CARMEN

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Kammeroper
2. März 2016
Premiere

Musikalische Neufassung: Tscho Theissig

Kontrabass: Georg Breinschmid
Violine: Sebastian Gürtler
Akkordeon: Tommaso Huber

Inszenierung: Andreas Zimmermann
Ausstattung: Patricia Walczak
Bewegungsregie: Félix Duméril
Licht: Franz Tscheck

Carmen - Natalia Kawalek
Micaela - Viktorija Bakan
Don José - Thomas David Birch
Escamillo - Tobias Greenhalgh
Zuniga - Félix Duméril


„Carmen-Arrangement“

(Dominik Troger)

An der Kammeroper hat man den vielen Variationen über Georges Bizets „Carmen“ eine weitere hinzugefügt. Von Kontrabass, Violine und Akkordeon begleitet dreht sich alles um die Liebe zwischen Carmen, Don José, Micaela und Escamillo.

Diese Neufassung, die natürlich ganz ohne Chöre und Nebenrollen auskommt, hat inklusive Pause eine Spieldauer von rund zwei Stunden. Sie wurde von Tscho Theissig musikalisch eingerichtet. Bizets Gassenhauer wurden von ihm mit wohl dosierter zentraleuropäischer Folkloristik und einer Prise Jazz abgemischt. Die drei Instrumentalisten sorgten ihrerseits für ein lockeres, spontanes Musizieren. Wenn die Violine der feschen Carmen „nachpfeift“, dann sind die Lacher aus dem Publikum „aufgelegt“. Diese „Carmen“-Musik ließe sich auch in Fußgängerpassagen aufführen: ein Potpourri, ein „Best of Bizet“ bei dem so manche Münze den Weg in den aufgestellten Hut finden sollte. Die „Verschlankung“ der Handlung war prinzipiell gut gelöst und ging szenisch und musikalisch ohne gröbere Brüche über die Bühne der Kammeroper.

Die Figurenkonstellation hat sich allerdings etwas verschoben – beispielsweise zettelte Carmen im ersten Akt mangels weiterer Mitwirkender gleich mit Micaela einen handfesten Streit an, um einen Grund für ihre Verhaftung zu liefern. Zuniga wurde vom Choreographen Félix Duméril gespielt, der auch die Bewegungsregie entworfen hat: Eine Bewegungsregie von der Zuniga im zweiten Akt nur so durchgeprügelt wurde. (Er versucht Carmen zu vergewaltigen, dann wird er von Escamillo „zerlegt“ und später von Don José gemeuchelt.) Das war Slapstick pur und Duméril wird nach jeder Vorstellung anhand der wenigen oder vielen blauen Flecken abzählen können, wie perfekt ihm seine Körperbeherrschung am jeweiligen Abend gelungen ist.

Diese Slapstick-Sache war amüsant, aber zugleich von großem Nachteil: Sie machte aus Bizets Oper mehr einen Comic, und verordnete Carmen einer Pose voller Männerphantasien. Schon am Beginn turnte Natalia Kawalek katzengleich an, in und auf einem hinter den Vordersitzen abgeschnittenen Autowrack. Das rote Kleid, die laszive Beweglichkeit, ihre Don José-Anmache und der üppige Zigarettenkonsum überzeichneten die Figur. Natürlich sorgt so eine Carmen für Energie und Trieb-Beschleunigung. Aber wenn es schon im ersten Akt zwischen Carmen und Don José zu einem innigeren Liebesspiel kommt, dann wird die psychologische Entwicklung im Rahmen der Handlung stark reduziert und Carmen einmal mehr auf das Podest einer mythischen Femme fatale gehoben. Grell geriet das Finale mit einem in Carmens Eingeweiden blutig wühlenden Don José, der nach dem Mord noch genug Muße gefunden hatte, die tote Carmen mit einem weißen Hochzeitskleid zu bedecken. An dieser Stelle wurde „Carmen“ zum Splattermovie degradiert.

Gespielt wurde in einem „No-Future-Ambiete“: Stadtrand mit Schrottplatz, Vergnügungspark im Hintergrund, in dem sich ein kleines Strichzeichnungsriesenrad ohne Gondeln (manchmal) drehte. Aber dieser in die Kulisse gelegte kritische Anspruch wurde nicht eingelöst und das Spiel mit fast parodistischen Effekten (in Bezug auf die Oper) stand einer eigentlich doch ernst gemeinten Figurenaufstellung zu stark im Wege. Derart blieb vor allem die Fatalität dieser Liebesgeschichte auf der Strecke, und es war letztlich nicht zu erkennen, worin der Mehrwert dieser Fassung bestehen könnte – außer in ihrer Slapstick-Splatter-Ironie.

Aus dem Ensemble stach Natalia Kawalek heraus. Ihr frischer, flexibler Mezzo machte wie ihr großer Körpereinsatz gute Figur; die Stimme im Bouquet ein leichter Rotwein, mehr spritzig als „erotisch“ ausladend. Insofern passte sie auch gut zum musikalischen Arrangement. Viktorija Bakan sang die, von der Regie in etwas verschreckt moralisierende Zurückhaltung gedrängte Micaela, mit der gebotenen Innigkeit. Die Stimme neigte zu einem leichten Flackern, was man als emotionale Unruhe Micaelas deuten könnte, die ihre lyrisch-naiven Gefühle unterminiert – und zugleich als eine gewisse stimmliche Reife, die schon mehr von Leben weiß als diese Micaela.

Tobias Greenhalgh gab einen jugendlich unbekümmerten Escamillo, der agil um Carmen warb und mit Nebenbuhlern fightete. Mit seinem froschgrünen Samtanzug wäre er auch in den 1970er-Jahren aufgefallen. Nur Don José (Thomas David Birch), den die Inszenierung offenbar als etwas introvertiert wirkenden, potenziellen Gewaltverbrecher aufbaute, machte gesanglich auf mich einen weniger ausgewogenen Eindruck.

Ein Teil des Publikums feierte beim Schlussvorhang das Ensemble und das Regie-Team mit Bravorufen. Ich persönlich zähle mich zwar nicht zur Zielgruppe dieser „Carmen“-Adaptierung, aber der Zeitgeschmack scheint mir insgesamt doch ganz gut getroffen.