CARMEN

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Staatsoper
15. September 2022

Dirigent: Yves Abel

Carmen - Elina Garanca
Don José -
Piotr Beczala
Escamillo - Roberto Tagliavini
Micaëla - Slávka Zámecníková
Frasquita -
Maria Nazarova
Mercédès -
Isabel Signoret
Zuniga - Ilja Kazakov
Moralès -
Stefan Astakhov
Remendado -
Carlos Osuna
Dancairo -
Michael Arivony
Lillas Pastia - Yta Moreno


„Fünfte und letzte Vorstellung der aktuellen Aufführungsserie "

(Dominik Troger)

Elina Garanca und Piotr Beczala veredelten fünf „Carmen“-Vorstellung an der Wiener Staatsoper. Garanca hat ihre erste Wiener Carmen im Jahr 2013 gesungen, der Staatsopern-Erstauftritt von Piotr Beczala als Don José datiert auf den Jänner 2018.

Vergleiche sind aber schwierig. Die Inszenierung hat sich fundamental verändert. Damals war noch die folkloristisch-cineastisch-üppige Produktion von Franco Zeffirelli in Amt und Würden, die inzwischen durch eine abstoßende „Milieustudie“ von Calixto Bieito ersetzt wurde. Aber war Elina Garanca nicht auch 2013 schon eine eher distanzierte Carmen? Als verruchte Bannerträgerin der „freien Liebe“ habe ich sie nicht in Erinnerung. Piotr Beczala gab 2018 einen „normalen“ Kerl, der aus Naivität und Liebessehnsucht in eine fatale Lage gerät.

Während sich durch die Neuinszenierung für Don José wenig verändert hat, hat sich für Carmen die Herausforderung vergrößert: Auf Bieitos nuttige „Carmen-Exegese“, in der er die Figur in demütigender Weise sexualisiert, muss man sich als Sängerin erst einmal einlassen. Persönliche Reifeprozesse und Entwicklungen gesellen sich hinzu. Elina Garanca hat in einem Interview gemeint, das in der aktuellen Ausgabe der Publikumszeitschrift der Wiener Staatsoper nachgelesen werden kann, sie würde sich von der Partie langsam „entfremden“. Und nach meinem Eindruck wirkte sie an diesem Abend nahezu die ganze Aufführung lang „entfremdet“, so als würde sie dieses wüste Bühnentreiben nicht allzu nahe an sich heranlassen wollen.

Für die emotionale Wirkung einer Rolle ist es natürlich nicht so gut, wenn man als Zuschauer den Eindruck hat, die Sängerin würde der Partie (oder der geforderten Rolleninterpretation) gefühlsmäßig distanziert gegenüber stehen. Da hilft es dann auch wenig, wenn Garancas Mezzo heute für die Rolle viel besser passt als damals: Mit mehr Tiefe und dunkleren Farben ausgestattet, mit der Fähigkeit zu vielen feinen Abstufungen, bis hin zum scharfzüngigen, Don José kühl an den Kopf geworfenen Spott, ist alles dabei, was das Herz begehrt.

Piotr Beczala hat es als Don José in dieser Produktion leichter. Der naive, jähzornige Kerl passt nach wie vor – und eine „psychopathologische Fallstudie“ wird man von dem Sänger erfahrungsgemäß auch gar nicht erwartet haben. Beczalas Tenor ist in den fünf Jahren schwerer geworden, mit edlem, bronzenem Timbre. Er nimmt ihn in der Blumenarie gemäß der Vortragsbezeichnung zum feinem Pianissimo zurück („et j’étais une chose à toi“) oder sorgt mit ihm für kraftvolle, gut kalkulierte, die Stimme nicht überbeanspruchende Gefühlsausbrüche. Ein existentieller Ringkampf der Geschlechter, auf den Bieto im Finale hinarbeitet, fand aber nicht statt.

Mit schöner, weich abgefederter, auch in der Höhe gut ansprechender Stimme sang Roberto Tagliavini den Escamillo – im Gesamteindruck allerdings zu wenig „stierkämpferisch“. Maria Nazarova (Frasquita) und Isabel Signoret (Mercédès) haben sich großartig und ohne Rücksicht auf Verluste in die von Bieito entworfene brutale Schmugglerwelt geschmissen. Man konnte an ihnen ablesen, was auch von Carmen gefordert gewesen wäre.

Für den leichten, klaren Sopran von Slávka Zámecníková als Micaëla war – nach einem frischen, lyrischen ersten Akt – die Arie im dritten Akt bereits eine Spur zu herausfordernd (störendes Vibrato, zu viel Krafteinsatz). Ilja Kazakov war ein soldatisch zupackender Zuniga, auch Stefan Astakhov (Moralès) ließ nichts anbrennen. Carlos Osuna (Remendado), Michael Arivony (Dancaïre), Yta Moreno (Lillas Pastia) und Lena Dobija in der Rolle des von Beieto dazu erfundenen Mädchens sowie ein sang- und im vierten Akt auch hüpffreudiger Staatsopernchor samt Kindern der Opernschule rundeten das Ensemble ab.

Das Orchester unter Yves Abel legte gleich mit einer flotten Ouvertüre los. Abel betonte mehr die veristische Ebene, gut zur Inszenierung passend, die wirklich keinen Anlass für „Folklore“ bietet. Ruhigere, mehr stimmungsvollere Passagen entfalteten hingegen weniger Reiz, wie zum Beispiel das Vorspiel zum dritten Akt. Der starke Schlussapplaus dürfte unter zehn Minuten geblieben sein. (Ich habe den ausklingenden Beifall nicht mehr ganz abgewartet.)

Die Erstfassung der Besprechung ist auf der Website des Onlinemerker erschienen.