CARMEN |
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Premiere Dirigent: Ben
Glassberg |
Carmen
- Katia
Ledoux |
Erste Premiere der Saison 2024/25 an der Volksoper: Die neue „Carmen“ erstickt unter ideologischem Ballast auf Kosten des Beziehungsdramas. Musikalisch gelang der Abend besser als szenisch. Wer oder was ist Carmen? Könnte Carmen heutzutage sogar „Präsidentin“ werden, wie es Regisseurin Lotte de Beer in einem Interview mit der Tageszeitung „Die Presse“ (18. September 2024) in den Raum gestellt hat? Die Volksoperndirektorin hat im Vorfeld der Premiere versucht, das Publikum mit einem idealisierenden Carmen-Bild für ihre ideologisch motivierte Deutung der Oper zu „präparieren“. Carmen wird zum Opfer einer „engstirnigen Gesellschaft“ stilisiert, wird zur Märtyrerin für ihre „Freiheit“. Jedoch könnte man genauso der Auffassung sein, dass Carmen ein rechtes „Früchtchen“ ist. Sie fühlt sich in dem kriminellen Schmugglermilieu doch ziemlich wohl, sie „reißt“ sich Männer auf und verspottet sie, und es ist zu vermuten, dass ihr erotischer Freiheitsdrang dauerhafte Liebesbeziehungen von vornherein verunmöglicht. Sind es vielleicht nicht genau diese fragwürdigen Charaktereigenschaften Carmens, die im Zusammenspiel mit der jähzornigen Naivität Don Josés den explosiven Gefühlscocktail mischen, der zum fatalen Ende der Beziehung führt? Aber dergleichen wäre natürlich Lotte de Beers „Carmen-Hagiographie“ entgegengestanden, die Carmens Schattenseiten zum Resultat einer bürgerlichen Gesellschaft erklärt, die offensichtlich mit allen Mitteln eine „Carmen for President“ verhindern möchte. Daraus ergibt sich die absurde Bühnensituation, dass diese Carmen mehr fremd – denn selbstbestimmt erscheint. Sie wird zum Sprachrohr der Regie umfunktioniert, sie reflektiert ihre Position als Opfer gesellschaftlicher Repression, sie kehrt nicht ihre Emotionen nach außen, sondern versucht „politisch“ zu agieren, wobei sie erkennen muss, dass sie gegen die sie diskriminierenden Erwartungshaltungen des Publikums ohnehin keine Chance hat. Dabei versucht die Inszenierung, jedes „Carmen-Klischee“ tunlichst zu vermeiden. Das unförmige Kostüm Carmens ist der beste Beweis dafür: ein schwarzer Overall, Stiefeln, ein schäbiger schmaler Gürtel. Optisch prägt diese Carmen eine strikte und strenge Vermeidungshaltung gegenüber sexueller „Objektivierung“. Jede erotische Geste könnte unter diesen „Vorzeichen“ bereits „missverstanden“ werden. Wozu dann aber noch diese ganze Beziehungskiste mit Don José? Bereits am Ende des zweiten Aktes wird eine nachgebaute Volksopern-Logenreihe im Hintergrund auf die Bühne geschoben. Dort sitzt der Chor als gut gewandetes Publikum. Im dritten und vierten Akt schließen diese „Bühnenlogen“ die Spielfläche ab, Carmen klettert auch mal in eine Loge hinein oder sitzt auf deren Brüstung, entfernt sich derart also symbolisch aus dem Theaterraum, versucht sich selbst aus dem Spiel zu nehmen – und wird im Finale von diesem Logenpublikum an der Flucht vor Don José gehindert. Das Publikum begeistert sich an Carmens Schicksal, Carmens Tod ist die Schuld des Publikums! Diese Lösung ist zu einfach und zu billig. Sie vernachlässigt die psychologisch ausgefeilte Gefühlsdramaturgie der Oper, samt einer entsprechenden Personenregie. Carmens Erotik bleibt unter solchen Voraussetzungen sekundär, die ganze Beziehungsgeschichte verliert an dramaturgischer Notwendigkeit. Und der vierte Akt hatte es überhaupt in sich: Carmen als Hausmütterchen mit umgeschnalltem Mieder, die Escamillo in den Schlafrock hilft. Noch deutlicher kann man den „feministischen Zeigefinger“ schwerlich auspacken. Dabei hat der Beginn sogar zu überzeugen gewusst, die Genreszene mit der Wachablöse wurde in herkömmlicher Kulisse, die eine kleinstädtisches Ambiente zeigte, mit Ironie abgehandelt, aber sobald Carmen auftritt beginnt sie – im wahrsten Sinne des Wortes – die Kulissen von der Schauseite auf ihre unattraktive Rückseite zu drehen. Außerdem war ihr Auftrittslied mehr im Sinne eines politischen Statements inszeniert und kaum Ausdruck eines mit südländischer Erotik und tänzerischem Esprit untermalten „Liebesliedes“. Während Tomislav Muzek als Don José schlussendlich seine Rolle spielen durfte, mit einem gesanglich immer intensiver in den Premierenabend hineinwachsenden, wenn auch etwas nüchtern timbrierten Tenor, wirkte Carmens Rollengestaltung „konstruiert“. Es wäre spannend, was Katia Ledoux in einer werkgerechten Inszenierung aus sich und ihrem angenehm tönenden Mezzo herausholen würde, wenn sie auch ihre Weiblichkeit ins Spiel bringen könnte. Außerdem war einiges in der Personenführung schlecht gelöst: Eine Carmen, die sich im Finale hinsetzt, wo alle ihre Nervenfasern bis zum Anschlag gespannt sein müssten, scheint mir inszenatorisch doch einigermaßen fragwürdig. Gesanglich waren Carmen und Don José im Vergleich zur übrigen Besetzung die erste Wahl. Der Escamillo von Josef Wagner wurde szenisch um einen prächtigen Auftritt gebracht und ließ stimmlich einigen Tiefgang vermissen. „Carmen“ böte so viele Möglichkeiten, Figuren mitreißend zu präsentieren und dem Publikum spannendes, opulentes Musiktheater zu bieten. Wie gut Oper funktioniert, wenn man die Fíguren in ihrem von der Partitur abgesteckten Wirkungsbereich beläßt, zeigte sich an der Micaela von Julia Maria Dan: Sie spielte adrett, ohne „aufgesetzt“ zu wirken, eine gute Mischung aus Selbstbewusstsein und Schüchternheit auf die Bühne stellend. Ihr Sopran klang mir in seiner Lyrik allerdings etwas eng geschnürt. Die Schmuggler und Soldaten reüssierten sehr unterschiedlich, der Chor war auf Grund der szenischen „Versuchsanordnung“ sich selbst ein gutes „Publikum“. Ben Glassberg am Pult hat das Volksopernorchester sehr gut „herausgeputzt“, begann flott, sehr nett etwa die musikalischen Details in den ersten Szenen, wenn sich die Ironie auf der Bühne im Orchester fortzusetzen schien. Im Ausmalen der Emotionen besteht möglicherweise da und dort noch Steigerungspotenzial. Dass man deutsche Dialoge gibt, passt prinzipiell für die Volksoper (gesungen wird der französische Text). Am Schluss gab es auf der Galerie viel schrilltönenden Jubel, der über das sich derart artikulierende Publikum oft mehr aussagt, als über die Aufführung, der er gilt. Es war aber ein deutliches Absinken des Applauspegels wahrzunehmen, sobald das Regieteam die Bühne betrat. Die Buhrufe, mit denen es konfrontiert wurde, drängten sich am oberen Rang nicht so deutlich in den Vordergrund. PS: Die abgelöste „Carmen“-Inszenierung von Guy Joosten aus dem Jahr 1995 hat es an der Volksoper auf knapp über 200 Aufführungen gebracht. Das hätte damals bei der Premiere niemand zu prophezeien gewagt. Für die aktuelle Neuproduktion kann ich mir solche Aufführungszahlen trotzdem nur schwer vorstellen. PPS: Dass der „Publikumschor“ von seinen Bühnenlogen im dritten Akt Micaelas Arie mit Applaus unterbricht und ihren Vortrag stört, beweist einmal mehr den geringen Stellenwert, der seitens der Regie der Musik noch eingeräumt wird. PPPS: Im vierten Akt traten unvermutet sogar männliche und weibliche Stierkämpfer in ansprechenden Kostümen auf, so als müsse man dem Volksopernpublikum doch noch ein bisschen augengefälliges „spanisches Kolorit" bieten, damit es nicht ganz enttäuscht nach Hause geht. |