CARMEN

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Staatsoper
21. Februar 2021

Dirigent: Andrés Orozco-Estrada

Inszenierung: Calixto Bieito
Szenische Einstudierung: Calixto Bieito, Joan Anton Rechi
Bühne: Alfons Flores
Kostüme: Mercè Paloma
Licht: Alberto Rodríguez Vega

Carmen - Anita Rachvelishvili
Don José - Piotr Beczala
Escamillo - Erwin Schrott
Micaëla - Vera-Lotte Boecker
Frasquita - Slávka Zámečníková
Mercédès - Szilvia Vörös
Zuniga - Peter Kellner
Moralès - Martin Häßler
Remendado - Carlos Osuna
Dancairo - Michael Arivony
Lillas Pastia - Yta Moreno


„Szenische Restlverwertung"

(Dominik Troger)

Die neue Staatsoperndirektion hat sich in ihrer ersten Spielzeit einen „echten“ Bieto nach Wien geholt. Geopfert wurde dafür die cineastische „Carmen“-Inszenierung von Franco Zeffirelli aus dem Jahr 1978. 

Calixto Bietos „Carmen“-Inszenierung stammt aus dem Jahr 1999 und hat inzwischen zumindest die „halbe Opernwelt“ durchreist: Barcelona, Madrid, San Francisco, Boston, Paris, London, Basel, Oslo, Venedig, Palermo, Mallorca, Antwerpen  (keine Vollständigkeit der Auflistung angestrebt). Sie jetzt auch nach Wien zu holen ist – mit Verlaub – eigentlich überflüssig. Aber die Direktion konnte damit ein „kulturpolitisches Statement“ abgeben, noch dazu ganz ohne Risiko.

Denn für Bieto geht es in „Carmen“ – wie man einem Interview der Tageszeitung KURIER (21. Februar 2021) entnehmen konnte – „letztlich (…) auch nur um einen simplen Mord aus Eifersucht.“  Die Einschränkung „letztlich“ ist praktisch, sie lässt dem Regisseur Spielraum für ein paar  szenische „Aberrationen“ (wie die „Sonnenanbeterin“ im vierten Akt), an denen man vielleicht eine „verfremdende Ironie“ erkennen soll, aber im Wesentlichen lässt Bieto die Handlung auf diesen„simplen Mord aus Eifersucht“ zulaufen.

Im Vergleich mit der Vorgängerproduktion muss sich das Publikum aber mit einer kargen Szene begnügen. Bieto hat die Story in die spanische Franco-Ära mit übergriffigen und eifrig Alkohol konsumierenden Soldaten und Schmugglern verlegt.  Ein paar  Mercedes-Limousinen ersetzen die Zeffirelli'sche Opulenz – und es gibt die heutzutage auf Opernbühnen übliche Banalisierung und Sexualisierung des Sujets. Das Finale wird bei Bieto zu einem „Kampf der Geschlechter“, der in einer nur mit Kreidestrichen am Boden angedeuteten Arena stattfindet. Düsternis hat von allem Besitz ergriffen. Der Mord wird mit blutrünstiger Kühle inszeniert, es fehlt an menschlicher Anteilnahme – eine Vivisektion existentieller Emotionalität.

Bei Zeffirelli war die Szene immer klar verortet. Im Finale befand sich beispielsweise ein Teil der Arena im Hintergrund. Südliche Wärme durchstrahlte dieses Bild, der sandbraune Platz vor der Arena war durchglüht von der Mittagssonne, während sich in den dunkelblauen Himmel schon ein schwarzer Dämmerungsschatten mischte. Diese Kulisse war noch mit einem künstlerischen Auge geschaut und verschmolz im  betonten Blickwinkel  architektonische  Erhabenheit mit der in die Weite schweifenden Melancholie eines großen, nahezu menschenleeres Platzes. Diese Kulisse umstrahlte Carmen und Don José wie ein Aura, sie erzählte von ihrem Leben, sie entfremdete sie nicht von sich selbst. Zeffirelli hat „Oper“ des 19. Jahrhunderts  inszeniert, mit üppiger Statisterie und Kostümen, so als hätte er Sevilla nach Wien bringen wollen.

Mag sein, dass er die Ausdeutung der Bühnencharaktere mehr den Ausführenden überlassen hat – jedenfalls hat er Micaela nicht so verzeichnet wie Bieto, hat er die Figuren nicht zum Spielball eigener existentieller Ängste und Erfahrungen gemacht.  Denn die Charaktere sind ohnehin im Libretto angelegt. Um bei Micaela zu bleiben: Als Gegenpol zu Carmen ist ihr Charakter ist ganz klar umrissen – eine naive, gottesfürchtige junge Frau, die in Don José verliebt ist und ihm einen mütterlichen (!) Kuss gibt. Niemals würde sie Don José so gierig befummeln wie es sich Bieto ausgedacht hat.

Und Carmen selbst? Entzaubert und ins 20. Jahrhundert geworfen lockt sie Don José mit einem erotisch wenig inspirierten Tänzchen, während sich dieser auf der hinteren Sitzreihe des Mercedes an Hochprozentigem labt. Das ist keine Carmen der Klischees anhaften, aber es ist auch keine Carmen, die ein besonders Flair umgibt. Eine solche „entmythisierte“ in ihrem Wesen „verflachte“ Carmen ist vielleicht „ehrlicher“, aber ist sie für die Bühne interessanter? Wenn das Publikum im Theater dieselben Typen trifft wie auf der Straße vor dem Theater, warum soll  es dann um teures Geld noch ins Theater gehen? Der saftige Mezzo von Anita Rachvelishvili gab dieser Carmen ein opulentes musikalisches Erscheinungsbild, das sich inszenierungsbedingt weniger um raffiierte erotische Schattierungen bekümmerte, sondern mehr mit kräftigen Pinselstrichen malte. Ihr Hausdebüt als Amneris im Jahr 2018 hat sich mir stärker eingeprägt.

Und Don José? Pjotr Beczala ist als Don José für den erkankten Charles Castronovo eingesprungen. Beczala hat die Partie bereits 2018 an der Wiener Staatsoper gesungen und damals die Zeffirelli-Optik mit den üblichen,  austauschbaren Operngesten gefüllt.  Er hat in der Darstellung der Figur von der Probenarbeit sichtlich profitiert. Sein inzwischen schon recht „bronzen“ gefärbter Tenor gab die Partie mit muskulöser Eleganz und einer traurig-sinnlichen Empfindung, die von Anfang an klar machte, dass das kein gutes Ende nehmen wird.

Mit einer gehörigen Portion an Selbstbewusstein ausgestattet manövrierte Erwin Schrott seinen Bassbariton als Escamillio durch den Abend. Bereits im Jahr 2018 bei seinem Wiener Rollendebüt hat er in dieser Partie mit starker Bühnenpräsenz überzeugt – auch wenn man bei ihm gesanglich nicht immer alles auf die Goldwaage legen darf. Vera-Lotte Boecker, als Micaela eingesprungen, steuerte einen etwas spröden Sopran bei, der mit zu harten Lyrismen seine  Liebe beschwörte. Szilvia Vörös und Slávka Zámečníková als Carmens Gefährtinnen mussten sich in dieser Inszenierung als „verdorbene“ Charaktere präsentieren, wie auch die übrigen „Clanmitglieder“. Der Chor darf an der Rampe den Stierkämpfern zujubeln – und hilft damit Statisten sparen.

Das Orchester unter Andrés Orozco-Estrada schwelgte nicht gerade in mediterraner Üppigkeit, sach- und selbstbezogen, manchmal fast ein wenig spröd anmutend, passte es besser zur Inszenierung, als dass es die Singenden beflügelt hätte.

Fazit: Diese „Carmen" ist kein Glanzstück, sondern eine szenische Restlverwertung. Als Stream war es erträglich, wie das alles im Haus wirkt, wird man sehen.