A QUIET PLACE
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Neue Oper Wien in der Kammeroper
29. März 2018

Musikalische Leitung: Walter Kobéra
Regie: Philipp M. Krenn
Bühne & Kostüme: Christian Tabakoff
Lichtdesign: Norbert Chmel
Einstudierung Vokalensemble: Antanina Kalechytis

amadeus ensemble-wien

Sam - Steven Scheschareg
Dede - Katrin Targo
Junior - Daniel Foki
Francois - Nathan Haller
Susie - Rebecca Blanz
Bill - Georg Klimbacher
Funeral Director - Markus Miesenberger
Doc - Johannes Schwendinger
Mrs. Doc - Veronika Dünser
Analyst - Savva Tikhonov

Vokalquartett:
Maria Ladurner, Johann Zachhuber,
Bernd Hemdinger, Matthias Lieber


Eine schwierige Familie
(Dominik Troger)

Die Neue Oper Wien ist in der Wiener Kammeroper zu Gast und spielt anlässlich des 100. Geburtstages von Leonard Bernstein seine Oper „A Quiet Place“. Premiere war am 22. März – nachstehend die Eindrücke von der vierten Aufführung am Gründonnerstag.

Es muss am Gründonnerstag nicht immer „Parsifal“ sein. Die Neue Oper Wien hat mit „A Quiet Place“ eine ebenfalls von Leidererfahrungen berichtende Oper auf den Spielplan gesetzt. „A Quiet Place“ erzählt von den Problemen einer auf den ersten Blick „ganz normalen“ amerikanischen Mittelstands-Familie. Die Mutter ist bei einem Autounfall ums Leben gekommen, ihre Familie und ihre Freunde versammeln sich zur Beerdigung. Der psychotische Anfall des Sohnes wirbelt die Trauergesellschaft durcheinander. Fragen tauchen auf.

Ist der Autounfall wirklich ein Unfall gewesen und kein „getarnter“ Selbstmord? Könnte die Mutter vor den Abgründen der Familie (Inzest? Gewaltausbrüche? Kindesmissbrauch?) zum „ruhigen Ort“ des Grabes geflohen sein? Die Faktenlage bleibt etwas dünn, weil der „Hauptankläger“, Junior, an einer psychischen Erkrankung leidet, und die Grenze zwischen Wahnvorstellung und Wirklichkeit nicht so klar auszumachen ist. Aber anders als zur Entstehungszeit des Werkes (Uraufführung der Erstfassung 1983) ist man heutzutage darauf „konditioniert“, zwischen den Zeilen mögliche traumatische Erlebnisse herauszulesen. Die Inszenierung der Neuen Oper Wien von Philipp M. Krenn konkretisiert die genannten Verdachtsmomente und lässt kaum Zweifel daran aufkommen, dass diese Familie in ihren Grundfesten erschüttert worden ist.

Leonard Bernstein wollte immer eine „amerikanische Oper“ schreiben und hat sich mit „A Quiet Place“ (als Fortführung von seinem Einakter „Trouble in Tahiti“ konzipiert) redlich abgemüht. Die erste Fassung wurde 1983 uraufgeführt, dann folgten Umarbeiten. 1986 wurde das Werk auch an der Wiener Staatsoper gespielt und brachte es auf sieben Vorstellungen. Die in der Kammeroper gezeigte Fassung wurde 2013 zum ersten Mal gespielt. Garth Edwin Sunderland hat das Werk einer gründlichen Revision unterzogen und eine „Mischfassung“ der Uraufführungsversion und der danach von Bernstein vorgenommenen Umarbeitungen hergestellt. Das üppige Orchester wurde auf die Anforderungen eines Kammerorchesters zurechtgestutzt. Die neue Fassung ist zwar genauso dreiaktig, in der Spielzeit aber deutlich kürzer, als die erwähnte Staatsopernproduktion, und dauert knapp eindreiviertel Stunden. Möglicherweise hat „A Quiet Place“ damit endlich eine für den Bühnenbetrieb praktikablere und für das Publikum akzeptierbarere Form gefunden.

Leonard Bernsteins Musik schafft zuerst wenig Ruhepunkte und ist mehr eine unter schnellen Atemstößen im Konversationsstil hervorgebrachte „Zustandsbeschreibung“ dieser schwer neurotisierten Familie. Seine musikalische Sprache reicht von der Avantgarde über Jazz bis zum Musical, ist kleinteilig, nach und nach durchsetzt von einigen „ariosen“ Passagen, einen besonderen Stellenwert hat das Zwischenspiel vom zweiten zum dritten Akt. Dem Publikum wird der Einstieg außerdem nicht leicht gemacht. Wenn am Beginn des ersten Aktes die Trauergäste eintreffen, braucht es (zu) lange, bis sich Konturen herausschälen und bis der Faden der Geschichte greifbar wird. Der psychotische Anfall Juniors im ersten Akt scheint zuerst kaum verständlich – er gleicht einem ganz plötzlich aufgezogenen Unwetter.

Die Inszenierung von Philipp M. Krenn lässt die Oper in einem Einheitsbühnenbild spielen, das Wohnzimmer eines typischen amerikanischen Mittelklassehauses. Dass die Regie aus dem Sarg der Mutter eine Urne gemacht hat, ist zwar nur ein Detail, aber ein Detail, das nicht zum gesungenen Text passt. Wenn Junior im Finale mit einer Pistole herumfuchtelt, wird der mögliche versöhnliche Aspekt des Werkes mehr unter den Teppich gekehrt, als hervorgehoben. Dem packenden Zugriff der Regie auf das Werk ist dieses Finale aber äußerst dienlich. Krenn hat der unruhigen Musik Bernsteins eine von bedrohlichen Emotionen beunruhigte Szene hinzugesellt, die stark unter die Haut geht.

Man mag nun mit der Interpretation des Regisseurs in Details übereinstimmen oder nicht, gearbeitet war die gesamte Produktion vorzüglich. Walter Kobéra sorgte mit dem Amadeus Ensemble Wien für eine prägnante musikalische Begleitung, die überzeugend den Weg vom Parlandogesprudel des ersten Aktes bis zu den besinnlicheren Selbstfindungsmomenten der Protagonisten im zweiten und dritten Akt beschritt. Im Zentrum standen natürlich die vier Familienmitglieder, die eine geschlossene, dichte Ensembleleistung boten: Dániel Foki als psychotischen Junior, in Gesang und Spiel eine beklemmende Nähe ausstrahlend; Steven Scheschareg als cholerischer und dann wieder mitfühlender Vater; Katrin Targo als den Vater an die Mutter erinnernde Tochter, und Nathan Haller als Schwester und Bruder sehr eng verbundener Francois. Es gab langen und starken Applaus in der nicht ganz gefüllten Kammeroper.

Fazit: Eine sehr engagierte und spannend umgesetzte „Ehrenrettung“ für ein Werk, das es auch in Zukunft auf den Opernbühnen nicht leicht haben wird.