CARMEN

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Staatsoper
9. September 2018

Dirigent: Frédéric Chaslin

Carmen - Clémentine Margaine
Micaela -
Anita Hartig
Frasquita -
Ileana Tonca
Mercedes -
Margaret Plummer
Don José -
Marcelo Álvarez
Escamillo -
Erwin Schrott
Zuniga -
Sorin Coliban
Morales - Orhan Yildiz
Dancairo - Manuel Walser
Remendado - Carlos Osuna
Lillas Pastia -
Hacik Bayvertian


„163.* Carmen in der Zeffirelli-Inszenierung"

(Dominik Troger)

Die Wiener Staatsoper ist mit Georges Bizets „Carmen“ in die neue Saison gestartet. Die erste Aufführung am Donnerstag wurde von einem Haus- und vielen Rollenporträts „herausgeputzt“. Nachstehende Zeilen berichten von der zweiten Vorstellung der laufenden Aufführungsserie am Sonntag.

Die französische Mezzosopranistin Clémentine Margaine ist derzeit international eine gefragte Interpretin der Titelpartie. Sie hat die Carmen u. a. schon in Berlin, Sydney, New York, Dresden und Paris verkörpert; jetzt folgte die Wiener Staatsoper. Die Sängerin ist um einige Jahre jünger als die Staatsopernproduktion, für die einst Franco Zeffirelli Regie und Bühne konzipiert hat.

In Zeffirellis cineastisch-historisierendem Ambiente gab sich Margaines Carmen streitbar, setzte die Figur aber weder als Femme fatale noch als Pin-Up-Girl für eine Zigarettenreklame „in Szene”. Das Endergebnis machte aus Carmen eine etwas bodenständige Figur, mit zu wenig erotischer Ausstrahlung, um auf den Flügeln der Liebe davonzuflattern oder und um Männer mit spritziger „Amoralität“ zu umgarnen. Vielleicht wollte Margaine Carmen von Klischees befreien, ihr in ihrer Emotionalität „ehrlich“ gegenübertreten – aber das etwas unbeholfene Tänzchen („Je vais danser en votre honneur“) im zweiten Akt hat jedenfalls nicht für Carmen gesprochen (auch nicht der Versuch, Don José zu einem Quickie auf dem Tavernentisch zu animieren).

Im dritten Akt, angesichts des Kartenurteils, fand Margaine zu einer Melancholie, die an die unglücklichen Frauengestalten Tschaikowski'scher Prägung erinnerte – eine in Anbetracht der wenig mitreißenden ersten beiden Akte wichtige Vertiefung des Bühnencharakters. Damit war der Weg zu einem doch noch überzeugenden Finale geebnet, in dem sich Carmens fatale Unschlüssigkeit offenbarte: Wird sie doch wider besseren Wissens ein Opfers ihres Stolzes und ihrer Todessehnsucht. Margaines Stimme hat ihre Qualitäten, flacht in der Tiefe zwar etwas ab, zeigte sich insgesamt aber gut durchgebildet und von gesunder Kraft. Trotzdem hat ihr Gesang nach meinem Eindruck kaum ein erotisierendes i-Tüpfelchen der Partie hinzugefügt: Ihr Mezzo tönte nicht so saftig wie man es erwartet hätte und sein rotbraunes Timbre verlieh ihm eine leicht herbe, herbstliche Note.

Der Don José von Marcelo Álvarez (Rollendebüt in dieser Aufführungsserie) passte offenbar in das Beuteschema von Margaines Carmen: ein introvertiert wirkender Kerl, der sich an ihr wie ein Ertrinkender an einem Rettungsboot festkrallt. Nach der Blumenarie bettete er demutsvoll das Haupt auf Carmens Schenkeln und vor dem letzten Rendezvous hat sich Don José offensichtlich noch Mut angetrunken, weil er öfters torkelte. Álvarez legte die „Blumenarie“ nicht sehr „heroisch“ an, ein bisschen schwerfällig in der lyrischen Ausgestaltung lenkte er die Arie zu einem zarten, leisen Abschluss hin, der fast so etwas wie einen erstickenden Aufschrei beschrieb. Aber Carmen hatte für dieses „Rette mich!“ nur die bereits angesprochene Antwort auf dem Tavernentisch parat. Álvarez Tenor klang in den ersten beiden Akten etwas angestrengt und nicht wirklich frisch, das Finale gelang unter einigem Krafteinsatz recht effektvoll. Den etwas sehnigen Stimmkern barg kaum ein heller Schmelz, erst in seine Fortetöne mischte sich tenoraler Glanz.

Erwin Schrott (ebenfalls Rollendebüt am Haus) passte vorzüglich in das Stierkämpfergewand, ganz so, als hätte er schon manche Arena erobert: Was für ein fescher Matador! Die Selbstverliebtheit dieses Escamillo funkelte mit den Goldfäden seines Kostüms um die Wette und verpasste ihm die Arroganz eines Supermans, der es sich sogar leisten kann, vor dem Zweikampf mit Don José demonstrativ das Messer wegzuwerfen. Schrott weiß, wie er darstellerisch und stimmlich Effekt macht und das Publikum mitnimmt, die „lupenreine“ gesangliche Umsetzung rückt dann meist ein wenig in den Hintergrund.

Anita Hartig heimste mit ihrer schön durchgestalteten Arie im dritten Akt den stärksten Szenenapplaus ein. Hartig formte die Figur in Gesang und Spiel zu einem naiv-unschuldigen und seelenvollen Geschöpf, dem das Publikum sein Mitgefühl nicht versagen konnte. Ihr heller, schon recht fest gewordener lyrischer Sopran war nach meinem Dafürhalten für die Partie eine Spur zu dramatisch und bedurfte in der Höhe vorsichtiger Handhabung, aber die Sängerin hatte das gut im Griff.

Sorin Coliban (Rollendebüt am Haus in dieser Aufführungsserie) war als Zuniga ein unübersehbarer, grimmiger Bühnenkerl: ein Offizier von der Sorte, die man nicht unbedingt als Vorgesetzten haben möchte. Ileana Tonca hat in der zweiten Aufführung die Frasquita von Hila Fahima übernommen und zusammen mit Margaret Plummer (Mercédès) Carmens „Hofstaat” beigestellt. Zusammen mit dem Chor und den übrigen Solisten ergab das einen jener Repertoireabende, die das verlässliche, aber nicht wirklich spektakuläre Grundgerüst jeder Staatsopernsaison ausmachen. Das Orchester unter Frederic Chaslin klang oft (zu) laut und wenig feinsinnig, stark auf Effekt getrimmt. Fazit: Knapp sechs Minuten langer Schlussapplaus.

* Vorstellungsanzahl laut Programmzettel