LES TROYENS

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Staatsoper
14. Oktober 2018
Premiere

Dirigent: Alain Altinoglu

Regie: David McVicar
Bühne: Es Devlin
Kostüme: Moritz Junge
Licht: Wolfgang Goebbel, Pia Virolainen
Choreographie: Lynne Page

Chor der Wiener Staatsoper
Slowakischer Philharmonischer Chor
Ballettakademie der Wiener Staatsoper
Europabellett St. Pölten,
Artisten der Ape Connection u.a.

Énée - Brandon Jovanovich
Cassandre - Monika Bohines
Didon - Joyce DiDonato
Anna - Szilvia Vörös
Chorèbe - Adam Plachetka
Ascagne - Rachel Frenkel
Panthée - Peter Kellner
Narbal - Jongmin Park
Iopas - Paolo Fanale
Hécube – Donna Ellen
Hylas - Benjamin Bruns
Helenus - Wolfram Igor Derntl
Priam - Alexandru Moisiuc
1er Soldat Troyen - Marcus Pelz
2eme soldat Troyen - Ferdinand Pfeffer

Fantôme d’Hector - Anthony Schneider
Griechischer Heerführer - Orhan Yildiz
Soldat / Mercure - Igor Onishchenko
Polyxene - Tamara Dornelas
Andromaque - Dominika Kovacs-Galavics
Astyanax - Laurids Seidel


Ganz Große Oper

(Dominik Troger)

Die erste Staatsopernpremiere der neuen Saison galt Hector Berlioz und seiner Monumentaloper „Les Troyens“. Der Fall Trojas und die Liebe der karthagischen Königin Didon zum italiensuchenden Enée stehen im Mittelpunkt der Handlung. „Les Troyens“ sind ein Werk für genusssüchtige Opernliebhaber – und die kommen bei dieser Neuproduktion voll auf ihre Rechnung.

Die Aufführungsgeschichte von „Les Troyens“ an der Wiener Staatsoper ist schnell erzählt: Die Erstaufführung im Haus am Ring ging 1976 über die Bühne. Nach nur neun Aufführungen wurde der Untergang Trojas gestrichen und die Akte 3 bis 5 wurden in der Saison 1980/81 noch fünf Mal gegeben. Die „Trojaner“ sind dann erst wieder 2013 in Wien aufmarschiert: Vor ziemlich genau fünf Jahren fand eine konzertante Aufführung des Werkes unter Valery Gergiev im Rahmen eines Gastspiels des Mariinski Theaters im Konzerthaus statt.

Bei der neuen Staatsoperninszenierung handelt sich um eine Koproduktion zwischen dem ROH Covent Garden, der Mailänder Scala und der San Francisco Opera. Regisseur David McVicar hat eine Szene geschaffen, die kulturkreisüberschneidend die Geschichte weitgehend illustrativ nacherzählt. Die Wiener Aufführung dauert inklusive zweier Pausen knapp über fünf Stunden und hat die Balletteinlagen nicht gestrichen.

Das schlagende Herz des Premierenabends war das Staatsopernorchester unter der Leitung von Alain Altinoglu, der sich mit den Musikern ganz auf Berlioz „eingeschworen“ zu haben schien. Diese warmsamtigen Streicher, die klaren Einwürfe der Holzbläser, das Marschmotiv der Trojaner, diese Durchmischung von Wagner’schem Pathos mit dem milden Lichte mediterranen Himmels erzeugte Klangträume und -räume, in die man sich einwickeln konnte wie in kostbaren Stoff, um von der Liebe Didons zu träumen, von ihrem Schmerz, von südlichen Nächten voller Leidenschaft und vom bronzenen Klang trojanischer Waffen.

Und dann war da natürlich Karthagos Königin selbst: Joyce DiDonato, bis dato ein außerordentlich rarer Gast im Haus am Ring. Die Sängerin feierte als Didon einen großen Erfolg. Ihr leicht hellgetönter Mezzo, der in den letzten Jahren schon ein wenig „Charakter“ angenommen hat, schwelgte zuerst im Glück der Zuneigung ihres Volkes, um sich dann ganz der Liebe hinzugeben. Das Schicksal hat Enée zu ihr geführt – aber das ist Didons Unglück. Berlioz beschwört im „Schlussgesang“ der sich um ihre Liebe betrogen fühlenden, vom Trojanerführer verlassenen Königin eine Extase des Schmerzes, die die Grenzen der Darstellbarkeit zu sprengen scheint. Die Sängerin bewältigte diese Herausforderung emotional mitfühlend, gepaart mit einer seelenrührenden Ausdruckskraft – und sorgte für das, was man enthusiastisch eine „Sternstunde“ nennt, und was man so selten wirklich auszusprechen wagt.

Brandon Jovanovich lieh dem Enée einen kräftigen, etwas baritonal timbrierten Tenor mit breiter Höhe, die jetzt nicht unbedingt heroischen Stahl mit sich führte. Jovanovich verfügte über eine starke Bühnenpräsenz, und konnte sich neben der selbstbewussten Didon von Joyce DiDonato gut behaupten. Und weil hier von Didon die Rede war, soll auch gleich von ihrer Bühnenschwester gesprochen werden: Szilvia Vörös, seit dieser Saison neues Ensemblemitglied der Wiener Staatsoper, überzeugte als Anna mit einer im Vergleich zu DiDonato dunkler gefärbten Mezzostimme und lebhaftem Spiel. Die beiden Angehörigen des karthagischen Königshauses hoben sich dadurch auch im Gesang gut voneinander ab.

In dieser Oper herrscht nicht gerade ein Mangel an Personal. Ganz wichtig für den ersten Teil des Werkes ist die Partie der Cassandre. Anna Caterina Antonacci steht zwar auf dem Programmzettel der Premiere, gesungen hat am Premierenabend aber Monika Bohinec. Bohinec hat die Partie als Zweitbesetzung studiert, und die erkrankte Antonacci bereits in der Generalprobe vertreten. Sie benötigte ein bisschen, um in die Partie zu finden und bot dann insgesamt eine gute Leistung. Die übrige Besetzung hatte da und dort mal einen kleineren, mal einen größeren Beitrag zu leisten und überzeugte als Ensemble, so gab zum Beispiel Jongmin Park als Narbal wieder ein treffliches Beispiel für seinen dunklen Bass. Adam Plachetka sang einen raustimmiger Chorèbe. Die Tenöre Paolo Fanale (Iopas) und Benjamin Bruns (Hylas) waren mit „ariose“ Einlagen betraut. Der Staatsopernchor war gefordert und zeigte imposante Massenszenen. Er war mit dem Slowakischen Philharmonischen Chor verstärkt worden.

Die Inszenierung war – wie angemerkt – mehr „erzählend“ und „bebildernd“ gefertigt. David McVicar hat dankenswerter Weise auf Basis der Trojanischen Geschichte nicht die heutige Weltpolitik erklärt. Die ersten beiden Akte mit dem bühnenhohen aus metallenem „Kriegsmüll“ gefertigten Trojanischen Pferd kamen aber nicht ohne deutliche historische Bezüge aus: Die trojanischen Herrscher sollten mit ihren Uniformen wohl auf die Herrschaft von Napoleon III. in Frankreich anspielen, der 1870 bei Sedan in deutsche Kriegsgefangenschaft geraten ist. Auch die Entstehungszeit des Werkes wird dadurch in der Inszenierung „verortet.“ Die (Stadt-)Mauern Trojas öffnen sich, durch ihre sich öffnende Mitte wird das Pferd effektvoll hereingezogen. (Es handelt sich eigentlich um einen überdimensionalen Pferdekopf, der als technische Konstruktion vielleicht auch an das Dampfmaschinenzeitalter erinnern soll.)

Für die Akte drei bis fünf hat McVicar auf solche deutlichen Bezüge verzichtet. Karthago erweist sich als südliche Stadt mit einer leicht exotisch gewandeten Bevölkerung. Die Stadt ist als großes Modell selbst auf der Bühne „anwesend“. Das Modell wird in den Folgeakten mal gehoben oder quergestellt. Den Hintergrund bilden sandfarbene (Stadt-)Mauern. In diesen Akten regiert eine zeitlose Konventionalität, die ihre Brauchbarkeit vor allem dadurch beweist, dass sie nicht von der Musik ablenkt.

Dank der oft etwas blaudüsteren Beleuchtung gelangen insgesamt atmosphärisch gute Effekte, wie die Auftritte der Enée mahnenden „Schatten“. Die szenischen Vorbereitungen für Didons Scheiterhaufen macht es offenbar notwendig, dass Didon einen Teil ihrer Liebesklage vor einem Zwischenvorhang singt. Die Personenregie war konventionell, der Chor „menschelte“ am Beginn ein wenig in Otto Schenk’scher Manier. Die Ballettszenen waren handlungsmäßig gut eingebunden.

Zweifel, die Länge des Werkes betreffend, sind naheliegend, aber ob man jetzt eine Viertelstunde einspart oder nicht, ist dann auch schon egal. Fazit: ca. 17 Minuten langer Schlussapplaus und ein vom Publikum unwidersprochener, großer (!) Premierenerfolg.