an Don Joses Uniformknöpfen, zu seinen Füßen hingekauert.Selbiger entschlüpfte dieser markanten Stellung erst durch den Zapfenstreich, nach ein paar schweißperlenden Sekunden, in denen man als Zuschauer schon meinte, sich im Etablissement geirrt zu haben. Nun, es ist gewiss ein Schelm, wer mehr denkt, als er zu sehen bekommt...

Neben diesen szenischen Feinheiten, die Nadja Michael offenbar für eine überzeugende Carmen-Interpretation als wesentlich erachtet, blieb die musikalische Umsetzung ziemlich eindimensional. Hinreißende Laszivität und spanisch-heiß hervorsprudelnde Erotik suchte man vergebens. Die leidenschaftliche Üppigkeit der Bizet'schen Komposition blieb ungenützt.

Michael besitzt einen schönen, vollen, etwas dunkel gefärbten Mezzosopran, hausfüllend und gerade recht für das französische Fach. Nur ist die Ausdifferenzierung dieser Stimme leider nicht sehr weit gediehen, ohne geschmeidiger Nuancierung der Emotionen und Leidenschaften. Es war also eine Carmen mit "bodenständiger" Präsenz, wo die Einfalt eines bloß dramatischen Kalküls überwog. Und diese Art von handfester Verführung muss man einfach als gesangliches und darstellerisches Defezit empfinden.

Aber was bei Michael eben noch gerade anging, kippte bei ihrem männlichen Gegenüber, Don Jose, schon fast ins Lächerliche. Erst in der Raserei des Schlussaktes, konnte Stephen O'Mara sein darstellerisches Unbehagen überwinden, dass ihn im ersten Akt noch zu einer Karikatur eines Wachoffiziers gemacht hatte. Die Nagelprobe, die Blumenarie im 2. Akt, zeigte dann auch die stimmlichen Grenzen sehr deutlich auf. Ein Tenor ohne Schmelz und ohne verführerische Pianophrasen, eine zu kleine Stimme, um auch in dieser Arie noch voll aus einem ruhig, dahinströmenden Atem schöpfen zu können. Es ist nicht gut, wenn der Zuhörer mitbekommt, wie anstregend Singen sein kann...

Zum Glück zeigte Krassimira Stoyanova als Micaela mit ihrer ersten Arie, wie man von "A bis Z" einen durchgehenden musikalischen Vortrag gestaltet. Hoffentlich haben da andere gut zugehört. (Die Arie im 3. Akt gelang weniger überzeugend, ihre Stimme ist den jugendlichfrischen Lyrismen der Micaela schon entwachsen). Vom Escamillio, Albert Dohmen, gibt es wenig zu berichten - was übrigens für die meisten Escamllios gilt. Sie geben ihr Torerolied zum Besten und wirken sonst meistens recht blass.

Das Orchester unter der Stabführung von Vjekoslav Sutej zeichnete sich nicht durch besonders kultiviertes Spiel aus. Auch hier ist das Attribut "bodenständig" durchaus angebracht. Die Overtüre knallte wie Blasmusik. Ob Don Carlos oder Carmen, diese derbe Hausmannskost schlägt sich mit der Zeit schon auf die Ohren.

Die von Franco Zeffirelli kreierte Inszenierung schöpfte wieder aus üppiger Fülle und mediterraner Lebensfreude. Es ist eine Inszenierung, die dem Publikum gefällt, die es zum Mitgehen ermuntert. Es ist eine Inszenierung, die in schon fast cineastischer Detailverliebtheit das Auge anspricht, als prächtige, genussvoll-aufgebaut Opern-Kulisse. Auch die 101. Aufführung hat - trotz aller musikalischer Minuspunkte - stark davon profitiert.

Der Applaus - dem sich einige strategisch gut platzierte Bravorufer unnotwendigerweise unterjubelten - war sehr wohlwollend, währte aber nicht lange.