PUNCH AND JUDY
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Neue Oper Wien in der
Kammeroper
22. Mai 2014
Premiere

Musikalische Leitung: Walter Kobéra

Inszenierung: Leonard Prinsloo
Ausstattung: Monika Biegler
Licht: Norbert Chmel
Video: Bernd Preiml

Amadeus Ensemble Wien

Punch - Richard Rittelmann
Judy / Fortune Teller - Manuela Leonhartsberger
Choregos / Jack Ketch - Till von Orlowsky
Pretty Polly / Witch - Jennifer Yoon
Lawyer - Lorin Wey
Doctor - Johannes Schwendinger

Tänzerin - Evamaria Mayer



„Punch haut drauf
(Dominik Troger)

Harrison Birtwistles verkomponierter englischer Kasperl treibt den Anarchismus der Puppentheaterfigur auf die Spitze und träumt doch von der großen Liebe. In seiner 1968 uraufgeführten Oper „Punch and Judy“ mischen sich Tragödie und Komödie zu einem grellen, aufmüpfigen Durcheinander, das in der künstlerischen Detailarbeit aber über die grobschlächtige Puppenbühnenpraxis weit hinausreicht.

Birtwistle und sein Librettist Stephen Pruslin haben sich grob an den szenischen Vorgaben und am „Figurenkatalog“ des überlieferten Puppentheaters orientiert, aber der „Punch“ der 1960er-Jahre ist aggressiver, ein Massenmörder und Sadist, der gleich einmal das „Baby“ verfeuert und Judy absticht. Aber auch dieser neue Punch schafft es wie sein „volkstümlicher“ Jahrmarktskollege dem Henker am Galgen „einen Strick zu drehen“ – und aus dem Galgen wird bald danach der Maibaum, unter dem Punch mit seiner verehrten Pretty Polly als glückliches Paar besungen wird.

Punch benötigt rund eindreiviertel Stunden, bevor er bei Pretty Polly landet. Seine gewalttätige „Reise“ zwischen „Himmel und Hölle“ gebärdet sich formal weit weniger anarchisch, als aus der Handlung auf den ersten Blick geschlossen werden könnte. Es gibt eine klare Szenenstruktur mit Prolog und Epilog, die einen rituellen Rahmen konstruiert, in dem Punch eine groteske „Initiation“ erfährt. Außerdem wurde mit der Figur des Choregos der herkömmliche Erzähler und Geldabsammler des Puppentheaters „transformiert“ und „Punch and Judy“ durch diese Figur an das antike Theater angekoppelt. Auf diese Weise tritt der von ganz „unten“ kommende Volksbelustiger Punch plötzlich in den Kontext der abendländischen Theatergeschichte, als egozentrischer „Beschwörer“ aller denkbaren menschlichen Abgründe, in denen sich der Selbstbehauptungstrieb der menschlichen Natur von keinen Moralansprüchen gefiltert ungehemmt austoben darf.

Dieses Toben der Handlung, die satirische Übertreibung, die Schärfe des Aufbegehrens hat das Publikum bei der skandalumwitterten Uraufführung in Aldebourgh gewiss stärker empfunden, als über vierzig Jahre später in der Wiener Kammeroper. Was an „Punch and Judy“ heutzutage vor allem fasziniert, ist möglicherweise die Musik: Birtwistles Vorliebe für musikhistorische Querverweise, für Glissando-Effekte und für eine klangliche Vielfalt, die zum Beispiel das reichlich bestückte „Schlagwerk“ beisteuert. Birtwistle ist mit den Möglichkeiten seines Orchesters subtil umgegangen und lässt es nur punktuell grobklotzig „auftrumpfen“. Er sorgte zudem für strukturell nachvollziehbare Anknüpfungspunkte die es dem Publikum erleichtern, sich im turbulenten Geschehen zurecht zu finden, wie beispielsweise Punchs „Schlachtruf“, der als eine Art Leitmotiv für diesen brutalen „Kasperl“ dienen könnte. Auffallend ist die prägnante Handhabung von Singstimmen – etwa in der Partie der Pretty Polly, mit ihren kurzen, an die Schmerzgrenze getriebenen, effektvollen „Arien“, in denen Birtwistle das klassische Repertoire für Koloratursopran schonungslos komprimiert und verdichtet hat.

Möglicherweise ist in der Vergangenheit der musikalische Aspekt und seine Vielschichtigkeit durch die Radikalität der Szene zu stark in den Hintergrund gedrängt und einfach nur als „grell“ empfunden worden. Hier kommt der musikalischen Leitung unter Walter Kobera große Bedeutung zu, dem es trotz der beengten Verhältnisse in der Kammeroper gelungen ist, die komplexe Vielfalt der Partitur „aufzudröseln“ und auch in ihren „Romantizismen“ durchhörbar zu machen. Dadurch wurde deutlich, wie Birtwistles Komposition das deftige Bühnengeschehen bei aller ironischen Brechung und grotesken Zuspitzung artifiziell überhöht, wie er sogar „poetische“ Momente findet, um Punch letztlich nicht nur als „komödiantisches Monstrum“, sondern zugleich auch als „menschliche Tragödie“ zu installieren – ganz im Sinne der etwas eigenwilligen Bezeichnung die Birtwistle seinem „Opus“ gegeben hat: „A Tragical Comedy or a Comical Tragedy“. Als musikhistorische Anknüpfungspunkte für Birtwistles „Punch and Judy“ wird etwa Strawinskis „Geschichte vom Soldaten“ genannt – aber ob sich in der Ahnengalerie des Punch nicht auch ein märchenzeitsüchtiger Pierrot befinden könnte, wäre überlegenswert. (Birtwistle hat ein kleines Bläserensemble als Bühnenorchester vorgesehen, das wurde offenbar wegen der knappen Platzverhältnisse unterlassen.)

Die Inszenierung von Leonard Prinsloo (Ausstattung: Monika Biegler) setzt auf temporeiches und perfekt choreographiertes Bewegungstheater, um die „Beweglichkeit“ der Puppentheaterfiguren auf die Darsteller zu übertragen. Punch mit abstehendem Haarschopf erscheint als „Punker“ – und das große „P“ auf seinem Shirt steht wohl für Punch & Punk. Die Handlung spielt in einem Heizraum oder Kanalsystem, ein großes Rohr droht im Hintergrund, daneben an der Wand Metallleitern und Beleuchtungskörper wie sie zum Beispiel in Kellern verwendet werden. Ein fahrbarer Metalltisch, der aus einer Prosektur stammen könnte, ergänzt das Bühnenambiente. Auf diesem Tisch wird gemordet, gefoltert, gelegen und gestanden. Das Horrorflair wird durch ein paar Schwarz-Weiß-Bildschirme vermehrt, die in der Umfassung des Bühnenraumes angebracht, große Ausschnitte von Gesichtern zeigen, drohend tastende Hände oder einfach nur vor sich hinflimmern. Vielleicht sollte das Publikum ein wenig an Horrorfilme aus der Stummfilmzeit erinnert werden, um es mit einer deftigen Portion aus Grauen und Satire zu „attackieren“. Pretty Polly war als Mischung aus Barbie und Miss Piggy kostümiert, absolvierte zuerst automatenhafte Auftritte, die ein wenig an die Offenbach’sche Olympia erinnerten. Das Resultat war eine ausgezeichnete, fast schon musicalartige Bühnenshow – die sich aber vielleicht doch ein bisschen zu konventionell an gängigen „Horrorklischees“ orientierte. Unbestrittener Vorteil von Prinsloos eher pragmatisch orientiertem Zugang: Es wurde vermieden, dass die Story zu stark ins Surreale abdriftet.

Das Ensemble bot durchgehend eine darstellerisch mitreißende und gesanglich überzeugende Tour de force. Till von Orlowsky als Choregos entwickelte durch seine kräftig dröhnende Stimme starke Präsenz, wobei er phasenweise sogar den umtriebigen Punch von Richard Rittelmann übertrumpfte. Orlowsky spielte und sang auch einen ehrfurchteinflößender Henker. Rittelmann gab dem Punch das Profil eines unverwüstlichen, selbstverliebten, bissigen „Stehaufmännchens“ und sang mit locker geführtem, flexiblem Bariton. Jennifer Yoon folgte der Pretty Polly virtuos in schrille Sopranhöhen. Manuela Leonhartsberger sorgte mit ihrem Mezzo für eine überzeugend überdrehte Judy und Wahrsagerin. Lorin Wey als Lawer und Johannes Schwendinger als Doktor komplettierten das furios-obskure Bühnengeschehen. Evamaria Mayer fungierte als Tänzerin (Birtwistle hat eigentlich drei „Mime Dancers“ vorgesehen, hier musste die Produktion etwas abspecken). Das Publikum in der nahezu vollbesetzten Kammeroper spendete reichlich Beifall.

Fazit: Eine rundum gelungene Aufführung, gerade recht für den 80. Geburtstag des Komponisten – aber das Sujet ist natürlich schon etwas eigen und mehr für Liebhaber absurden schwarzen Humors gedacht.