CANDIDE
Aktuelle Spielpläne
Forum
Opernführer
Chronik
Home
Bernstein-Portal

Kammeroper
5. Mai 2019

Premiere 30.4.19

Musikalische Leitung: Benjamin Bayl
Inszenierung: Christoph Zauner
Bühne: Vibeke Andersen
Licht: Franz Tscheck
Video: Chris Ziegler

Wiener KammerOrchester

Candide - Johannes Bamberger
Cunegonde - Ilona Revolskaya
Baroness / Old Lady - Tatiana Kuryatnikova
Paquette - Aleksandra Szmyd
Dr. Pangloss / Priest - Dumitru Madarasan
Maximilan / Judge / Jew - Kristján Jóhannesson
Baron / Inquisitor / Gouverneur - Botond Odor
Voltaire (Sprechrolle) - David Wurawa

Vokalensemble Mariana: Garci Crespo, Liliya Namisnyk, Marie Charpentier-Leroy, Andrea Seemayer, Vladimir Cabak, Antonio Gonzalez-Alvarez, Alexander Aigner, Marcell Attila Krokovay


Eine verrückte (Medien-)Welt
(Dominik Troger)

Sonntagnachmittag in der Kammeroper: Während in der Stadt Rudel durchschwitzter Läufer nach dem „Wings for Life World Run“ in der kühlen Regenluft unter Alufolien Schutz suchen, eilt der Schreiber dieser Zeilen ebenfalls durch den Regen, um Leonard Bernsteins „Candide“ in der Fassung von 1974 zu erleben.

Voltaire verstreut in seinem 1759 erschienenen philosophisch-satirischen Text „Candide oder der Optimismus“ seine Protagonisten über den ganzen Erdball, so als hätte er schon die Möglichkeiten eines Überschallflugs geahnt. Auf dieser Weltreise wird die Lehre von der „besten aller möglichen Welten“ anhand des Schicksal von Candide und seiner geliebten Cunegonde einer kritisch-bissigen Prüfung unterzogen. Und Voltaire bescheidet sich schließlich damit, den Menschen Häuslichkeit zu verordnen und Gartenarbeit.

Wodurch sich dieser Text für das Musiktheater empfiehlt, ist mir aber nicht wirklich klar. Leonard Bernstein und die ihm beispringenden Librettisten haben bei der Umarbeitung des Prosatextes in ein Musiktheaterstück mit der knapp ausformulierten, aber schier uferlosen Handlung jedenfalls schwer gekämpft. Es liegen mehrere Fassungen vor, die erste wurde 1956 uraufgeführt, 1974 folgte eine gekürzte Fassung für den Broadway, und noch wenige Jahre vor seinem Tod hat der Komponist das Werk erneut einer Revision unterzogen.

Auch für Regisseure ist das Stück mit seinen vielen Stationen und Szenenwechseln eine große Herausforderung. Irgendwo zwischen Westfalen, der Neuen Welt und Konstantinopel geht schnell der „rote Faden“ verloren. Die Handlung läuft wie in einem Comic ab, Bild folgt auf Bild, und das Libretto packt Voltaires Prosa in flotte Reime, die manchmal schon die Grenze des „guten Geschmacks“ überschreiten. Immerhin wird die Suche des Menschen nach seiner Bestimmung und seinem Glück nicht unterschlagen, und man kann für das Stück auch ernsthafte Absichten ins Feld führen – die Bernsteins Musik dann fast ein wenig sentimental aufgreift. Die Musik ist ohnehin das Beste an diesem Bilderreigen, die Ouvertüre ein Glanzstück, auch Cunegondes „perlenglitzernde“ Koloraturnummer „Glitter and be gay“ zählt dazu.

Vielleicht ist „Candide“ ein bisschen ein schizophrenes Stück, könnte sich das Regieteam um Christoph Zauner gesagt haben, und deshalb wurde es in die moderne Medienwelt verlegt. Der Schein der Bühne und der TV-Welt wird mit Videoeinspielungen aus der Garderobe konterkariert, die vorgetäuschte „beste aller Medienwelten“ nach allen Regeln der Kunst und mit viel Videoeinsatz „widerlegt“ – oder anders formuliert: Auf die kunstvolle Inszenierung weiblicher Schönheit vor der Kamera, folgt hinter der Bühne die Vergewaltigung. 

Zudem mussten Zauner und sein Team die Handlungsfülle in den gedrängten Räumlichkeiten der Kammeroper abhandeln und bewiesen dabei Flexibilität. Sie nützten zum Beispiel eine Videokamera, um weitere Örtlichkeiten einzubeziehen. Die eingespielten Bilder wurden dann live auf die Bühne projiziert. Die beiden Monitore links und rechts von der Bühne hätten ruhig ein wenig größer sein können, um diesen Aspekt zu verstärken. Das Finale fand ich allerdings wenig geglückt: Die Protagonisten zogen sich bis auf ihr „Feingeripptes“ aus – eine schwache „Demaskierung“ und ein schwacher Neuanfang.

Die Beginnzeit war irgendwann in den letzten Wochen von abends 19 Uhr auf nachmittags 15 Uhr vorverlegt worden – und die missliche Verkehrssituation wegen der leichtathletischen Charity-Veranstaltung verschärfte die Sachlage für Zuspätkommende. Das sorgte für eine kuriose Szene: Mitten im Rudel grimmiger bulgarischer Soldaten, die aus dem Foyer kommend das Auditorium stürmten, befand sich auch ein Rudel zu spät gekommener, ehrwürdiger Besucher, die von den Soldaten und Billeteuren „verfolgt“ auf ihre Plätze huschten. Das hätte nicht besser inszeniert werden können.

Das Orchester wurde gegenüber der Broadway-Fassung sogar um ein paar Musiker ergänzt, um für einen volleren Klang zu sorgen, und am Pult leitete Benjamin Bayl zügig und mit guten Gespür für den richtigen „Sound“ die Vorstellung. New York ist trotzdem nicht an der Kammeroper eingezogen, aus dem Wiener Kammerorchester wird nicht innerhalb weniger Probewochen eine „Broadway-Band“.

Das Ensemble war mit viel Elan dabei und vermittelte den Spaß an der turbulenten Aufgabe: Johannes Bamberger war ein zurückhaltender Candide, so wie es dem Figurencharakter entspricht, Ilona Revolskaya sang eine stimmbewegliche, das Metall ihres Soprans fast schon zu stark betonende Cunegonde (die Kammeroper ist nicht so groß!), Kristjan Jóhanesson sang einen zünftigen Maximilian und Tatiana Kuryatnikova eine durch Lebenserfahrung gewitzte Old Lady. Dumitru Madarasan war ein würdiger Philosph, Aleksandra Szmyd eine nette Paquette (nicht nur des Reimes wegen), Botons Ódor gab einen stimmigen Baron u.a. Als Voltaire führte David Wurawa mit Witz und Bühnenpräsenz durch die Handlung.

Die Aufführung war sehr gut besucht und dauerte mit Pause rund zweieinhalb Stunden. Das Publikum applaudierte lange und stark.

Fazit: Man muss dieses Stück „mögen“, ansonsten schaut frau/mann auch mal öfter auf die Uhr und runzelt skeptisch die Stirne. Es wird in englischer Sprache gesungen, und die Übertitelung übersetzt oft etwas verknappend. Wer sehr gut Englisch kann, ist im Vorteil.