CARMEN |
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Staatsoper Dirigent: Pier
Giorgo Morandi |
Carmen
- Aigul
Akhmetshina |
Georges Bizets „Carmen“ steht am Beginn der Staatsopersaison 2024/25. Mit Aigul Akhmetshina präsentierte sich erstmals eine junge, bereits international gefragte Carmen dem Wiener Publikum und gab ein überzeugendes Hausdebüt. Aigul Akhmetshina ist noch keine dreißig Jahre alt und hat innerhalb kurzer Zeit vor allem als Carmen eine bemerkenswerte Karriere hingelegt. Und die sehr gute Kritiken, mit denen zum Beispiel ihre Auftritte in London und New York bedacht worden sind, erweisen sich bei ihrem Staatsoperndebüt als nachvollziehbar. Die Sängerin besitzt einen dunkel grundierten Mezzo, der über alle Lagen sehr ausgewogen klingt und mit poliertem Glanz durch das Auditorium leuchtet. Er besitzt genauso Substanz wie jugendliche Frische: nicht zu schwer, nicht zu dunkel, in der Farbe edel und ohne Trübungen, umhüllt von einem leicht samtigen „Bouquet“, das die Mittellage und Tiefe rundet. Ihre Stimme hat etwas von Werbeaufnahmen in Hochglanzmagazinen: eine auf edel getrimmte Carmen-„Reklame“, die wie ein sich mit Tönen schmückendes Accessoire Bizets Musik luxuriös zur Schau stellt. Die
Oberfläche fühlte sich für mich dabei allerdings ein wenig „glatt“ an.
Ihr selbstbewusst ausgespielter „Sex appeal“ erschöpfte seine
Verführungskünste bereits im ersten Akt, was auch ein wenig mit der
darstellerischen Redundanz ihres erotikbetonenden Gestenrepertoires zu
tun hatte. „Carmen ist nur sich selbst treu“, meinte die Sängerin in
einem Interview, das in der aktuellen Ausgabe der Publikumszeitschrift
der Wiener Staatsoper nachgelesen werden kann. Und Akhmetshinas Carmen
strotzt stimmlich geradezu vor Stärke und Unverwundbarkeit. Dass sie
sich auf die finale Unterredung mit Don José einläßt, wird vor diesem
Hintergrund zu einem Akt maßloser Selbstüberschätzung. Aber wie steht
es um Carmens Ängste und Zweifel? Müsste Carmen im zweiten Akt Don José
nicht schnippischer herausfordern, den Blick in ihre Lebenskarten im
dritten Akt nicht mit düsteren Farben malen? Die Fragen stellen sich vor allem deshalb, weil ihr mit Vittorio Grigolo
ein Don José gegenüberstand, der in seinem Rollenverständnis immer dazu
bereit ist, die sängerische Komfortzone zugunsten bühnendramatischer
Emotionen zu verlassen. Grigolo hatte als Don José eine Geschichte zu
erzählen, er wühlte sich hinein in diese toxische Beziehung – bei
Carmen blieb im Vergleich zu viel an komfortabler Selbstsicherheit
spürbar, eine Abgrenzung, ein sich nicht Hineinziehenlassen wollen,
vielleicht auch gespeist aus dieser enormen stimmlichen Präsenz und
diesem „coolen“ Selbstbewusstsein einer modernen Frau, die ihre
Verletzlichkeit lieber kaschiert. Bei Grigolo wurden die Leidenschaften
spürbar, die in diesem Kerl lodern, die bereits im zweiten Akt
cholerisch-gefährlich hervorbrechen, wie eine Vorwegnahme des bitteren
Endes, um dann in der „Blumenarie“ von ihm musiktheatralisch geschickt
wieder „eingefangen“ zu werden. So wirkte er auch als Don José wie ein
unermüdlicher „Animator“, der unter Vernachlässigung stilistisch ausgefeilten Tenorgesangs jeder Aufführung viel Aufmerksamkeit und Energie abgewinnt. Elsa Dreisigs
Micaela ließ einen (matt-)silbernen, lyrischen Sopran hören. Dass die
Sängerin – zuletzt „Capriccio“-Gräfin in Salzburg – bereits die Salome
gesungen und die Donizetti-Königinnen im Repertoire hat, irritiert bei
einer Stimme, die mir an diesem Abend einen zu fragilen Eindruck
hinterließ. Die Arie im dritten Akt schien ihr auch schon fast eine
Spur zu „groß“, wurde in der Ausgewogenheit des Vortrags durch ein paar
zu druckvoll gesungene Höhen „gestört“, auch wenn sie das Gebet mit
einem träumerisch ausklingenden Pianoflehen beschloss. (Noch) eine
Stimme vor allem für Mozart beziehungsweise für kleinere Häuser? Aber
ihre steile Karriere widerspricht natürlich lebhaft solch vorsichtiger
Einschätzung. Erwin Schrotts
Escamillo bewährte sich wieder mit Bühnenpräsenz, benötigte aber einige
Zeit (und leider auch das Torerolied), um gesanglich auf den Abend
„einzuschwingen“. Der
Rest der Besetzung war großteils bekannt, der einsatzfreudige Chor
musste regiebedingt im vierten Akt wieder dummhüpfend seiner Begeisterung über die
an der Staatsoper nicht (!) einziehenden Stierkämpfer Ausdruck
verleihen. Am Stadttheater St. Pölten hat man das vor rund 40 Jahren –
allerdings mit viel weniger Personal – ähnlich „euphorisierend“
dargestellt. Pier Giorgio Morandi am Pult fand zwar zu keinem durchgehenden Spannungsbogen, aber die Gustostückerl wurden effektvoll präsentiert. Die seltsam sinnbefreite Pantomime eines nackten Mannes am Beginn des dritten Aktes bekam überraschender Weise Szenenapplaus (Ironie oder Unkenntnis eines vor allem mit Touristen durchsetzten Publikums)? Immerhin habe ich mich dazu verleiten lassen, die Runden zu zählen, die der nur mit Unterhose und Militärschuhen bekleidete, strafexerzierende Soldat am Beginn des ersten Aktes schweißgebadet über die Bühne trabt – wenn es stimmt, dann sind es zwölf, bevor er zusammenklappt. Mehr Anmerkungen zu dieser inzwischen sattsam bekannten „Milieustudie“ von Calixto Bieito erspare ich mir. Der einhellige Schlussapplaus lag bei sechs Minuten. Und was gibt es sonst Neues am Haus? Die zusätzliche Deckenstrahler-Beleuchtung bei den Balkon-Galerie-Aufgängen neben der Haupttreppe wurde über den Sommer erweitert. Die Terrasse war trotz lockerer Bodenplatten geöffnet: Früher wurde dann meist die Terrasse gesperrt, jetzt hat man die paar lockeren Platten mit Baustellenabsperrbändern umzäunt. Das ist eine sehr gute Lösung, denn bei den herrschenden Hochsommertemperaturen braucht man die Pausenerfrischung im Abendwind umso mehr. Die Videoeinrichtung für Zuspätkommende am Balkon, im Raum vor den früheren Rauchersalons installiert, gibt es offenbar schon seit Ende letzter Saison, „entdeckt“ habe ich sie aber erst heute. Nachtrag 7.9.24: Die
„Bitte-die-Handys-Ausschalten“-Ansage zu Vorstellungsbeginn wurde überarbeitet, die englische Variante wird jetzt von einer Frauenstimme gesprochen. |